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Russland kürzt Ausgaben für das Militär um 15 Prozent

Finanzkrise drückt auch auf Rüstungsausgaben

Die russische Regierung streicht die Militärausgaben wegen eines drohenden Haushaltsdefizits um 15 Prozent zusammen. Er beträgt damit etwa ein Zehntel dessen der USA.

Moskau (dpa/ND). Russland wir seine Rüstungsausgaben reduzieren. »Es ist gut möglich, dass dies nicht die letzte Entscheidung dieser Art für den Wehretat 2009 ist«, sagte der stellvertretende Leiter des Verteidigungsausschusses der Staatsduma, Michail Babitsch, am Donnerstag nach Angaben der Agentur Interfax. Regierungschef Wladimir Putin hatte zuvor der heimischen Rüstungsindustrie zugesagt, dass die Waffenkäufe nicht eingeschränkt würden. Wegen der drastisch gesunkenen Rohstoffpreise fürchtet Russland einen Rückgang der Staatseinnahmen um 40 Prozent.

Bislang waren die teilweise geheimen russischen Militärausgaben für 2009 auf 1,3 Billionen Rubel (30 Milliarden Euro) beziffert worden. Der US-Wehretat ist auch ohne sämtliche Ausgaben für die Militäreinsätze in Afghanistan und Irak etwa zehnmal so hoch.

Putin hatte noch vor Ausbruch der Krise eine »grandiose Modernisierung der Streitkräfte inklusive der Atomwaffen« angekündigt. Dafür sollten in den kommenden drei Jahren 115 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Wehrexperten in der Duma äußerten die Vermutung, dass die Regierung nun nicht umhin kommen werde, neben den Rüstungsaufträgen auch die Sozialausgaben und das Wohnungsbauprogramm für Offiziere zu kürzen.

Die russischen Streitkräfte befinden sich nach Einschätzung westlicher Fachleute weiterhin in einem desolaten Zustand. In den Luftstreitkräften soll ein Drittel der Kampfjet-Flotte einem Moskauer Zeitungsbericht zufolge schrottreif sein.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Februar 2009


Russland rüttelt nicht an Verteidigungsauftrag

Von Ilja Kramnik **

Angesichts der Finanzkrise bewegt viele das Thema der Haushaltsausgaben. Vor allem jene in Russland, die dank diesen Ausgaben existieren, verfolgen das Thema mit großer Aufmerksamkeit. Neben den aus dem Haushalt bezahlten Beschäftigten gibt es eine Zahl an Menschen in Betrieben, die ihre Erzeugnisse an den Staat liefern.

Einer der wichtigsten Ausgabeposten des Haushalts ist der staatliche Verteidigungsauftrag, um den in den vergangenen Monaten die verschiedensten Gerüchte schwirrten.

Am 11. Februar wurde Klarheit in der Situation geschaffen: In der ersten Sitzung des Generalkonstrukteursrats bei der russischen Regierung teilte Premier Wladimir Putin mit, dass der Verteidigungsauftrag keineswegs gekürzt, vielmehr erhöht werde: 2009 sollen gemäß diesem Posten 1,3 Billionen Rubel statt der früher geplanten 1 Billion ausgegeben werden. (1 Euro = ca. 44,6 Rubel.)

Wofür werden diese Gelder ausgegeben werden, welche Ziele verfolgt der Staat, indem er die Rüstungsindustrie in Zeiten akuter Wirtschaftsprobleme zielgerichtet stützt?

Eine ausführliche Antwort auf die erste Frage ist im staatlichen Rüstungsprogramm für 2007 bis 2015 zu finden. Darin werden die Zahlen über Waffenkäufe für jede Teilstreitkraft angegeben. Zwar unterscheiden sich diese Angaben in einigen Quellen, doch lassen sich mit ihrer Hilfe gewisse Prioritäten feststellen.

Die Grundlage von Moskaus Militärmacht bilden nach wie vor die strategischen Atomstreitkräfte, bestehend aus drei Eckpfeilern: als Kräfte zu Wasser, in der Luft und zu Lande. Dementsprechend handelt es sich um strategische Raketen-U-Boote der Kriegsflotte, Langstreckenbomber der Luftwaffe und Interkontinentalraketen der strategischen Raketentruppen.

