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Bericht der Unabhängigen Untersuchungskommission vom 15. Dezember 1999 zum Verhalten der Vereinten Nationen während des Völkermords in Ruanda 1994

Auszüge

Die folgenden Auszüge aus dem UNO-Bericht veröffentlichten die "Blätter für deutsche und internationale Politik" im Februar-Heft 2000.

Bei dem Genozid in Ruanda im Zeitraum von April bis Juli 1994 kamen annähernd 800000 Menschen ums Leben. Die im Land stationierte Blauhelm-Truppe der Vereinten Nationen wußte das systematische Abschlachten von Männern, Frauen und Kindern nicht zu verhindern.

Zur Vorgeschichte: In dem politisch durch jahrzehntelange ethnische Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen der Hutu und Tutsi geprägten Ruanda übernahm 1973 nach einem Staatsstreich Juvénal Habyarimana die Macht. Zur Konsolidierung seiner Macht plazierte Habyarimana diverse seiner Hutu-Anhänger in Schlüsselpositionen, vor allem in der Armee des Landes. Anfang der 90er Jahre eskalierten die Auseinandersetzungen mit der den Tutsi zugerechneten Patriotischen Front (Rwandese Patriotic Front). Lokale Pogrome kosteten hunderte Tutsi das Leben. Nach langwierigen Verhandlungen unterzeichneten Regierung und Patrio tische Front am 4. August 1993 in tansanischen Arusha ein Friedensabkommen, das eine Teilung der Macht sowie eine Integration von regulärer und Rebellenarmee vorsah. Beide Parteien befürworteten die Stationierung einer UN-Blauhelmtruppe, um die Umsetzung der Vereinbarungen zu überwachen.

Mit der am 5. Oktober 1993 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedeten Resolution 872 wurde auf Vorschlag des damaligen Generalsekretärs Boutros Boutros Ghali die UN-Mission für Ruanda (United Nations Assistance Mission for Rwanda, UNAMIR) eingerichtet. Der UNAMIR-Kommandeur Dallaire traf am 22. Oktober in der ruandischen Hauptstadt Kigali ein, die ersten Soldaten fünf Tage später. Am 15. Dezember war die Stationierung von UNAMIR mit insgesamt 1 428 Soldaten abgeschlossen.

Die Etablierung einer Übergangsregierung unter Einschluß der Patriotischen Front scheiterte. Über Radio ergingen Aufrufe, Tutsi umzubringen. Am 6. April 1994 kam der ruandische Präsident Habyarimana bei einem Flugzeugabsturz in der Nähe von Kigali ums Leben. Danach eskalierten die Auseinandersetzungen schlagartig, um in einen Völkermord zu münden.

Die anwesende UN-Blauhelmtruppe zeigte sich der Situation in keiner Weise gewachsen. Über die Ursachen des Versagens der Vereinten Nationen und der hauptsächlich involvierten Großmächte USA und Frankreich sowie die Schlußfolgerungen für den zukünftigen Umgang der Weltorganisation und ihrer Mitgliedstaaten mit Genoziden und massiven Verletzungen von Menschenrechten legte eine von Generalsekretär Kofi Annan eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission unter Leitung des früheren schwedischen Premiermisters Ingvar Carlsson im Dezember vergangenen Jahres einen 58seitigen Bericht vor. Nachstehend dokumentieren wir, erstmals im deutschen Sprachraum, Auszüge des Berichts in eigener Übersetzung. Hervorhebungen innerhalb des Textes folgen dem englischsprachigen Original. D.Red.

III. Schlußfolgerungen

Die Unabhängige Untersuchungskommission stellt fest, daß die Vereinten Nationen im Vorfeld und während des Völkermords in Ruanda 1994 in mehreren grundsätzlichen Punkten versagt haben. Die Verantwortung für das Versagen der Vereinten Nationen, den Völkermord in Ruanda zu verhindern oder zu stoppen, liegt bei einer Reihe verschiedener Akteure, insbesondere beim Generalsekretär, dem Sekretariat, dem Sicherheitsrat, der UNAMIR [United Nations Assistance Mission for Rwanda] und bei der breiteren Mitgliedschaft der Vereinten Nationen. Diese internationale Verantwortung verlangt eine klare Entschuldigung der Organisation und der betreffenden Mitgliedstaaten gegenüber dem ruandischen Volk. Hinsichtlich der Verantwortung jener Ruander, die den Völkermord an ihren Landsleuten planten, dazu aufhetzten und ihn begingen, sind fortgesetzte Bemühungen erforderlich, sie vor Gericht zu stellen, vor den Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda und vor nationale Gerichte in Ruanda selbst.

[...]

1. Der entscheidende Fehler

Der entscheidende Fehler der Vereinten Nationen bei ihrer Reaktion vor und während des Völkermords in Ruanda läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: mangelnde Ressourcen und fehlender Wille, sich so zu engagieren, wie es erforderlich gewesen wäre, um den Genozid zu verhindern oder zu stoppen. UNAMIR, die Hauptkomponente der Präsenz der Vereinten Nationen in Ruanda, wurde nicht in einer Art und Weise geplant, dimensioniert, aufgestellt und instruiert, die sie in die Lage versetzt hätte, gegenüber einem in ernsthaften Schwierigkeiten steckenden Friedensprozeß eine aktive und entschiedene Rolle wahrzunehmen. Die Mission war kleiner, als es bei ursprünglichen Erkundungen vor Ort vorgeschlagen worden war. Sie wurde nur langsam aufgebaut und durch ständige Verwaltungsprobleme zusätzlich geschwächt. Es fehlte an gut ausgebildeten Truppen und funktionierendem Material. Das Mandat der Mission beruhte auf einer Analyse des Friedensprozesses, die sich als falsch erwies, und wurde trotz eindeutiger Warnsignale, daß es nicht mehr den Umständen entsprach, niemals korrigiert. Als der Genozid begann, funktionierte die Mission nicht als kohärentes Ganzes: Übereinstimmende Zeugenaussagen weisen bezüglich der Stunden und Tage der tiefsten Krise auf einen Mangel an politischer Führung und militärischer Kapazität, an Koordination und Disziplin sowie auf gravierende Kommando- und Kontrollprobleme hin.

Eine 2 500 Mann starke Truppe hätte in der Lage sein sollen, Massaker, wie sie in Ruanda nach dem Flugzeugabsturz, bei dem die Präsidenten von Ruanda und Burundi ums Leben kamen, begannen, zu stoppen oder zumindest einzudämmen. Die Untersuchungskommission hat jedoch festgestellt, daß schwerwiegende Kapazitätsprobleme UNAMIR zu der ebenso schrecklichen wie demütigenden Situation führten, daß eine UN-Friedenstruppe angesichts einer jener Wellen schlimmster Brutalität, die die Menschheit in diesem Jahrhundert gesehen hat, nahezu paralysiert war.

[...]

2. Die Unzulänglichkeit des UNAMIR-Mandats

[...]

Das entscheidende Versagen bei dem Bestreben, eine Truppe zu schaffen, die die Kapazität, die Ressourcen und das Mandat besessen hätte, um mit der zunehmenden Gewalt und einem möglichen Genozid fertig zu werden, hat seine Wurzeln im Anfangsstadium der Planung der Mis sion. Die Unterzeichnung der Vereinbarungen von Arusha im August 1993 wurde, nach Jahren schwieriger Verhandlungen zwischen den ruandischen Parteien, mit Optimismus und Erleichterung aufgenommen. Obwohl unter der Oberfläche eindeutig weiterhin Spannungen bestanden, nicht zuletzt innerhalb der Regierungsdelegation, betrachtete die internationale Gemeinschaft die Vereinbarungen als Beginn einer Entwicklung hin zu Frieden und Machtteilung in Ruanda.

