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Der Zeit voraus - im Plan zurück

Gipfel Russland-EU in Chabarowsk brachte vor allem die Differenzen zum Ausdruck

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Vaclav Klaus, dem Präsidenten Tschechiens, das gegenwärtig den EU-Vorsitz innehat, stand die Anstrengung deutlich im Gesicht geschrieben, als Fotografen ihn zu Beginn des Russland-EU-Gipfels im fernöstlichen Chabarowsk ablichteten. Die Stadt liegt acht Flugstunden von Moskau entfernt direkt an der Grenze zu China, die Zeit dort ist der zentralrussischen um sechs Stunden und der mitteleuropäischen um acht voraus.

Ein weiteres Foto zeigte daher Präsident Dmitri Medwedjew und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso beim Umstellen ihrer Armbanduhren. Letzterer wirkte dabei sichtlich irritiert und fragte sich offenbar, warum der Kreml-Hauherr ihm, Klaus und EU-Chefdiplomat Javier Solana wohl diese Tour de force zugemutet hatte. Denn die Erklärung des Gastgebers, der damit angeblich nur den Blick der Westeuropäer für die Größe Russlands schärfen wollte, wie Medwedjew beim Essen an Bord eines Luxusdampfers auf dem Amur verkündete, war ihnen zu simpel.

In der Tat war Medwedjews Einfall, den Gipfel mit der EU nach Asien zu verlegen, vor allem ein Warnsignal, das sich an gleich zwei Adressaten richtete. An China, das auf Moskaus Probleme in Russlands strukturschwachem Fernen Osten mit schleichender Invasion reagiert, vor allem aber an die EU.

Deren Emissäre konnten Medwedjew weder vom Nutzen der östlichen Partnerschaft überzeugen, wie die Union sie Anfang Mai in Prag auf einem Sondergipfel mit den Republiken im Südkaukasus, mit Belarus, der Ukraine und Moldova beschlossen hatte, noch konnten sie ihn auf Garantien für eine stabile Energieversorgung festlegen. Kommissionspräsident Barroso hatte zwar versichert, die Union sei »nicht dazu bereit, jene Nachbarn Russlands aufzunehmen, die zu den UdSSR-Nachfolgestaaten gehören«. Medwedjew blieb dennoch misstrauisch: Er könne nur hoffen, »dass diese Partnerschaft nicht die Beziehungen Europas zu antirussisch orientierten Staaten konsolidiert«. Noch deutlicher wurde er zum Thema Energie: Russland habe Europa nie Garantien für eine stabile Versorgung gegeben und werde das auch künftig nicht tun.

Medwedjew bezog sich dabei zwar vor allem auf die Probleme mit der Ukraine, die zu Jahresbeginn die Durchleitung russischen Gases wegen eines Preisstreits verweigert hatte. Zugleich aber verlangte er von der EU Verhandlungen über eine neue Energiecharta. Denn die 1994 ausgehandelte wird Russland nicht ratifizieren. Durch deren Transitprotokolle verlöre Moskau seine Dominanz über die Durchleitung von Gas aus Zentralasien. Sollten diese Verhandlungen scheitern, wird auch Russlands Gasreichtum künftig in die gleiche Richtung fließen wie gegenwärtig bereits der Löwenanteil des Öls - nach Osten. Denn in Ostsibirien lagern jene Vorkommen, die Russland im nächsten Jahrzehnt anzapfen will. Rentabel ist deren Ausbeute jedoch nur, wenn sich die Entfernungen in Grenzen halten, wie beim Export nach China und Japan.

Schon Mitte Februar hatten Russland und China daher ein Regierungsabkommen geschlossen, mit dem Peking sich durch Kredite für den Staatskonzern Rosneft - Russlands größten Ölförderer - und den Pipelinebetreiber Transneft im Wert von insgesamt 25 Milliarden Dollar im Laufe von 20 Jahren 300 Millionen Tonnen russisches Öl sichert. Der Bau eines Süd-Abzweigs der künftigen Pazifik-Pipeline läuft bereits auf Hochtouren. Die Hauptmenge des Öls wird weiter nach Osten Gasversorgunggepumpt und geht vor allem nach Japan. Damit steigen auch Moskaus Chancen auf einen guten Deal bei den schwierigen Verhandlungen über die strittigen Südkurilen-Inseln, die Tokio 1945 an Moskau abtreten musste. Premier Wladimir Putin schlug erst kürlich beim Besuch in Japan eine Lösung des Konflikts »auf dem Wege der Entwicklung gemeinsamer Projekte« vor.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Mai 2009

