Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Medwedew und Sarkozy machen einander mehr Geschenke

Der Erfolg des erneuerten Medwedew-Sarkozy-Friedensplans hängt von den langfristigen Interessen Russlands und der EU im Kaukasus ab

Von Dmitri Kossyrew *

Falls diese Interessen nicht übereinstimmen, wird auch das Abkommen kaum von langer Dauer sein. Der russische und der französische Präsident hatten zusätzliche Maßnahmen zur Verwirklichung des Medwedew-Sarkozy-Plans abgestimmt. Die EU soll demzufolge die Nichtanwendung von Gewalt gewährleisten, was eine Forderung von Russland war. Vor allem ging es dabei darum, dass Georgien keine erneuten Angriffe auf Südossetien oder Abchasien, noch dazu mit Massenmorden an Zivilisten wie in der Nacht auf den 8. August, verübt.

Wichtig ist aber, dass es ein verbindliches Dokument geben muss, für dessen Verletzung Georgien bestraft werden kann. Doch zu dieser Frage gibt es aus dem Verhandlungsort Meiendorf nahe Moskau keine genauen Informationen. Die europäischen Beobachter an sich können da nichts garantieren, sie sind dazu da, zu beobachten. Es bleibt offen, ob Europa in der Lage sein wird, etwas zu garantieren, wenn die USA Georgien weiterhin aufrüsten.

Des Weiteren muss Russland in zehn Tagen nach dem Eintreffen der internationalen Missionen seine Truppen aus den an Südossetien und Abchasien angrenzenden georgischen Gebieten abziehen. Nach Frankreichs Einschätzung befinden sich dort gegenwärtig 5000 russische Soldaten und Offiziere. Dabei handelt es jedoch mehr um eine Forderung Europas bezüglich des Erhalts der russischen Militärpräsenz in den zwei „Sicherheitsstreifen“ entlang der Grenzen der ehemaligen georgischen Autonomien. Der ursprüngliche Medwedew-Sarkozy-Plan enthielt zu dieser Frage eine aus sechs Klauseln bestehende „Grauzone“. Russland berief sich auf das Recht auf die Präsenz in diesen Zonen, das von früher verabschiedeten internationalen Dokumenten gewährleistet wird, und in den entsprechenden sechs Punkten nicht zu finden war. Jetzt garantiert Sarkozy, dass die Beobachter bis zum 1. Oktober eintreffen, und Medwedew, dass er die Truppen abziehen lässt.

Anschließend wurde der Beginn internationaler Konsultationen zu Abchasien und Südossetien am 15. Oktober in Genf vereinbart. Medwedew wies jedoch darauf hin, dass Russlands Position zur Anerkennung der Unabhängigkeit der abtrünnigen Republiken unverändert bleibe. Sarkozy beließ es dabei zu sagen, dass es in diesem Punkt Grund zur Diskussion gebe. Dieser Punkt enthält ein verzwicktes Problem. Die Konferenzen klären nur die Positionen der Parteien, müssen aber nicht immer in verbindlichen Entscheidungen enden. Andererseits soll es in Genf auch um die Gewährleistung der Sicherheit für die Einwohner der beiden Republiken gehen. Darin sind auch technische Fragen wie die Schaffung von Pufferzonen ohne georgische Soldaten und vieles andere mehr enthalten.

Auch die Frage nach den Teilnehmern der Konferenz erlaubt viele interessante Nuancen. Sollen beispielsweise US-Gesandte kommen? Oder aus Abchasien und Südossetien?

Es stellt sich die Frage, wem das zugute kommt außer Sarkozy und Medwedew, die sich gegenseitig zu einem besseren Renommee verholfen haben. Sie haben sich wahrlich gegenseitig beschenkt. Sarkozy bekommt jetzt noch mehr Anerkennung als internationaler Diplomat und Friedensstifter. Medwedew hat den Beweis bekommen, dass Russland nicht isoliert sei und Partner hat, die dem Land aus einer unklaren Situation mit einem konkreten Gewinn heraushelfen.

Was will die EU im Kaukasus? Wozu hat sie eine Delegation nach Russland entsandt, der neben Sarkozy noch EU-Kommissionschef José Manuel Barroso und der EU-Außenbeauftragte Javier Solana angehören? Auf der Konferenz der ausländischen Russland-Experten in der südrussischen Stadt Rostow-am-Don („Waldai 2008“) wurden mehrere interessante Meinungen dazu geäußert. Stefan Wagstyl von der britischen „Financial Times“ wies darauf hin, dass die EU mittlerweile verstehe, dass die Erweiterung der Union zeitweilig gebremst werden solle. Die Ukraine und Georgien gehören nicht zu diesem Prozess und bedürften einzelner Verträge über die Zusammenarbeit. Dazu müsse ihr friedlicher und unbedrohter Status geklärt werden. Selbstverständlich erfordere das bestimmte Verhaltensregeln, die sowohl Moskau als auch Kiew und Tiflis einhalten müssten.

Nikolai Zlobin vom US-amerikanischen Institut für globale Sicherheit weist darauf hin, dass die bedeutendsten europäischen Länder - das „Alte Europa“ - mittels Sarkozy versuchen, die Initiative aus den Händen von „Osteuropa“, zu dem auch Georgien gehört, und dessen Schirmherr USA zu reißen. Die „Ostler“ haben den anderen Europäern genug Schaden zugefügt und sollen fortan nicht die Möglichkeit dazu haben. Es ist verständlich (obwohl Zlobin das nicht gesagt hat), dass Georgien, das auf eigene Faust Kriegszüge gegen Zivilisten unternahm und sich dabei auf die USA stützt, ein großes Problem für Europa darstellt, das es loswerden muss.

Wenn Moskau dem jetzigen EU-Vorsitzenden Frankreich erlaubt, die EU aus dieser Sackgasse zu führen, so verhilft das Russland zur Anerkennung als ernstzunehmenden und langfristigen Partner.

Was Moskau im Kaukasus will, ist eine komplexe Frage. Es ist scheinbar die Zeit gekommen, dort eine neue, aktive und realistische Politik aufzubauen. Es ist bereits klar, dass ein Anspruch auf ein Monopol bei der Regelung aller dortigen Probleme zum Scheitern verdammt ist. Jetzt wird die EU als „Garant für die Nichtanwendung von Gewalt“ auftreten. Mögen auch Saakaschwili oder die USA versuchen, eine Provokation gegen die EU zu veranstalten. Moskau braucht eigentlich die Entwicklung der Wirtschaftszusammenarbeit mit allen kaukasischen Ländern, und nicht in Monopolstellung, sondern im Wettbewerb mit Europa und den USA - also grundsätzlich dasselbe, wie in jedem anderen Teil der Welt. Moskau muss auch darauf achten, dass niemand im Kaukasus oder anderswo Regimes aufbauen kann, die ständig militärische Provokationen gegen Russland ausüben. Das ist das, was Medwedew von Sarkozy wollte.

Somit stimmen nicht nur die taktischen, sondern auch die strategischen Interessen überein. Jetzt muss diese Übereinstimmung genutzt werden, um eine neue multilaterale gesamteuropäische Politik im Kaukasus aufzubauen.

Die Meinung des Autors muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 9. September 2008; http://de.rian.ru



Zurück zur Russland-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zur Georgien-Seite

Zur Kaukasus-Seite

Zurück zur Homepage