Die allzu optimistische Annahme der Parteien des Arusha-Abkommens, eine internationale Truppe könne innerhalb eines Monats aufgestellt werden, führte dazu, daß die Vereinten Nationen bei der Vorbereitung der UNAMIR vom ersten Tag an gegen die Uhr kämpften. Die anfängliche Planung litt unter einer unzureichenden politischen Analyse. Dallaire1 hat eingestanden, daß die von ihm geleitete Erkundungsmission nicht über die nötige politische Kompetenz verfügte, um eine korrekte umfassende Analyse der politischen Lage und des ihr zugrundeliegenden Verhältnisses der ehemaligen Kriegsparteien als Unterzeichner des Arusha-Abkommens zu leisten. Der Mission war anscheinend nicht einmal der wenige Wochen zuvor veröffentlichte beunruhigende Bericht des Sonderberichterstatters der Kommission für Menschenrechte über außergerichtliche, summmarische oder willkürliche Hinrichtungen [Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on Summary and Extrajudicial Executions) über die Situation in Ruanda bekannt. Der Berichterstatter bestätigte darin die Befunde, die einige in Menschenrechtsfragen engagierte NGOs im Laufe des Jahres vorgelegt hatten. Er wies auf eine äußerst prekäre Menschenrechtslage hin und behandelte ausführlich die Möglichkeit eines Völkermords in Ruanda. Daß mitten in der Planung einer starken Präsenz von Friedenstruppen der Vereinten Nationen in Ruanda ein solcher Bericht keinerlei Berücksichtigung fand, weist auf schwerwiegende Koordinationsmängel zwischen den beteiligten Organen der Vereinten Nationen hin. In der Tat sagte Dallaire der Untersuchungskommission, daß er bei einer gründlicheren politischen Einschätzung und in Kenntnis des Berichts die Empfehlungen der Erkundungsmission hinsichtlich der Truppenstärke nochmals überdacht hätte. Die Verantwortung für diese Nachlässigkeit bei der Planung von UNAMIR liegt bei den zuständigen Bereichen des Sekretariats, vor allem beim Zentrum für Menschenrechte [Center for Human Rights] und beim DPKO [Department for Peacekeeping Operations].

Die Erkundungsmission hatte geschätzt, daß eine Truppe in der Stärke von 4500 Mann erforderlich wäre, um das Mandat in Ruanda zu erfüllen. Hingegen war das Sekretariat der Auffassung, daß eine solche Truppenstärke kaum die Zustimmung des Sicherheitsrates finden würde. Dies war vermutlich ein treffender Eindruck des zu diesem Zeitpunkt vorhandenen politischen Engagements: Die Vertretung der Vereinigten Staaten hatte den Vereinten Nationen vorgeschlagen, 100 Personen als eine Art symbolische Präsenz nach Ruanda zu entsenden. Selbst Frankreich, das auf eine Präsenz der Vereinten Nationen in Ruanda gedrängt hatte, hielt 1000 für ausreichend. Dallaires zahlenmäßige Vorstellungen wurden nach unten korrigiert, noch bevor sie dem Sicherheitsrat vorlagen. Am 24. September, zwei Wochen nach Beginn der ursprünglichen Übergangsperiode, empfahl der Generalsekretär eine Friedenstruppe im Umfang von 2 548 Mann an militärischem Personal. Das Mandat, das der Sicherheitsrat mit seiner Resolution 872 (1993) UNAMIR erteilte, war nicht nur eingeschränkter, als dies der Generalsekretär in seinem dem Rat unterbreiteten Vorschlag vorgesehen hatte; es wich zudem von der ursprünglich breiten Vorstellung ab, der die Parteien in den Vereinbarungen von Arusha zugestimmt hatten. Der Unterschied war nicht ohne Bedeutung. Wie weiter unten ausgeführt, wurde der Umfang des vom Sicherheitsrat erteilten Mandats Monate vor dem Beginn des Genozids Gegenstand der Diskussion. Durch die Begrenzung des Mandats auf die KWSA [die "Weapons Secure Area" von Kigali] signalisierte der Sicherheitsrat früh und öffentlich, daß seine Bereitschaft, sich in Ruanda zu engagieren, begrenzt war. Die Vereinigten Staaten unterbreiteten eine Reihe von Änderungsvorschlägen zum Resolutionsentwurf, unter anderem bezüglich der Entwaffnung von Zivilisten, die das Mandat schwächten. Auch der ursprüngliche Wortlaut hinsichtlich der KWSA wurde durch die Bestimmung ausgehöhlt, das die waffenfreie Zone von den Parteien errichtet werden sollte.

Die Verantwortung für die Einschränkung des der UNAMIR ursprünglich erteilten Mandats liegt in erster Linie beim Sekretariat der Vereinten Nationen, dem Generalsekretär und beim verantwortlichen Personal des DPKO, das aufgrund fehlerhafter Analyse die Empfehlungen an den Rat gestützt und vorgeschlagen hatte, eine weniger umfangreiche Mission zu entsenden, als sie der Mission vor Ort nötig erschien. Die Mitgliedstaaten, die das Sekretariat unter Druck setzten, die Stärke der Truppe in ihrem Vorschlag zu reduzieren, tragen ebenfalls einen Teil der Verantwortung. Auch der Sicherheitsrat selbst ist aufgrund seines Zögerns, neue friedenssichernde Operationen nach Somalia zu unterstützen, mitverantwortlich, in diesem Fall insbesondere wegen seiner Entscheidung, das Mandat der Mission auf die waffenfreie Zone einzugrenzen.

3. Die Ausübung des Mandats

Bei der Ausübung des UNAMIR-Mandats kam es zu weiteren ernsthaften Schwierigkeiten. Das Mandat von UNAMIR war zurückhaltend konzipiert; ebenso zurückhaltend wurde es vor Ort umgesetzt. Die Zentrale entschied sich durchgängig für eine Mandatsausübung, die eine neutrale Rolle der UNAMIR im Rahmen eines traditionellen Mandats zur Friedenssicherung gewährleistete. Es wurde angenommen, daß ein solches Vorgehen die Unterstützung des Sicherheitsrates besaß. Trotz der sich verschlechternden Sicherheitslage, die eine entschiedenere und präventivere Rolle der Vereinten Nationen begründet hätte, wurden keine Schritte unternommen, das Mandat den tatsächlichen Erfordernissen in Ruanda anzupassen.

Dallaires Telegramm an Baril2 vom 11. Januar [1994] über Kontakte mit einem Informanten rückt wesentliche Aspekte der Mandatsausübung von UNAMIR in den Mittelpunkt. Die Untersuchungskommission ist der Auffassung, daß im Umgang mit dem Telegramm gravierende Fehler begangen wurden.

Erstens enthielt das Telegramm Informationen, insbesondere Hinweise auf die Existenz eines Plans zur Auslöschung der Tutsi, die von so großer Bedeutung waren, daß es höchste Priorität und Aufmerksamkeit hätte erhalten und auf höchster Ebene bekannt gemacht werden müssen. Sowohl die UNAMIR als auch das Sekretariat begingen in dieser Hinsicht Fehler.

Dallaire hätte das Telegramm nicht allein an Baril adressieren sollen: Es erforderte eindeutig die sofortige Aufmerksamkeit der Untergeneralsekretäre für Friedensoperationen und Poli tische Angelegenheiten [Under-Secretaries-General for Peacekeeping and Political Affairs]. Tatsächlich leitete Baril das Telegramm an die restliche Leitung des DPKO weiter. Die Anweisungen von Annan3 und Riza4 an UNAMIR - und die Vorsicht, die diese Anweisungen kennzeichnet - zeigen, daß ihnen durchaus bewußt war, daß das Telegramm überaus wichtige Informationen enthielt. Trotzdem unterrichteten sie den Generalsekretär nicht darüber. Und der Sicherheitsrat, der eine Woche zuvor fortgesetzte Unterstützung für UNAMIR von Fortschritten des Friedensprozesses abhängig gemacht hatte, wurde überhaupt nicht in Kenntnis gesetzt. Es war in diesem Fall nicht ausreichend, die drei Botschaften in Kigali zu informieren. Die Schwere der in dem Telegramm aufgeführten Bedrohungen hätte es gerechtfertigt, den Rat als Gan zes zu unterrichten. Zumindest als die UNAMIR Anfang Februar meldete, daß der Präsident nach Erhalt der Informationen nichts unternommen habe und sich die Lage vor Ort verschlechtere, hätte der Sicherheitsrat informiert werden müssen. Der nachträgliche indirekte Hinweis auf Dallaires Telegramm im Bericht des Generalsekretärs vor dem Sicherheitsrat am 31. Mai 1994 war nicht ausreichend und kam ohne Frage viel zu spät.

Zweitens ist es der Untersuchungskommission unbegreiflich, daß auf die Auskünfte des Informanten hin nichts weiter unternommen wurde. Nach der Entscheidung, die Informationen an Präsident Habyarimana weiterzugeben, um diesen zu entsprechenden Handlungen zu veranlassen, hätte beständiger Druck auf den Präsidenten ausgeübt werden müssen, um sicherzustellen, daß er die von ihm zugesagten Maßnahmen tatsächlich einleitete.