Weitere Berichte

Russland-EU: Gasdialog noch in Sackgasse

Von Oleg Mitjajew **

Ein Hauptthema des Russland-EU-Gipfels vom 21. bis 22. Mai in Chabarowsk war die .

In letzter Zeit gilt diese Frage in den Beziehungen zwischen Moskau und Brüssel als unlösbar. Laut superoptimistischen Vermutungen wollte die russische Seite während des Gipfels die EU-Spitze dazu überreden, statt der Energiecharta gemeinsam einen neuen allumfassenden Rahmen für die Energie-Zusammenarbeit zu schaffen.

Doch beinahe einen Monat vor dem EU-Gipfel in Chabarowsk war klar, dass die EU die Energiecharta nicht aufgibt. Kurz vor dem Gipfel legte die EU Russland einen eigenen Gegenvorschlag vor: ein Frühwarnsystem gegen Transitrisiken.

Mitte April schlug Russland ein Dokument mit dem Titel "Konzeptuelles Herangehen an eine neue Rechtsbasis der internationalen Zusammenarbeit im Energiebereich" vor.

Darin handelte es sich um die Überprüfung der Prinzipien des Vertrags von 1994 zur Energiecharta von 1991 und Festlegung der Bestimmung über die Vorhersagbarkeit des Öl- und Gasverkaufs. Russland geht bei seinen Vorschlägen davon aus, dass die Energiecharta in ihrer heutigen Form und der diesbezügliche Vertrag die Interessen der Energie konsumierenden Länder widerspiegeln, ohne die Interessen der Lieferstaaten zu berücksichtigen.

Doch Ende April lehnte der EU-Energiekommissar Andris Piebalgs in Moskau die russischen Vorschläge ab. Die EU hält sich daran, dass die Energiecharta schon vor langer Zeit von vielen Ländern unterzeichnet und ratifiziert worden sei, weshalb ein Verzicht auf sie unmöglich wäre.

Das von Russland vorgeschlagene konzeptuelle Herangehen ist nach Ansicht der EU-Behörden viel zu allgemein gehalten. Außerdem wird in der Europäischen Union die Auffassung vertreten, dass Moskaus Initiativen die Sicherheit der europäischen Verbraucher angeblich nicht zu gewährleisten vermögen.

Am Vortag vor dem Gipfel in Chabarowsk verkam die Gas-Diskussion zwischen Russland und der EU auf der internationalen Konferenz "Energiedialog Russland - EU" (Berlin, 19. Mai) zu einem ausgesprochenen Geplänkel.

Der Gazprom-Vertreter warf dem EU-Energiekommissar Piebalgs Inkompetenz und der EU-Kommission die Tatenlosigkeit beim Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine im Januar vor.

Darauf antworteten die Vertreter der EU-Kommission, Russland muss erst das Vertrauen jedes der 27 EU-Staaten wiederherstellen, ehe der Energiedialog wieder aufgenommen werden könne.

Ebenfalls in Berlin wurde erklärt, dass die neue EU-Energiestrategie vorsehe, den Gasimport bis 2020 um fünf Prozent zu senken und zur Atomenergie als Alternative zum "blauen Brennstoff" überzuwechseln. In der EU ist man sogar bereit, russischen Kernbrennstoff für die eigenen Atomkraftwerke zu kaufen.

Der Verbrauch von russischem Gas soll auf dem heutigen Stand bleiben: jährlich 300 Milliarden Kubikmeter. Gazprom dagegen rechnet gemäß seiner Strategie damit, die Gaslieferungen an Europa um 2030 bis auf 500 Milliarden Kubikmeter zu steigern.

