Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Neuer Dreck für den Baikalsee

Russische Regierung hob Einleitungsverbot für Industrieabwässer auf

Von Bernhard Clasen *

Das Papier- und Zellulose-Kombinat am Baikalsee wird seinen Betrieb wieder aufnehmen. Am 13. Januar hatte Russlands Premierminister Wladimir Putin das zweijährige Verbot der Einleitung von Industrieabwässern in den Baikalsee aufgehoben.

Das 1966 in Baikalsk gebaute Werk ist eine von zwei großen Zellulosefabriken im Einzugsbereich des Baikalsees. Es gehört zu 51 Prozent der »Continental Management« des Oligarchen Oleg Deripaska und zu 49 Prozent dem russischen Staat. Bis zur Einstellung seiner Produktion 2008 wurden jährlich 200 000 Tonnen Zellulose produziert. Gleichzeitig flossen aber auch täglich 200 000 Liter Abwässer in den Baikalsee, dazu kamen ungereinigte Abgase aus der Verbrennung von Produktionsabfällen. Nachdem das russische Umweltministerium im September 2008 die Einleitung der Abwässer in den Baikalsee verboten hatte, stellte das Werk dies ein. Mit der Begründung, ein geschlossener Produktionskreislauf rechne sich nicht, wurde der Betrieb wenige Wochen später gänzlich stillgelegt. 1600 Arbeiter wurden entlassen.

Eine Sprecherin von »Continental Management«, Oxana Gorlowa, begrüßte Putins Entscheidung, während Iwan Blokow von »Greenpeace Russland« kritisiert: »Nun wird neuer Müll produziert, wir sind entsetzt über diese Entscheidung.« Nach Informationen der Umweltorganisation lagern auf dem Betriebsgelände mehrere Millionen Tonnen Klärschlamm, die unter anderem die giftigen Schwermetalle Kadmium, Blei und Quecksilber enthalten. Mit dem Wiederanfahren des Kombinats verletze Russland seine gegenüber der UNESCO eingegangenen Verpflichtungen, den Baikalsee zu schützen, so Greenpeace.

Auch der WWF, die »Ökologische Baikalwelle«, »Bellona« und zahlreiche andere russische Umweltgruppen kämpfen gegen die Zelluloseproduktion am Baikalsee. Das Argument, nun seien 1600 Arbeitsplätze gerettet, lassen sie nicht gelten. Vielmehr würde die zu erwartende Umweltzerstörung Investitionen verhindern. Und die würden dringend gebraucht: im Tourismus und bei der Abfüllung und Vermarktung von Baikal-Mineralwasser.

Die Umweltschützer haben allerdings die Medien gegen sich. Insbesondere der Irkutsker Fernsehkanal NTS hat sich in der jüngsten Vergangenheit für die Zelluloseproduktion stark gemacht. Kein Wunder, kontrolliert doch der Mehrheitseigner der Baikalsker Zellulosefabrik auch den TV-Kanal.

Der 636 Kilometer lange See ist das tiefste Binnengewässer und gleichzeitig größtes Süßwasserreservoir der Erde. 1500 nur hier heimische Tier- und Pflanzenarten zeugen von einer einzigartigen Fauna und Flora.

Schon in den 60er Jahren hatte das Papier- und Zellulosekombinat Wissenschaftler, besorgte Bürger und Schriftsteller wie Valentin Rasputin aufgebracht und war so zum Kristallisationspunkt der Umweltbewegung in der Sowjetunion geworden. Nachdem 1987 bei einer Massenvergiftung durch die Chlorverbindung PCB über 10 000 Baikal-Ringelrobben umkamen, kam es in der Region zu ersten größeren Umweltdemonstrationen.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Januar 2010


Zurück zur Russland-Seite

Zur Umwelt-Seite

Zurück zur Homepage