Dies gilt für alle drei Hauptaspekte des Telegramms. Wenn eine Mission der Vereinten Nationen die Information erhält, daß Pläne zur Vernichtung einer Bevölkerungsgruppe gemacht werden, so erfordert das eine sofortige und entschiedene Antwort, in diesem Fall sicherlich energischere Maßnahmen als die Treffen, die Booh Booh5 und Dallaire mit Präsident Habyarimana und der Führung des MRND [Mouvement Révolutionnaire National pour le Développement] abhielten.

Auch die Information über die Existenz geheimer Waffenlager war sehr ernst zu nehmen. Aus Menge und Art der Waffen, die sich in diesem bestimmten Waffenlager befanden - nach Angaben von Dallaire mindestens 135 -, konnte man nicht auf einen im Verlauf des Jahres stattfindenden Genozid schließen; die Anweisungen aus New York gaben Interahamwe6 und anderen Extremisten jedoch ein deutliches Zeichen, daß UNAMIR nicht entschieden gegen geheime Waffenlager vorgehen würde.

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Schließlich hätten die Drohungen gegen das belgische Kontingent Maßnahmen nach sich ziehen müssen, nicht nur hinsichtlich der Sicherheit dieses Kontingents, sondern ebenso mit Blick auf die strategischen Diskussionen innerhalb des Sekretariats und im Sicherheitsrat über die Rolle der UNAMIR in Ruanda. Den Vereinten Nationen war bekannt, daß die Extremisten einer Partei hofften, den Rückzug der Mission erreichen zu können. Daher könnte die Strategie der Vereinten Nationen, die Drohung mit einem Rückzug der UNAMIR als Hebel gegenüber dem Präsidenten zu nutzen, um Fortschritte im Friedensprozeß zu erzielen, Extremisten eher zu Obstruktionen ermuntert als solche verhindert haben.

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5. Unterbliebene Reaktion auf den Völkermord

a) Nach dem Abschuß des Präsidentenflugzeuges glitt die Lage in Kigali sehr schnell in ein Chaos ab. Straßensperren wurden errichtet, Massaker an Tutsi, oppositionellen und gemäßigten Politikern begannen. Die RPF [Rwandese Patriotic Front] brach bald aus ihrem Gebäudekomplex aus7 und wurde durch Truppen von außerhalb der Hauptstadt verstärkt. Zusätzlich zu den Morden an Zivilisten kam es zu Kämpfen zwischen der Präsidentengarde und der RPF. UNAMIR sah sich mit hunderten Hilferufen von Politikern, eigenem Personal und anderen Personen konfrontiert. Tausende Menschen suchten an Orten mit UNAMIR-Präsenz Zuflucht, darunter ca. 5 000 Menschen, die bereits um den 8. April herum beim Feldkrankenhaus zusammengekommen waren.

Als der Völkermord begann, wurden die Schwächen des UNAMIR-Mandats auf eine verheerende Art und Weise deutlich. Es stellt sich die Frage, warum eine 2500 Mann starke Truppe die Aktionen der Miliz und der RGF-Soldaten [Rwandese Government Forces], die in den ersten Stunden nach dem Absturz anfingen, Straßensperren zu errichten und Politiker und Tutsi umzubringen, nicht zu stoppen vermochte. Hätte UNAMIR nicht durch ihre Präsenz und eine Demonstration ihrer Entschlossenheit die sich anschließende fürchterliche Serie von Gewalttaten durch Abschreckung verhindern können?

Die Korrespondenz zwischen UNAMIR und der Zentrale während der Stunden und Tage nach dem Flugzeugabsturz zeigt eine Truppe in völliger Verwirrung und mit wenig Wissen über den wahren Verlauf der Ereignisse und über die darin verwickelten militärischen und politischen Kräfte, ohne klare Anweisungen und sogar mit Kommunikationsproblemen zwischen den eigenen Kontingenten. Die Eingreifregeln der Mission sahen die Anwendung von Gewalt ausschließlich zur Selbstverteidigung vor. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Politiker zu beschützen, tat dies aber in bestimmten Fällen aufgrund der Drohungen der Miliz nicht. Zivilisten drängte es zu UNAMIR-Posten, doch die Mission erwies sich als unfähig, für ihren Schutz zu sorgen. Der Kommandeur der Truppe stellte sehr früh fest, daß er nicht wirklich das Kommando über alle seine Einheiten hatte: In der Praxis unterstanden die belgischen Friedenshüter der Befehlsgewalt ihrer nationalen Evakuierungstruppen, und das Kontingent aus Bangladesh reagierte schon nach wenigen Tagen nicht mehr auf Anweisungen der UNAMIR-Zentrale. Zusammengefaßt zeigen die Korrespondenz zwischen Kigali und der Zentrale sowie die dem Sicherheitsrat in den ersten Tagen des Genozids zugegangenen Informationen eine Operation, die daran gehindert ist, ihr politisches Mandat auf der Grundlage des Arusha-Abkommens auszu üben, außerstande, die Zivilbevölkerung und zivile Mitarbeiter der Vereinten Nationen zu schützen und selbst einem großem Risiko ausgesetzt. Darüber hinaus wurde UNAMIR durch die von Frankreich, Belgien, den Vereinigten Staaten und Italien durchgeführten nationalen Evakuierungsoperationen in die zweite Reihe abgedrängt. Die Verantwortung für diese Situa tion müssen sich die Führung der UNAMIR, das Sekretariat und die Truppen stellenden Länder teilen.

Die Archive der Vereinten Nationen belegen, daß die DPKO sehr rasch begann, den Abzug von UNAMIR als möglichweise zwingend werdende Option zu diskutieren. Schon am 9.April erklärte Annan (Riza) in einem Telegramm an Booh Booh und Dallaire, UNAMIR sei es unter den gegebenen Umständen nicht möglich, ihr Mandat auszuüben. Sie wiesen auch darauf hin, daß für den Fall eines weiteren negativen Verlaufs der Ereignisse die Entscheidung unumgänglich werden könnte, UNAMIR abzuziehen. Die unmittelbare Reaktion des Sekretariats scheint darin bestanden zu haben, die Durchführbarkeit einer effektiven Antwort der Vereinten Nationen in Zweifel zu ziehen, statt gezielt nach Möglichkeiten zur Stärkung der Operation zu suchen, um mit den neuen Herausforderungen vor Ort umzugehen.

Die einseitige Entscheidung Belgiens, seine Truppen nach dem tragischen Tod von zehn belgischen Friedenshütern zurückzuziehen, brachte die Mission jedoch bald an den Rand der Auf lösung. Auf die Entscheidung der belgischen Regierung zum Abzug folgten schnell Hinweise Bangladeshs, es werde dies möglicherweise ebenfalls tun. In einem Brief an den Präsidenten des Sicherheitsrates vom 21. April warf der ständige Vertreter Bangladeshs eine Reihe von Sicherheitsbedenken auf und suchte um Garantien der Vereinten Nationen nach. Es bestand daher die große Gefahr einer Auflösung der Friedenstruppe.

Zu den Kommando- und Kontrollproblemen, mit denen sich UNAMIR in der Anfangsphase des Genozids konfrontiert sah, gehörten nicht autorisierte Evakuierungsmaßnahmen durch Mitglieder einer unter UNAMIR-Kommando stehenden zivilen Polizeieinheit sowie der beschämende Zwischenfall, bei dem Friedenstruppen aus Bangladesh Zuflucht suchenden Angehörigen des belgischen Kontingents den Zutritt zum Amahoro-Stadion verweigerten.

Die Untersuchungskommission ist der Meinung, daß die Bewahrung der Einheit von Kommando und Kontrolle der Vereinten Nationen von essentieller Bedeutung ist und jene Länder, die Truppen zur Verfügung stellen, trotz eines in eine andere Richtung zielenden innenpolitischen Drucks von einem einseitigen Abzug, der laufende Friedensoperationen schwächt oder sogar gefährdet, absehen sollten.

Der Verlust von zehn Friedenshütern ist für jedes Truppen stellende Land ein schwerer Schlag. Selbst wenn die belgische Regierung nach der brutalen Ermordung ihrer Fallschirm jäger und der antibelgischen Rhetorik in Ruanda die fortgesetzte Präsenz ihres Kontingents zu diesem Zeitpunkt nicht mehr für möglich hielt, fällt es der Untersuchungskommission schwer, die Kampagne, den vollständigen Rückzug der UNAMIR sicherzustellen, zu verstehen.