Ferner wurde auf der Berliner Konferenz bekannt, dass die EU-Kommission eigens zum EU-Russland-Gipfel Gegenvorschläge - das Frühwarnsystem gegen Transitrisiken - vorbereitet hat. Der Präsident der EU-Kommission José Manuel Barroso richtete sie bereits Ende April an die russische Staatsführung.

Die Hauptidee der EU-Gegenvorschläge ist es, dass die Gaslieferungen an Europa trotz aller Differenzen zwischen den Gas gewinnenden Ländern und den Transitländern nicht eingestellt werden dürften.

Auf diese Weise hatten Russland und die EU zum Treffen in Chabarowsk neue, aber wenig Berührungspunkte aufweisende Vorschläge ausgearbeitet. Bei Russland war es das "konzeptuelle Herangehen", das die Energiecharta ablösen soll; bei der EU eine neue Energiestrategie und das Frühwarnsystem; beides stellt eine Fortsetzung der Energiecharta dar. Das Gipfeltreffen brachte keine Ergebnisse.

Präsident Dmitri Medwedew bestätigte bei der abschließenden Pressekonferenz in Chabarowsk die Position Russlands: Es sei notwendig, neue Abkommen über die Energiesicherheit statt der heute bestehenden auszuarbeiten. Er fügte hinzu, dass Russland an der gültigen Energiecharta nicht teilnehmen wird.

Die EU-Leitung war höflich, wie es sich für Gäste gebührt. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte, man könnte Russlands Vorschläge bei einer Überprüfung der Energiecharta erörtern.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 22. Mai 2009; http://de.rian.ru



Neue Prioritäten?

Russland rückt EU auf Partnerliste nach hinten

Von Irina Wolkowa, Moskau ***

Über 320 Journalisten haben sich für den zweitägigen Gipfel Russland-EU akkreditieren lassen, der am Donnerstag (21. Mai) im fernöstlichen Chabarowsk beginnt. Darunter auch viele Vertreter chinesischer, japanischer und sogar iranischer Medien.

Die Medienpräsenz und die Wahl des Tagungsortes – die vor 150 Jahren als Militärposten gegründete Stadt mit heute knapp 600 000 Einwohnern liegt direkt an der Grenze zu China – ist aus Sicht hiesiger Beobachter ein deutliches Signal Richtung Westen: Russland diversifiziert den Export von Energieträgern und damit auch seine Außenpolitik. Denn die politischen und wirtschaftlichen Schnittmengen nehmen nicht zu, sondern ab.

Das macht auch die neue nationale Sicherheitsstrategie deutlich, die Präsident Dmitri Medwedjew letzte Woche per Unterschrift in Kraft setzte. Bei der Auflistung außen- und wirtschaftspolitischer Prioritäten steht die Vertiefung der Kooperation mit der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und den Schwellenländern an erster Stelle. Um die weitere Ausgestaltung der »gemeinsamen Räume«, auf die Moskau und Brüssel sich zu Beginn des neuen Jahrtausends geeinigt hatten, geht es erst im folgenden Absatz, der noch dazu sehr knapp formuliert wurde. Noch weiter hinten rangieren die NATO und die USA. In früheren Papieren dieser Art war dagegen Westeuropa Tabellenführer.

Eines der beiden zentralen Themen des Gipfels ist die Wirtschaftspolitik: Dabei sollen die Möglichkeiten für ein gemeinsames Krisenmanagement ausgelotet werden – immerhin ging der Handel zwischen Russland und der EU in den ersten zwei Monaten dieses Jahres um fast 45 Prozent zurück. Zudem liegt ein Vorschlag von Präsident Medwedjew für eine neue Energiecharta auf dem Tisch. Denn wichtige Teile der gegenwärtig geltenden hat Russland nicht ratifiziert, weil sie auf den Verlust des Durchleitungsmonopols für Gas aus Zentralasien hinauslaufen.

Auf den Prüfstand kommt in Chabarowsk zudem der Gesamtkomplex der Beziehungen Russland- EU. Ein weites Feld, das momentan gründlich kontaminiert ist. Erst am Montag stand mit dem Auszug Südossetiens und Abchasiens sowie einer von Russland geforderten Verhandlungspause die Genfer Konferenz zur Sicherheit im Südkaukasus vor dem Aus.

