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Verfolgungsjagd auf hoher See

Russische Grenzschützer versenkten vermutlich chinesischen Frachter

Von René Heilig *

China hat von Russland Aufklärung über den Untergang des Frachters »New Star« gefordert. Er soll von russischen Patrouillenbooten beschossen und versenkt worden sein. Peking hofft, dass Moskau die Hintergründe des Vorfalls schnell aufdeckt.

Beschuss? Davon steht in der Meldung der russischen Marine, die gestern auch so von der Nachrichtenagentur ITAR-Tass verbreitet wurde, nichts. Kaum deutlicher äußerte sich das russische Fernsehen. Die Rede ist vor allem von einer Rettungsaktion. Ein Schiff der russischen Grenzwache habe acht Besatzungsmitglieder des Frachters aus einer Rettungsinsel geborgen. Ihr Schiff habe bei stürmischer See Schlagseite bekommen.

Die »New Star«, ein 98 Meter langes, 2005 in Dienst gestelltes Frachtschiff, fuhr unter der Flagge von Sierra Leone. Als Eigner ist die Tongyu Shipping Company eingetragen. Der Vorfall, der nun vermutlich zum Tod von angeblich acht Seeleuten geführt hat, nahm bereits Ende Januar seinen Anfang. Das Schiff hatte im russischen Hafen Nachodka 4978 Tonnen Reis für einen Abnehmer in Sibirien angeliefert. Doch die Fracht soll durch Seewasser verdorben gewesen sein. Die Empfänger wollten deshalb den Schiffseigner aus Hongkong auf 120 Millionen Rubel (2,67 Millionen Euro) Schadenersatz verklagen. Bis zum Begleichen der angeblichen Schuld wurde das Schiff an die Kette gelegt.

Nach mehreren erfolglosen Versuchen, die Freigabe durch den Zoll zu erhalten, habe die Tongyu Shipping den Kapitän am 12. Februar angewiesen, Richtung China auszulaufen. Russland schickte dem fliehenden Schiff zwei Patrouillenboote der Grenzwache hinterher. Man versuchte den Frachter vor Erreichen der internationalen Gewässer aufzubringen. Doch die »New Star« soll nicht auf international übliche Stopp-Signale reagiert haben. Es folgten Schüsse vor den Bug, doch auch die veranlassten den Kapitän nicht zum Beidrehen. Angeblich wurden 515 Projektile abgefeuert. Zuletzt versuchte man, das Heck und damit die Ruder und Antriebsanlage zu treffen. Nachdem Sturm aufkam, bekam die »New Star« Schlagseite und begann zu sinken. Die Besatzung – zehn Chinesen und sechs Indonesier – ging in zwei Rettungsinseln. Eine von ihnen erreichte ein russisches Schiff, die andere wurde abgetrieben und ist vermutlich gekentert.

Ob die Grenzer der Besatzung die notwendige Hilfe zukommen ließen, ist strittig. Eine drei Tage dauernde Suchaktion nach den acht Insassen blieb erfolglos. Chinesische Medien berichteten, die russische Seite habe fast 24 Stunden nicht auf Hilferufe geantwortet. Die in Hongkong ansässige J-Rui Lucky Shipping Company, die das Schiff verchartert hat, wies die ebenfalls erhobenen Schmuggel-Vorwürfe zurück und sprach von Mord.

Die Staatsanwaltschaft in Wladiwostok prüft nun das Verhalten des indonesischen Kapitäns, der Hafenbehörde und des Seerettungsdienstes. Die Militärstaatsanwaltschaft befasst sich mit dem Verhalten der Grenzschützer.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Februar 2009


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