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Die Diskussion im Sicherheitsrat während dieser ersten Wochen des Genozids zeigen ein gespaltenes Gremium, in dem eine Seite, zu der die Vereinigten Staaten gehörten, Verständnis für die belgische Kampagne zum Abzug der Mission zeigte, während die andere, angeführt von Ländern der Blockfreienbewegung, sich für eine Stärkung der UNAMIR aussprach. In seinem Bericht vom 20. April (S/1994/470) legte der Generalsekretär dem Sicherheitsrat seine drei Optionen vor und machte deutlich, daß er einen Abzug nicht befürworte. Obwohl der Generalsekretär angab, seine Präferenz einer Stärkung von UNAMIR durch eine Erklärung seines Sprechers vor der Presse deutlich gemacht zu haben, glaubt die Untersuchungskommission, daß der Generalsekretär vor dem Sicherheitsrat intensiver für eine Verstärkung hätte eintreten können.

Der Beschluß des Sicherheitsrates vom 21. April, angesichts der mittlerweile allenthalben bekannten Morde UNAMIR auf Minimalstärke zu reduzieren, statt den politischen Willen zu einem Versuch aufzubringen, den Morden Einhalt zu gebieten, hat in Ruanda große Bitterkeit hervorgerufen. Die Untersuchungskommission findet es schwer, diese Entscheidung zu rechtfertigen. Der Sicherheitsrat zeichnet verantwortlich für den fehlenden politischen Willen, mehr zu tun, um das Morden zu stoppen.

Der Brief des Generalsekretärs vom 29. April, in dem er den Sicherheitsrat aufforderte, die Entscheidung, Mandat und Stärke der Mission zurückzufahren, zu überdenken, führte zu einer begrüßenswerten Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit für die Vereinten Nationen, zu handeln, um dem Morden Einhalt zu gebieten. Diese Notwendigkeit wurde nicht länger den Waffenstillstandsverhandlungen der beiden Parteien untergeordnet. Der Sicherheitsrat benötigte jedoch Wochen, um sich auf eine Reaktion zu einigen, inmitten des Genozids eine folgenschwere Verzögerung. Meldungen über Beratungen des Sicherheitsrates Anfang Mai zeigen das Widerstreben, eine Operation nach Kapitel VII [der UN-Charta] in Betracht zu ziehen. Garekhans8 Bericht an den Generalsekretär über die Beratungen vom 3. Mai stellt fest: "Keine Delegation unterstützt ein gewaltsames oder auf Erzwingung angelegtes Vorgehen. Alle betonten, daß jede in Betracht gezogene Vorgehensweise nur durchgeführt werden könnte, wenn beide ruandischen Parteien zustimmten und ihre Kooperation zusicherten."

Am 12. Mai bestanden im Rat noch Divergenzen in zentralen Punkte. Die Mitglieder diskutierten eine ganze Reihe von Themen, darunter die Frage, ob einer verstärkten Mission ein Mandat nach Kapitel VII gegeben werden sollte, worüber der Rat uneins war, sowie die Frage nach den benötigten Ressourcen, wozu die Vereinigten Staaten und Großbritannien vom Sekretariat detaillierte Informationen über das Konzept der Operationen forderten. Wie oben ausgeführt, versuchten die nicht ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, auf engagiertes Handeln zu drängen. Der Widerstand gegen diese Bemühungen erwies sich jedoch als zu stark. Das Hinausschieben einer Entscheidung des Sicherheitsrates in einer Situation, die schnelles Handeln erforderte, war eine erschütternde Demonstration mangelnder Einheit. Am 17. Mai, fast drei Wochen nach dem Brief des Generalsekretärs, genehmigte der Sicherheitsrat schließlich UNAMIRII. b) Der fehlende Wille, angesichts der Krise in Ruanda zu handeln, ist noch bedauerlicher, zieht man in Betracht, daß bedeutende Mitglieder der internationalen Gemeinschaft zögerten anzuerkennen, daß es sich bei dem Massenmord, der sich vor den Medien der ganzen Welt abspielte, um Völkermord handelte. Die Tatsache, daß das, was sich in Ruanda ereignete, ein Genozid war, implizierte eine zentrale internationale Verpflichtung, nämlich: zu handeln und das Töten zu stoppen. Die Unterzeichner der Konvention von 1948 übernahmen die Verantwortung, das Verbrechen des Genozids zu verhindern und zu bestrafen. Diese Verantwortung darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Obgleich die wichtigste Maßnahme, zu der sich die Unterzeichner der Konvention verpflichteten, darin bestand, nationale Gesetze zu erlassen, um eine Gerichtsbarkeit gegen Völkermord zu schaffen, eröffnete die Konvention ausdrücklich die Möglichkeit, eine entsprechende Situation vor den Sicherheitsrat zu bringen. In diesem Zusammenhang dürften die Mitglieder des Sicherheitsrates eine besondere, zumindest moralische, wenn nicht sogar ausdrücklich durch die Konvention gebotene Verpflichtung haben, auf einen Völkermord zu reagieren.

Während jedoch im April und Mai 1994 die Massenmorde in Ruanda stattfanden und obwohl das Fernsehen Bilder von aufgedunsenen Leichen zeigte, die im aus Ruanda kommenden Fluß trieben, zögerten wichtige Staaten, den Begriff Genozid zu verwenden, um zu beschreiben, was geschah. Der Generalsekretär gebrauchte den Begriff am 4. Mai in einem Interview mit dem US-Fernsehen und war damit einer der ersten in der internationalen Gemeinschaft. Auch der Bericht des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat vom 30. Mai über die Sondermission von Riza und Baril enthielt den Terminus. Als jedoch bestimmte Mitglieder des Sicherheitsrates vorschlugen, eine solche Bezeichnung in die Resolution über UNAMIR II aufzunehmen, stieß das bei anderen auf Ablehnung.

Der Verzug bei der Identifizierung der Ereignisse in Ruanda als Völkermord ist ein Versagen des Sicherheitsrates. Das Zögern einiger Staaten, den Begriff Genozid zu gebrauchen, beruhte auf einem bedauerlichen Mangel an Handlungsbereitschaft. Soll es jemals ein wirkungsvolles internationales Vorgehen gegen Völkermord geben, müssen die Staaten bereit sein, entsprechende Situationen als solche zu benennen und die Verantwortung zum Handeln zu übernehmen, die an diese Bezeichnung gebunden ist. Die Untersuchungskommission hofft, daß die heutzutage stärker anerkannte Notwendigkeit, die Sicherheit von Menschen zu gewährleisten und den Einzelnen vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen, auch bedeutet, daß die Staaten nicht davor zurückschrecken, bestimmte Ereignisse als Völkermord zu identifizieren und dementsprechend zu handeln.

Folgende Ergänzung ist wichtig: Die Notwenigkeit internationalen Handelns ist nicht begrenzt auf Fälle von Völkermord. Die Vereinten Nationen und ihre Mitgliedstaaten müssen ebenso bereit sein, den politischen Willen dazu aufzubringen, gegen massive Menschenrechtsverletzungen einzuschreiten, die noch nicht die ultimative Ebene eines Genozids erreicht haben. Besondere Bedeutung muß der Notwendigkeit zu präventivem Handeln zugeschrieben werden: Die Bereitschaft zu handeln muß aufgebracht werden, bevor Ereignisse zu einem Völkermord eskalieren.

[...]

6. Überlastete Friedenssicherung: Unzureichende Ressourcen und Logistik

Ruanda sollte sich als ein Wendepunkt in der Friedenssicherung der Vereinten Nationen erweisen und lief darauf hinaus, die mangelnde Bereitschaft zu symbolisieren, sich im Bereich der Friedenssicherung zu engagieren und insbesondere vor Ort Risiken einzugehen. UNAMIR wurde im Zuge der nach dem Ende des Kalten Krieges enorm ansteigenden Zahl von friedenssichernden Truppen eingerichtet. Im zweiten Halbjahr 1993 ging jedoch die Begeisterung zurück, die wichtige Mitgliedstaaten in den vorausgegangenen Jahren für die friedenssichernden Missionen der Vereinten Nationen aufgebracht hatten. Die Kapazitäten des Sekretariats und insbesondere der DPKO, beschäftigt mit der Verwaltung von cirka 70 000 Blauhelmen, waren überlastet, und diverse bereits laufende Operationen sahen sich ernsthaften Schwierigkeiten gegenüber.