In den kommenden sieben Jahren werden die Atomstreitkräfte Zuwachs bekommen: fünf mit Raketen bestückte Atom-U-Boote des Projekts 955 (insgesamt ist der Bau von acht Schiffen dieser Klasse geplant), sechs bis sieben strategische Tu-160-Bomber und zumindest 100 ballistische Interkontinentalraketen für die strategischen Raketentruppen.

In Aussicht genommen sind außerdem: die weitere Modernisierung der schon vorhandenen mit Raketen bestückten Atom-U-Boote des Projekts 667BDRM, die noch in Sowjetzeiten gebaut wurden und gegenwärtig bei der Instandsetzung mit dem neuen Sinewa-Raketenkomplex ausgestattet werden, ferner die Modernisierung der bestehenden Bomber und Verlängerung der Einsatzdauer der ballistischen Interkontinentalraketen.

In den Bodentruppen sollen 40 Panzer-, mindestens 100 motorisierte Schützen- sowie Luftlandebataillone neu ausgerüstet werden. Sie erhalten neue Panzer, Schützenpanzer und Schützenpanzerwagen. In Kombination mit modernisierter älterer Technik kann dadurch zumindest die Hälfte aller Bataillone nach modernen Standards umgerüstet werden.

Die Bodentruppen werden außerdem neue Artilleriesysteme, Iskander-Raketenkomplexe und eine große Menge anderer Kampf- und Hilfstechnik bekommen.

Auch die Luftwaffe hat eine Auftragsliste für neue Technik und Ausrüstung. Darauf stehen über 300 neue Maschinen und genauso viele modernisierte Kampfflugzeuge früherer Klassen sowie eine große Zahl von Hubschraubern und Luftverteidigungssystemen.

Was die Kriegsmarine angeht, so sind für 2010 bis 2011 der Bau mehrerer Dutzend Schiffe und Schnellboote neuer Typen sowie die Teil- bzw. Generalüberholung vieler Schiffe geplant.

Zu welchem Zweck verfolgt die russische Regierung so zielstrebig dieses groß angelegte Umrüstungsprogramm? Die erste Antwort liegt auf der Hand: für die Erhaltung der Kampffähigkeit der Streitkräfte trotz der massiven Überalterung der Technik aus sowjetischer Produktion.

Die zweite Antwort ist nicht so offensichtlich, wenn auch nicht minder wichtig: Der Militär-Industrie-Komplex kann im Zuge der Krise mit den Geldern des staatlichen Verteidigungsauftrags und den Exportlieferungen zu jener Triebfeder für die russische Industrie, besonders die Hightech-Branchen, werden.

Die militärtechnische Zusammenarbeit mit anderen Staaten kann Russlands Wirtschaft in dieser schwierigen Zeit ebenfalls helfen. Wie Russlands Präsident Dmitri Medwedew anerkennend sagte, wurde das vergangene Jahr gar nicht schlecht abgeschlossen: Der Gesamtumfang der Lieferungen lag über 8,35 Milliarden Dollar, das sind ungefähr 800 Millionen Dollar mehr als 2007.

"Es ist klar", sagte Medwedew, "dass dieses Jahr nicht leicht sein wird, weil die ganze Welt in der Finanzkrise steckt. Das wirkt sich unter anderem auf den Umfang der Waffenkäufe aus. Trotzdem müssen wir uns anstrengen, all das, was wir im vergangenen Jahr haben leisten können, zu erhalten und in einigen Richtungen die Kooperation nach Möglichkeit volumenmäßig zu erweitern."

Die staatlichen Rüstungsausgaben sind in dieser Situation alles andere als zum Fenster hinausgeworfenes Geld, sondern vielmehr Investitionen in aussichtsreiche und konkurrenzfähige russische Industriezweige.

Es gibt einige Beispiele für ein solches Verhalten der Staaten während der Finanz- und Wirtschaftskrise. Man erinnere sich an das Vorgehen der USA während der „Großen Depression“, als die Regierung wider Erwarten die Ausgaben für die Umrüstung der Armee erhöhte.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 13. Februar 2009; http://de.rian.ru



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