Gar nicht gut kam in Moskau auch der Prager EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft am 7. Mai an. An dem nahmen auch zwei bisher loyale Verbündete Russlands teil: Armenien und Belarus. Dass gerade das Parlament von Belarus Südossetien und Abchasien noch immer nicht anerkannt hat, was Präsident Alexander Lukaschenko seinem russischen Amtskollegen Medwedjew schon für den 2. April in Aussicht gestellt hatte, erklärt Moskau wohl nicht zu Unrecht mit Auflagen aus Brüssel.

Ohne Anerkennung durch Minsk aber können die von Georgien abtrünnigen Regionen nicht der Union von Russland und Belarus beitreten. Moskau hatte dieses Projekt eigens wegen der beiden Kleinstaaten am Kaukasus wiederbeleben wollen, denn deren Angliederung an die Russische Föderation hätte unweigerlich die weitere Verschlechterung der Beziehungen zur EU und zu den USA zur Folge.

*** Aus: Neues Deutschland, 20. Mai 2009


Russland-EU: Verhärtete Fronten - Russlands Presse

Wie langjährige Nachbarn in einer kleinen Wohngemeinschaft, sehen Russland und die EU völlig ihre gegenseitige Abhängigkeit ein, können sich aber über akzeptierbare Regeln der Koexistenz nicht einig werden, schreiben russische Zeitungen am Freitag.

Die zweimal im Jahr abgehaltenen Konferenzen ergeben nichts, sie halten höchstens die Zunahme der gegenseitigen Ansprüche fest. Die alten Probleme belasten, aber niemand hat Ideen, wie man sich ihrer entledigt. Übrigens ist das enge Nebeneinander sowieso nicht zu vermeiden.

Die Hauptthemen, die auf dem Gipfel in Chabarowsk (vergebens) erörtert werden: Finanzkrise, neues Energie-Abkommen und neue europäische Sicherheitsarchitektur.

Es lohnt sich nicht, einen halbwegs fruchtbaren Austausch von Erfahrungen im Kampf gegen die Krise zu erwarten: Die Erfahrungen sind so gut wie gleich und kaum als erfolgreich zu werten. Zudem standen Antikrisen-Maßnahmen erst vor kurzem auf der Tagesordnung des G20-Gipfel.

Die von Moskau vorgeschlagene neue europäische Sicherheitsarchitektur ist noch zu wenig konkret, die Besprechung des Themas wird wahrscheinlich auf die Erörterung des russisch-georgischen Konflikts hinauslaufen, zu dem Russland und die EU entgegengesetzte Positionen einnehmen.

Das EU-Programm "Ost-Partnerschaft" wird in Moskau als Europas politische Expansion in der "klassischen" Einflusszone Russlands aufgenommen. Auch in dieser Hinsicht lässt sich jetzt kaum etwas anderes vorstellen als diplomatische Vorwürfe und diplomatische Antworten auf die Vorwürfe.

Hierbei vermerken die Beobachter, dass die russische Seite auf jede Weise den europäischen Gästen die Verstärkung einer anderen außenpolitischen Richtung demonstriert: Der Gipfel findet ja im russischen Fernen Osten, an der russisch-chinesischen Grenze statt.

Die größten Differenzen zwischen den Seiten bestehen in der Frage der Kooperation im Energiebereich. Russlands wichtigster Agent auf diesem Gebiet, der Mammutkonzern Gazprom, ist aufrichtig bestrebt, Europa mit Gas zu versorgen, allerdings zu seinem Monopolpreis. Europa ist ebenso aufrichtig bestrebt, bei Gazprom Gas zu einem durch Wettbewerb entstandenen Marktpreis zu kaufen

Was soll nun mit den Gipfeltreffen geschehen? Möglicherweise könnte das Format des Miteinanders überprüft werden. Wenn eine Vereinbarung über globale Fragen nicht zustande kommt, wird gewöhnlich mit der Lösung kleiner Fragen begonnen, um nach und nach die Aufschichtungen der gegenseitigen Ansprüche zu beseitigen.

Quellen: "Wedomosti", "Wremja Nowostej" vom 22.05.09.

**** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 22. Mai 2009; http://de.rian.ru




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