In einem Bericht an den Sicherheitsrat vom 14. Mai 1994 mit dem Titel "Verbesserung der Fähigkeit der Vereinten Nationen zur Friedenssicherung" skizzierte der Generalsekretär die einzigartige Zunahme der friedenssichernden Missionen der Vereinten Nationen im Laufe der letzten fünf Jahre. Er wies auf die schwierige finanzielle Lage der Vereinten Nationen hin, mit ausstehenden Zusagen für friedenssichernde Operationen in Höhe von über 1 Milliarde Dollar. Die geringe Qualität und mangelnde Kapazität von UNAMIR hatten wesentliche Auswirkungen auf den Umgang der Mission mit der sich ab dem 6. April entwickelnden Krise. Der Mangel an Ressourcen und eine unzureichende Logistik stellten jedoch von Anfang an ein schwerwiegendes Problem für UNAMIR dar, und dies blieb auch in den späteren Phasen der Mission so. Es ist aufschlußreich, daß der Generalsekretär schon in der Resolution, die UNAMIR etablierte, aufgefordert wurde, über Möglichkeiten einer Reduzierung der maximalen Gesamtstärke von UNAMIR nachzudenken. Der Generalsekretär wurde ersucht, nach Einsparungsmöglichkeiten im Rahmen der Planung und Durchführung der schrittweisen Aufstellung zu suchen und regelmäßig über diesbezüglich erzielte Ergebnisse zu berichten. Selbst das belgische Kontingent, das stärkste im Rahmen von UNAMIR, hatte Probleme mit wiederverwendetem Material und dem Mangel an Waffen. Das Kontingent aus Bangladesh reiste ein, ohne über die grundlegendste Ausstattung zu verfügen. In mehrfacher Hinsicht fehlte es den Truppen an der notwendigen Ausbildung.

In seinem Bericht an den Sicherheitsrat vom 30. Dezember 1993 sprach sich der Generalsekretär gegen eine Reduzierung der Ressourcen aus, da das eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit von UNAMIR bei der Erfüllung ihres Mandats zur Folge habe. Obwohl der Rat in seiner Resolution 893 (1994) vom 6. Januar 1994 der Aufstellung eines zweiten Bataillons in der entmilitarisierten Zone zustimmte, wurde der Generalsekretär erneut aufgefordert, Größe und Kosten der Mission zu kontrollieren, um nach Ein sparungsmöglichkeiten zu suchen. Diese Aufforderung wiederholte der Sicherheitsrat in seiner Resolution 909 (1994) vom 5. April 1994, der letzten Ruanda-Resolution vor Beginn des Genozids.

Die logistischen Probleme der UNAMIR ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Korrespondenz zwischen dem Kommandeur der Streitkräfte und der Zentrale. Kontingente trafen ohne die übliche materielle Ausstattung ein, die statt dessen von den Operationen in Somalia und Kambodscha herbeigeschafft werden mußte. UNAMIR erhielt lediglich acht der angeforderten 22 Allzweckfahrzeuge, von denen nur fünf tatsächlich fahrtüchtig waren. Die Mission verfügte zwar über eine medizinische Einheit, es wurden jedoch Beschwerden über die Qualität der Versorgung laut.

[...]

Die Verantwortung für die logistischen Probleme von UNAMIR liegt sowohl bei der Abteilung für Friedensperationen, insbesondere bei der FALD (Field Administration and Logistics Division], wie bei einzelnen Truppen bereitstellenden Ländern. Die FALD hätte nicht zulassen dürfen, daß UNAMIR einem so extremen Mangel an Ressourcen wie oben beschrieben ausgesetzt war. Bis spätestens April, sechs Monate nach Aufstellung der Mission, hätten diese fundamentalen logistischen Probleme behoben sein sollen. Die Untersuchungskommission stellt jedoch auch fest, daß diejenigen Länder, die Truppen für UNAMIR zur Verfügung stellten, ihre Kontingente nicht mit den grundlegenden Waffen und sonstigem Material ausstatteten, wofür sie die Verantwortung trugen. Der beständige Druck des Sicherheitsrates auf UNAMIR, Geld einzusparen und Ressourcen zu kürzen, führte zu weiteren Problemen, da die Mission schon von Anfang an zu schwach war.

7. Der Schatten Somalias

Häufig ist darauf hingewiesen worden, daß die UNAMIR-Operation im Schatten Somalias geschaffen wurde. Vor allem der Tod pakistanischer und US-amerikanischer Angehöriger der Friedenstruppen in Somalia 1993 hatte weitreichende Auswirkungen auf die Haltung zur Durchführung von Operationen zur Friedenssicherung. So kam die mit der Untersuchung dieser tragischen Todesfälle in Somalia beauftragte UN-Untersuchungskommission, deren Bericht erschien, als Vorbereitungen für eine Stärkung von UNAMIR getroffen wurden, zu dem Schluß, daß "die UN davon absehen sollten, weiter Maßnahmen zur Friedenserzwingung bei staatsinternen Konflikten zu unternehmen." (S/1994/653). Für die Regierung der Vereinigten Staaten stellten die Ereignisse in Mogadishu einen Wendepunkt in ihrer Politik bezüglich friedenssichernder UN-Maßnahmen dar. Im Mai 1994, als der Völkermord in Ruanda begann, hatte Präsident Clinton bereits PDD25 [U.S. Presidential Decision Directive 25] erlassen, eine Direktive, die die Unterstützung der USA für friedenssichernde Maßnahmen der Vereinten Nationen an strenge Bedingungen knüpfte. [...]

8. Konzentration auf das Erreichen eines Waffenstillstands

Nach dem Tod des Präsidenten und dem Ausbruch der Gewalt konzentrierten Booh Booh und Dallaire alsbald ihre Bemühungen darauf, einen Waffenstillstand herbeizuführen. Die Berichte von UNAMIR an das Sekretariat heben folgende Elemente hervor: die Verhandlungen mit dem sogenannten Krisenkomitee und der RPF sowie die Besorgnis, die RPF könne aus dem Gebäudekomplex des CND und aus der entmilitarisierten Zone "ausbrechen". Der Völkermord, der in Kigali begann und sich anschließend auf die ländlichen Gebiete ausweitete, folgte jedoch einer völlig anderen Dynamik, als es ein erneut ausgebrochener Konflikt zwischen den beiden Parteien des Arusha-Abkommens getan hätte. Angesichts der Warnsignale hätte der wahre Charakter der Ereignisse erkannt und deutlicher und zu einem früheren Zeitpunkt gemeldet werden müssen. Exakt dieser Punkt wurde am 28. April von Nigeria im Sicherheitsrat zur Sprache gebracht, als der nigerianische Botschafter erklärte, dem Waffenstillstand werde zuviel und den Massakern zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Untersuchungskommission hält es für beunruhigend, daß die Aufzeichnungen der Treffen zwischen Mitgliedern des Sekretariats, darunter der Generalsekretär, und Vertretern der sogenannten Übergangsregierung eine fortgesetzte Herausstellung des Waffenstillstands zeigen, mehr jedenfalls als die wachsende moralische Empörung der internationalen Gemeinschaft über die Massaker. [...]

9. Mangel an analytischen Fähigkeiten

Ein Problem bei der Reaktion der Vereinten Nationen auf die Lage in Ruanda waren die offensichtlichen Schwächen, die bei der politischen Analyse vor allem seitens der UNAMIR, aber auch seitens der Zentrale zu Tage traten. Was UNAMIR anbelangt, so machte der Kommandeur der Truppe in einem Interview mit der Untersuchungskommission die sehr unpolitische Zusammensetzung der Erkundungsmission für Ruanda im August 1993 und das geringe Verständnis, das das Team hinsichtlich der dem ruandischen Friedensprozeß zugrundeliegenden politischen Realitäten besaß, als wesentliches Problem aus. Nachdem UNAMIR aufgestellt worden war, mangelte es an der Fähigkeit, Informationen auszuwerten. In der Zentrale gab es weder die notwendige Aufmerksamkeit noch waren institutionelle Ressourcen vorhanden, um Frühwarnungen zu registrieren und Risikoanalysen durchzuführen. Sehr viel wäre durch eine aktivere, auf die Identifizierung von Konfliktrisiken oder Spannungen abgestellte Präventivpolitik gewonnen gewesen, beispielsweise durch eine institutionalisierte Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und NGOs sowie eine bessere Koordination der verschiedenen mit Ruanda befaßten Abteilungen der Vereinten Nationen.

