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Paul Kagame regiert mit eiserner Faust

Ruandas Staatschef mit militärischer Vergangenheit hält viel von Entwicklung und wenig von Demokratie. Von Martin Ling *

Seit 1994 hält Paul Kagame in Ruanda die Zügel in der Hand. In jenem Jahr war Kagame als Anführer der Tutsi-dominierten Guerilla der Patriotischen Front Ruandas (FPR) aus dem ugandischen Exil zurückgekehrt. Dorthin war er 1959 im Alter von zwei Jahren mit seiner adeligen Familie vor einer sozialen Revolte von Hutu geflüchtet. Unter seiner Führung gelang es, das für den Völkermord verantwortliche Regime von Hutu-Chauvinisten zu stürzen und viele Täter in die Flucht zu schlagen.

Seit 2000 amtiert Paul Kagame als gewählter ruandischer Präsident, doch schon zuvor war er als Verteidigungsminister derjenige, ohne den in Ruanda nichts ging. Kagame selbst hat immer wieder betont, dass der Konflikt zwischen Hutu und Tutsi nur vordergründig ethnisch, in Wirklichkeit aber komplexer Natur sei und bis in die Kolonialzeit zurückreiche. Ruandas Zukunft hat sich der Optimist Kagame schon vor Jahren ausgemalt: »Mehr Frieden, mehr Stabilität, mehr Demokratie und eine bessere ökonomische Entwicklung.«

Wie er das erreichen, will, darüber hat Kagame sehr konkrete Vorstellungen: die Vision Ruanda 2020, ein gerade mal 28 Seiten umfassendes Strategiepapier. Mit diesem ehrgeizigen Programm strebt die Regierung an, Ruanda bis zum Jahr 2020 zu einem Land der mittleren Einkommensgruppe zu machen. Es gründet auf sechs Pfeilern, setzt zum Beispiel auf gute Regierungsführung und einen handlungsfähigen Staat, einer Wirtschaft, die auf Wissenschaft und Bildung basiert und den Ausbau der Infrastruktur. Doch Kagame will keine Staatswirtschaft, der Privatsektor soll eine treibende Rolle spielen und auf Produktionen mit hoher Wertschöpfung und eine auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähige Landwirtschaft abzielen.

Die Zahlen sprechen für Kagames Politik: Jährlich hohe Wachstumsraten von rund acht Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Auch für die kommenden Jahre prognostiziert der Internationale Währungsfonds über sieben Prozent. Und im Gegensatz zu anderen afrikanischen Ländern, kommt vom Wachstum unten auch etwas an: In Ruanda wurde massiv in das Bildungs-, vor allem aber in das Gesundheitswesen investiert. Im ganzen Land wurden Kranken- und Servicestationen aufgebaut. Die Lebenserwartung ist ebenso gestiegen wie die Kindersterblichkeit gesunken.

Und Kagame prüft persönlich, wie die Entwicklung voranschreitet: Jeder Distriktchef – es gibt 30 im ganzen Land – muss einmal im Jahr dem Präsidenten einen Fortschrittsbericht abliefern und dabei auch vortragen, wie sich Mutter- und Kindersterblichkeit, Geburtenrate und der Einsatz von Verhütungsmitteln entwickelt haben. Werden die Planziele nicht eingehalten, bedarf es einer guten Begründung, sonst droht die Entlassung und das ist alles andere als selten.

Wegen seinen guten Entwicklungsindikatoren ist das Land zu einem Liebling der Geberländer geworden. Von der EU erhielt Ruanda zwischen 2008 und 2013 rund 379 Millionen Euro. Weitere 45 Millionen Euro wurden unter anderem für die Unterstützung von Demokratie und die Achtung der Menschenrechte bereitgestellt. Davon aber hält Kagame nicht viel: Er duldet keinen Widerspruch. Zeitungen werden verboten, Parteien werden verboten, Journalisten verschwinden, abtrünnige Regierungsmitglieder sterben seltsame Tode. Kritik aus dem Westen kontert er mit einer einfachen Frage: »Wo war denn der Westen, wo waren die Vereinten Nationen, als 1994 der Genozid begann?« Ende der Diskussion.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 5. April 2014


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