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Beziehungskrise

Rußlands Präsident Wladimir Putin verschiebt seinen Indien-Besuch wegen Differenzen bei gemeinsamen Projekten

Von Hilmar König *

Fehlende Klarheit« zu einigen Megaprojekten nannte das indische Außenministerium am Montag als Grund für die verschobene Visite des russischen Präsidenten Wladimir Putin, die eigentlich am 1. November beginnen sollte. Dessen Pressesprecher Dimitri Peskow erklärte ebenso schwammig, alle Details der bilateralen Agenda müßten bis zum neuen Termin, dem 24. Dezember, auf dem Tisch liegen, damit die Visite Putins maximalen Nutzen bringt. Beide Seiten versuchen so zu kaschieren, daß über den indo-russischen Beziehungen ein Schatten liegt.

Das Verhältnis gilt trotz einiger Tiefpunkte nach dem Zerfall der UdSSR als unverbrüchlich. Garant dafür ist vor allem die Kooperation im Militärsektor. Wie die Sowjetunion ist auch Rußland noch immer Indiens Waffenlieferant Nummer 1, auch wenn die USA und Israel inzwischen zu starken Konkurrenten geworden sind. So verwundert nicht, daß einer der Knackpunkte ein Milliarden US-Dollar teurer Flugzeugträger ist, der eigentlich im Dezember an Indien ausgeliefert werden sollte. Dessen Übergabe wurde jedoch nach Mängeln bei einer Testfahrt im September nun auf den Herbst nächsten Jahres verschoben. Es handelt sich um die »INS Vikramaditya«. Von 1987 bis 1996 war sie auf den Weltmeeren als »Admiral Gorschkow« unterwegs. 2004 unterzeichneten beide Seiten ein Abkommen über die Modernisierung des Flugzeugträgers und die Übernahme in die indische Navy. Der Umbau zog sich hin und wurde immer kostspieliger. Zuletzt war die Grenze von drei Milliarden Dollar überschritten worden, inklusive der Lieferung von über einem Dutzend Kampfjets. Der Streit geht vornehmlich um den endgültigen Preis. Daß sich zudem die Inbetriebnahme um ein weiteres Jahr verzögert, muß die indische Marine zähneknirschend hinnehmen.

Ein weiterer Grund für den Aufschub des Besuchs dürfte sein, daß mit Blick auf die Zusammenarbeit im Bereich friedlicher Nutzung von Kernenergie eine scharfe Kontroverse über die künftige Schadensersatzpflicht beim Betrieb von Atomkraftwerken besteht. Dazu hat Delhi ein Gesetz verabschiedet, das die Regierung nun für die Blöcke drei und vier des Kernkraftwerkes im südindischen Kudankulam geltend machen will. Rußland ist der Bauherr und soll auch nach erfolgreicher Inbetriebnahme schadenersatzpflichtig bleiben. Moskau sträubt sich dagegen und besteht darauf, daß Indien die volle Verantwortung für die Anlagen tragen müsse, einschließlich für eventuell durch unsachgemäße Bedienung oder Fahrlässigkeit entstehende Schäden.

Bis zum 1. November war dazu jedenfalls kein Kompromiß erreichbar.

Atomkraft ist derzeit in Indien ohnehin ein viel diskutiertes Thema. In den letzten Wochen protestierten Tausende Menschen, die in der Umgebung des Atommeilers von Kudankulam leben, gegen dessen Anfahren. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei, bei denen ein Mensch getötet und zahlreiche weitere verletzt wurden.

Ein weiteres zwischen Moskau und Delhi umstrittenes Thema ist die Gewährung von Lizenzen im Telekom-Sektor, über deren Bedingungen Uneinigkeit herrscht. Erst kürzlich widerrief Indien die Vergabe von Lizenzen für Sistema Shyam TeleServices Ltd., ein Tochterunternehmen der russischen AFK-Sistema-Gruppe. Auch hierüber konnte im Vorfeld des geplanten Besuchs von Putin kein Ergebnis erzielt werden.

Aufgrund der großen Auffassungsunterscheide in allen genannten Bereichen sah Moskau wohl wenig Sinn in der Visite Putins Anfang November. Daß dieser Zeitpunkt von indischer Seite zu voreilig angekündigt worden war, hing vor allem mit den Gerüchten über einen bevorstehenden Pakistan-Besuch des russischen Präsidenten zusammen. Dem wollte Delhi zuvorkommen. Zumindest das scheint Wirkung gezeigt zu haben, denn der russische Präsident verschob seine Visite nach Islamabad auf unbestimmte Zeit.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 25. Oktober 2012


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