Eine entscheidende Frage bei der Auswertung des Informationsflusses ist, ob es möglich gewesen wäre, den Völkermord vorherzusehen. Die Untersuchungskommission hat in Interviews mit Ruandern und internationalen Akteuren sehr unterschiedliche Antworten auf diese Frage erhalten. Wie oben erwähnt, enthielten die Menschenrechtsberichte von NGOs und der Vereinten Nationen für 1993 frühe Hinweise auf die Gefahr eines Völkermords. Die Untersuchungskommission ist der Ansicht, daß diese Berichte bei der Planung von UNAMIR keine ausreichende Berücksichtigung gefunden haben. UNAMIR wurde als traditionelle friedens sichernde Mission nach Kapitel VI betrachtet, eingerichtet auf Antrag der Parteien in einem Konflikt zwischen zwei Seiten, um diese bei der Durchführung eines Friedensabkommens zu unterstützen. Trotz der Warnsignale beim Zustandekommen von Arusha, daß insbesondere Extremisten in der Partei des Präsidenten den Friedensprozeß und eine Teilung der Macht nicht wirklich unterstützten, scheint es so gut wie keine Planung für den Fall gegeben zu haben, daß das Friedensabkommen gefährdet werden könnte. UNAMIR wurde ohne eine Rückfallposition oder ein Worst-case-Szenario eingerichtet. Es gab Warnzeichen, daß in Ruanda die Möglichkeit eines Völkermords bestand, und darüber hinaus eindeutige Hinweise, daß Massenmorde geplant waren und eventuell Anfang 1994 stattfinden könnten. Es ist zum Teil der unzutreffenden Analyse, sowohl durch UNAMIR und das Sekretariat als auch durch wichtige Mitgliedstaaten, zuzuschreiben, daß unterlassen wurde, eine entschiedene Antwort hinsichtlich dieser Warnungen zu formulieren. [...]

10. Fehlender politischer Wille der Mitgliedstaaten

Ein weiterer Grund für das Versagen der internationalen Gemeinschaft in Ruanda war der fehlende politische Wille, UNAMIR mit den für die Mission notwendigen personellen und materiellen Ressourcen auszustatten. Selbst nach der Entscheidung des Sicherheitsrates, einen Versuch zu unternehmen, dem Morden Einhalt zu gebieten, und nach der Revision seines Beschlusses, UNAMIR zu verkleinern, bestand die Schwierigkeit, von den Mitgliedstaaten Truppen gestellt zu bekommen, der sich das Sekretariat von Anfang an ausgesetzt sah, weiter fort. Auch während der dringlichen Versuche zur Aufstellung von UNAMIR II im Mai und Juni war das der Fall. In den Wochen nach der Entscheidung des Sicherheitsrates, UNAMIR auf 5000 Mann zu verstärken, war die fehlende Bereitschaft, Truppen nach Ruanda zu entsenden, in beklagenswerter Weise offensichtlich. Das Sekretariat ersuchte wochenlang um Truppen, mit geringem Erfolg. [...]

Zusammenfassend kann zwar Kritik an den Fehlern und begrenzten Fähigkeiten der UNAMIR-Truppen geübt werden, die Verantwortlichkeit der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, die sich nicht bereit zeigten, Truppen oder Material nach Ruanda zu entsenden, sollte jedoch nicht vergessen werden.

Der politische Wille der Mitgliedstaaten, Truppen für friedenssichernde Missionen zu entsenden, ist natürlich der Schlüssel zur Fähigkeit der Vereinten Nationen, auf einen Konflikt zu reagieren. Die Initiative zur Bereitstellung von Verfügungstruppen [stand-by arrangements initiative] ist deshalb sehr zu begrüßen, da sie sich des Problems fehlender Truppen bei der Aufstellung einer Mission annimmt. Ein System zur Schaffung von Verfügungstruppen ist jedoch ebenso vom Willen der Mitgliedstaaten abhängig, in einer bestimmten Situation Truppen und sonstiges Personal zur Verfügung zu stellen.

Allgemein ist zum Erfordernis des politischen Willens anzumerken, daß ein solcher Wille für Konflikte überall auf der Welt gleichermaßen mobilisiert werden muß. Während der von der Untersuchungskommission durchgeführten Befragungen wurde wiederholt erklärt, daß Ruanda für Drittländer nicht von strategischem Interesse sei und daß die internationale Gemeinschaft angesichts der Gefahr einer Katastrophe in diesem Land im Vergleich zu andernorts ergriffenen Maßnahmen mit zweierlei Maß gemessen habe.

11. Versagen beim Schutz führender Politiker

UNAMIR war mit dem Schutz einer Reihe von Politikern beauftragt, die von Bedeutung für die Umsetzung des Abkommens von Arusha waren. Als nach dem Absturz des Präsidentenflugzeuges die Gewalt ausbrach, wurden moderate und oppositionelle Politiker schnell zu Zielen. Einige von ihnen konnten gerettet werden, unter ihnen der designierte Premierminister Twagiramungu. Eine Reihe anderer Politiker jedoch wurde von Mitgliedern der Präsidentengarde und von Elementen der ruandischen Armee getötet. Unter den Ermordeten waren die Premierministerin Agathe Uwilingiyimana, der Chef der Liberalen Partei Landoald Ndasingwa sowie der ehemalige Außenminister Boniface Ngulinzira. Der Präsident des Verfassungsgerichts Joseph Kavaruganda wurde von bewaffneten Elementen der ruandischen Armee entführt und nie mehr gesehen. In diesen Fällen gelang es UNAMIR nicht, den Personen den erforderlichen Schutz zu gewähren.

[...]

12. Versagen beim Schutz von Zivilisten

Die Rolle der UNAMIR beim Schutz von Zivilisten während des Genozids ist eines der umstrittensten und schmerzhaftesten Themen in diesem Zeitraum. Mitglieder der UNAMIR unternahmen erhebliche Anstrengungen, um Zivilisten, die sich während der Massaker in Lebensgefahr befanden, Schutz zu bieten, und begaben sich dabei manchmal selbst in Gefahr. Es scheint jedoch zu diesem Punkt keine spezifischen und konsistenten Befehle gegeben zu haben. Während der ersten Tage des Genozids versammelten sich tausende Zivilisten an Orten, an denen UN-Truppen stationiert waren, u.a. im Amahoro-Stadion und der Ecole Technique [ETO] in Kicukiru. Als die UNAMIR sich später aus den Gebieten, die unter ihrem Schutz standen, zurückzog, wurden Zivilisten in Gefahr gebracht. Tragischerweise liegen Beweise dafür vor, daß in bestimmten Fällen das Vertrauen, das die Zivilisten der UNAMIR entgegenbrachten, dazu führte, daß sie sich nach dem Rückzug der UN-Truppen in größerer Gefahr befanden, als das sonst der Fall gewesen wäre.

Nach Angaben des Kommandeurs der Truppen und seines Stellvertreters wurde der Befehl zur Evakuierung nicht von der UNAMIR-Zentrale ausgegeben. Der Befehl kam anscheinend vom belgischen Kommando innerhalb der UNAMIR. Es besteht kein Zweifel, daß die Entscheidung, die Schule zu evakuieren und Tausende von Flüchtlingen zurückzulassen, die dann der Gnade der draußen wartenden Interahamwe-Truppen ausgeliefert waren, der ruandischen Bevölkerung und vor allem den Überlebenden des Völkermords große Qualen bereitet hat. Die Erkenntnis, daß die Vereinten Nationen wissentlich eine Gruppe von Zivilisten im Stich ließ, hat das Vertrauen in die Vereinten Nationen erheblich beschädigt. Als das UNAMIR-Kontingent die ETO räumte, konnte kein Zweifel an der Gefahr eines Massakers bestehen, das die Zivilisten erwartete, die dort Zuflucht gesucht hatten.Tatsächlich hatten Interahamwe und RGF bereits Tage zuvor vor der Schule Aufstellung genommen. Die Art, in der die Truppen das Gebäude verließen, wozu auch Versuche zählten, die Flüchtlinge im Glauben zu lassen, daß es keinen Abzug gebe, war beschämend. Wenn eine Entscheidung von so großer Tragweite wie die zur Evakuierung der ETO ohne Befehl des Kommandeurs der Streitkräfte getroffen wurde, zeigt dies gravierende Kommando- und Kontrollprobleme innerhalb der UNAMIR. [...]

13. Versagen beim Schutz des einheimischen Personals

[...]

Die Untersuchungskommission traf sich mit mehreren Personen, die zum Zeitpunkt des Genozids dem einheimischen Personal der Vereinten Nationen angehörten. Bei der Evakuierung des internationalen zivilen Personals der Vereinten Nationen wurde das nationale Personal zurückgelassen. Unter dem einheimischen Personal herrscht erhebliche Bitterkeit darüber, daß seiner Auffassung nach bei den Vereinten Nationen hinsichtlich der Sicherheit verschiedener Personengruppen mit zweierlei Maß gemessen wird. Es wurde sogar behauptet, daß sich das Personal der Vereinten Nationen aufgrund seiner Beschäftigung im Rahmen der UN-Mission einem erhöhten Risiko ausgesetzt sah. Die Regeln der Vereinten Nationen schließen derzeit eine Evakuierung des einheimischen Personals aus. Die damals getroffenen Entscheidungen mögen zwar den Regeln der Vereinten Nationen entsprochen haben, es besteht jedoch kein Zweifel, daß diese Regeln das wechselseitige Vertrauen innerhalb des Personals beschädigt haben. Die Untersuchungskommission ist der Ansicht, daß die darauf erfolgte Änderung der Regeln, die es nun ermöglicht, einheimisches Personal innerhalb des Landes zu verlegen, ein Schritt in die richtige Richtung ist; sie ist aber auch der Meinung, daß es notwendig ist, in Fällen, in denen eine solche Verlegung keine geeignete Option darstellt, aktiv eine Evakuierung als Möglichkeit in Betracht zu ziehen. [...]

14. Der Informationsfluß

[...] Es bestanden Probleme beim Informationsfluß von der Mission vor Ort zur Zentrale. UNAMIR legte eine Reihe zutiefst beunruhigender Berichte vor, die zusammengenommen massive Warnungen darstellten, daß die Lage in Ruanda zu einem Ausbruch ethnisch motivierter Gewalt führen könnte. UNAMIR, der Zentrale der Vereinten Nationen und den Regierungen wichtiger Länder standen Informationen über eine Strategie zur Ausrottung der Tutsi, über anhaltende organisiert durchgeführte ethnische und politische Morde, über Todeslisten sowie Berichte über den Import von Waffen und deren Verteilung an die Bevölkerung und über Haßpropaganda zur Verfügung. Es war ein folgenschwerer Fehler der Zentrale der Vereinten Nationen und von UNAMIR, aber auch seitens der von UNAMIR unterrichteten Regierungen, insbesondere Belgiens, Frankreichs und der Vereinigten Staaten, daß nicht mehr unternommen wurde, um diesen Informationen nachzugehen und zu einem frühen Zeitpunkt darauf zu reagieren. Das Ausbleiben entschiedener Maßnahmen nach Erhalt von Dallaires Telegramm zeigt nur einen Ausschnitt aus dem Gesamtbild ausbleibender Reaktionen auf frühe Warnsignale. Auch die Tatsache, daß die Vereinten Nationen diese Informationen in engem Kontakt mit bestimmten wichtigen Regierungen weitergaben, ändert nichts daran, daß sie durchweg genauso detailliert dem gesamten Sicherheitsrat zu Kenntnis hätten gegeben werden müssen. [...]

16. Nationale Evakuierungen: Internationale Truppen in unterschiedlichen Rollen

Die rasche Aufstellung nationaler Kontingente zur Evakuierung von Ausländern aus Kigali hat viele Leben gerettet. Dennoch gibt die fehlende Vorab-Koordination mit den Vereinten Nationen Anlaß zur Besorgnis. Die Führung der UNAMIR oder die Leitung des Sekretariats hätte besser über die geplanten Evakuierungen unterrichtet werden müssen.

Die Schnelligkeit, mit der etwa die französische Operation binnen Stunden nach dem Abschuß des Präsidentenflugzeugs zustande kam, zeigt auch eine unterschiedliche Beurteilung der Lage zwischen wichtigen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und UNAMIR. Unmittelbar nach Erhalt der Information über den Absturz betrachteten Frankreich, Belgien, die USA und Italien offensichtlich die Lage als so brisant, daß sie eine sofortige Evakuierung ihrer Staatsbürger für geboten hielten. Während der ersten Stunden nach dem Absturz hatte hingegen UNAMIR noch damit zu kämpfen herauszufinden, was wirklich geschehen war, und eine elementare Kommunikation zwischen ihren Einheiten herzustellen.

Besonderen Anlaß zur Sorge sieht die Untersuchungskommission in der Sonderrolle, die belgische Truppen in diesen entscheidenden Stunden einnahmen. Das belgische Kontingent war nach wie vor das am besten ausgerüstete und stärkste der UNAMIR. Die Ankunft der nationalen belgischen Truppen verzerrte die Wahrnehmung des Kibat-Kontingents. Dallaire erklärte der Untersuchungskommission außerdem, die zu UNAMIR gehörigen belgischen Truppen hätten Befehle von der Evakuierungsstreitmacht angenommen und Material mit ihr geteilt. Dies untergrub die Handlungsfähigkeit von UNAMIR in den ersten Tagen des Völkermords.

17. Opération Turquoise

Die unter französischer Leitung stehende Opération Turquoise wurde mit Genehmigung des Sicherheitsrates durchgeführt, unterstand jedoch nicht dem Kommando der Vereinten Nationen. Die Untersuchungskommission beschränkt ihre Analyse der Opération Turquoise auf diejenigen Elemente, die unmittelbar für ihre Aufgabe, die Rolle der Vereinten Nationen bis zum Juli 1994 zu untersuchen, von Bedeutung sind.

[...]

Nachdem die DPKO über einen Monat lang versucht hatte, Truppen zur Erweiterung von UNAMIR II zu finden, hat die plötzliche Verfügbarkeit tausender Soldaten für die Opération Turquoise wie auch die schnelle Aufstellung nationaler Evakuierungstruppen die unterschiedlich starke Ausprägung des politischen Willens offengelegt, Personal für Ruanda zu stellen. Die Untersuchungskommission hält es für bedauerlich, daß die von Frankreich und anderen Ländern für die Opération Turquoise eingesetzten Ressourcen nicht stattdessen UNAMIR II verfügbar gemacht werden konnten.

[...]

19. Abschließende Bemerkungen

Einige Wochen vor der Vorlage dieses Berichts veröffentlichte der Generalsekretär am 15. November 1999 einen Bericht über den Fall Srebrenicas (ref A/54/549). Einige der Kritikpunkte, die in diesem Bericht gegen das Vorgehen der Vereinten Nationen erhoben wurden sowie die daraus gelernten Lektionen sind auch für die vorliegende Analyse der Rolle der Vereinten Nationen in Ruanda von Bedeutung.

Dazu gehört folgende Feststellung: "Einem vorsätzlichen und systematischen Versuch, ein ganzes Volk zu terrorisieren, zu vertreiben oder zu ermorden, muß mit Entschiedenheit, mit allen notwendigen Mitteln sowie mit dem politischen Willen, eine solche Politik bis zu ihrem logischen Abschluß auszuführen, entgegengetreten werden." (§ 502). Angesichts der Gefahr eines Völkermordes in Ruanda und der späteren systematischen Durchführung desselben waren die Vereinten Nationen zum Handeln über die Grenzen traditioneller Friedenssicherung hinaus verpflichtet. Letztlich kann es angesichts eines Völkermordes keine Neutralität geben, keine Unparteilichkeit angesichts einer Kampagne zur Ausrottung eines Teils der Bevölkerung. Die Präsenz von Friedenstruppen der Vereinten Nationen in Ruanda mag zwar anfangs als traditionelle Operation zur Friedenssicherung angelegt gewesen sein, deren Aufgabe darin bestand, die Umsetzung eines bereits bestehenden Friedensabkommens zu überwachen; bei Ausbruch des Völkermords jedoch hätte den Entscheidungsträgern der Vereinten Nationen, vom Generalsekretär und dem Sicherheitsrat bis hin zu leitenden Mitarbeitern des Sekretariats und der Führung der UNAMIR, klar werden müssen, daß das ursprüngliche Mandat und sogar die neutrale Vermittlerrolle der Vereinten Nationen nicht mehr angemessen und eine andere, entschiedenere Reaktion sowie die dafür erforderlichen Mittel notwendig waren.

Die Untersuchungskommission stimmt mit dem Generalsekretär darin überein, daß die internationale Gemeinschaft, wenn sie "... ein feierliches Versprechen ablegt, unschuldige Zivilisten vor Massakern zu beschützen, auch bereit sein muß, dieses Versprechen mit den erforderlichen Mitteln zu unterstützen" (§ 504). Die Erfahrungen während des Völkermordes in Ruanda machen es erforderlich hinzuzufügen, daß die Vereinten Nationen sich bewußt sein müssen, daß ihre Gegenwart in Konfliktgebieten unter den Zivilisten auch die Erwartung auslöst, beschützt zu werden, und daß dies bei der Analyse der zur Durchführung einer Operation erforderlichen Mittel berücksichtigt werden muß. Unabhängig davon, ob das Mandat einer Friedensmission ausdrücklich eine Verpflichtung zum Schutz von Zivilisten enthält, zeigt der Völkermord in Ruanda, daß die Vereinten Nationen bereit sein müssen, auf die durch ihre Präsenz entstehenden Annahmen und Schutzerwartungen zu reagieren.

In seinem Bericht forderte der Generalsekretär die Mitgliedstaaten auf, sich auf einen Prozeß des Nachdenkens einzulassen, um die Fähigkeit der Vereinten Nationen, auf verschiedene Formen von Konflikten zu reagieren, zu klären und zu verbessern. Insbesondere hob er die tiefe Kluft zwischen Mandat und Mitteln sowie die Aufrechterhaltung einer institutionellen Ideologie der Unparteilichkeit sogar angesichts eines versuchten Genozids hervor. Wie aus dem oben Gesagten klar hervorgeht, waren diese beiden Punkte mit ausschlaggebend für das Versagen der Vereinten Nationen in Ruanda. Die Untersuchungskommission ist der Ansicht, daß der im Srebrenica-Bericht vorgeschlagene Analyse- und Diskussionsprozeß unverzüglich aufgenommen werden sollte, so daß es zu einer Auseinandersetzung mit den Fehlern bei der Friedenssicherung am Ende dieses Jahrhunderts kommt und den Herausforderungen des nächsten begegnet werden kann. Die Untersuchungskommission hofft, daß der vorliegende Bericht weitere Impulse für diesen Prozeß gibt.

Was die Fähigkeit und Bereitschaft der Vereinten Nationen zur Durchführung von friedenssichernden Operationen betrifft, müssen aus der Krise in Ruanda auch institutionelle Lektionen gelernt werden. Außerdem müssen jedoch Lektionen gelernt werden, die speziell das Verhältnis zwischen den Vereinten Nationen und Ruanda betreffen.

Die Vereinten Nationen haben die Bevölkerung Ruandas während des Völkermords 1994 im Stich gelassen. Für dieses Versagen hätten sich die Vereinten Nationen als Organisation, aber auch ihre Mitgliedsstaaten, deutlicher, offener und viel früher entschuldigen müssen. In dem vorliegenden Bericht wird versucht, Tragweite und Gründe dieses Versagens zu identifizieren. Auf der Grundlage der Schlußfolgerungen, die über die Probleme bei der Reaktion der Vereinten Nationen gezogen wurden, hat die Untersuchungskommission auch Empfehlungen für die Zukunft formuliert. Damit hofft die Untersuchungskommission, eine Grundlage zu schaffen, auf der sich eine bessere Beziehung zwischen der Regierung und der Bevölkerung von Ruanda auf der einen und den Vereinten Nationen auf der anderen Seite entwickeln kann. Dazu ist auf beiden Seiten aufrichtiger Wille zur Versöhnung erforderlich. [...]

IV. Empfehlungen

[...]

1. Ein Aktionsplan zur Verhinderung von Völkermord. Die Untersuchungskommission schlägt vor, daß der Generalsekretär einen Aktionsplan der Vereinten Nationen zur Verhinderung von Völkermord initiiert. Mehr als fünf Jahre nach dem Völkermord ist jetzt die Zeit gekommen, die in der Völkermordkonvention enthaltene Verpflichtung, Völkermord zu "verhindern und bestrafen", in der alltäglichen Arbeit der Vereinten Nationen Wirklichkeit werden zu lassen. Der Plan sollte darauf ausgerichtet sein, im gesamten System Bewußtsein und Fähigkeit zur Verhinderung und zu Gegenreaktionen bei Völkermord und massiven Menschenrechtsverletzungen zu verbessern, und er sollte zur praktischen Anwendung der aus den Tragödien in Ruanda und im ehemaligen Jugoslawien gelernten Lektionen führen. Alle Elemente des Systems der Vereinten Nationen, einschließlich der Mitgliedstaaten, sollten überprüfen, welche aktiven Maßnahmen sie treffen können, um gegen diese fürchterlichen Verbrechen vorzugehen. Der Plan sollte einen Nachfaßmechanismus enthalten, um sicherzustellen, daß diese Maßnahmen tatsächlich getroffen werden. Ein Aktionsplan zur Verhinderung von Völkermord könnte einen konkreten Beitrag zur Weltkonferenz gegen Rassismus, rassische Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und verwandte Formen der Intoleranz leisten, die 2001 zusammentritt.

Als Bestandteil des Plans sollten die Bemühungen zur Verbesserung der Frühwarn- und Präventionsfähigkeiten die Genozidprävention als besonderes Element einschließen. Das Personal in der Zentrale, in Vertretungen und Programmen und nicht zuletzt vor Ort sollte besonders ausgebildet werden, um Warnsignale erkennen, analysieren und in erforderlich Maßnahmen umsetzen zu können. Dabei sollten die im Laufe der letzten Jahre im Rahmen der Internationalen Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda erworbenen Kompetenzen angewandt werden. Im technischen Bereich sollte über eine verbesserte Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten und den Vereinten Nationen die Fähigkeit, Medien zu blockieren, die Haßpropaganda verbreiten, erhöht werden. Der Plan sollte die Einrichtung von Netzwerken zur Zusammenarbeit mit humanitären Organisationen, wissenschaftlichen Einrichtungen sowie anderen Nichtregierungsorganisationen vorsehen, um so die Kapazität für Frühwarnung und zeitiges Handeln zu verbessern. Zwischen dem Sekretariat und dem Sicherheitsrat sollte ein intensivierter Dialog über die Notwendigkeit von Präventiv- und, falls erforderlich, Zwangsmaßnahmen hergestellt werden, um in Zukunft gegen Völkermord und andere massive Menschenrechtsverletzungen vorgehen zu können.

Die Planung für friedenssichernde Operationen sollte, sobald dies relevant sein könnte, die Verhinderung eines Völkermordes als eigenständiges Element enthalten. Wenn sich eine friedenssichernde Mission in einer Situation befindet, in der sie möglicherweise mit der Gefahr von Massenmorden oder Völkermord konfrontiert wird, muß im Mandat und in den Regeln für ein Eingreifen deutlich gemacht werden, daß die traditionelle Neutralität in einem solchen Fall keine Gültigkeit haben kann, und der Mission sind von Anfang an die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Wenn es erforderlich ist, muß eine Situation als Völkermord identifiziert und die daraus folgende Verpflichtung zum Handeln akzeptiert werden. Die Staaten müssen bereit sein, eine Situation als Völkermord zu identifizieren, sofern die Kriterien für dieses Verbrechen erfüllt sind, und die Verantwortung zum Handeln übernehmen, die an diese Definition gebunden ist. Der Verhinderung der Eskalation einer Krise zum Völkermord oder der Eruption eines Genozids muß mehr Beachtung geschenkt werden.

2. Die Untersuchungskommission schlägt vor, Maßnahmen zu treffen, durch die die Fähigkeit der Vereinten Nationen zur Durchführung von friedenssichernden Operationen verbessert und insbesondere die schnelle Stationierung der Missionen vor Ort gewährleistet wird. Dieses Problem ist nicht neu, und ähnliche Vorschläge wurden bereits von anderen Gremien vorgelegt; es besteht jedoch weiterhin, obwohl wiederholt auf diese Notwendigkeit hingewiesen wurde. Die Vereinten Nationen sind nach wie vor die einzige Organisation, die Maßnahmen zur Friedenserhaltung weltweit Legitimität verleihen kann. Es lassen sich zwar wichtige Initiativen auf regionaler Ebene durchführen, die Vereinten Nationen müssen aber bereit und willens sein, die in ihrer Charta festgehaltene Verantwortung für internationalen Frieden und Sicherheit zu übernehmen, unabhängig davon, wo sich ein Konflikt ereignet. Die Untersuchungskommission hofft, daß der Generalsekretär und die Mitgliedsstaaten der Organisation die Gelegenheit nutzen, die ihnen der Jahrtausendgipfel und die Generalversammlung im kommenden Jahr [2000] geben, um den politischen Willen zu mobilisieren, der zur Lösung der aktuellen Probleme der Friedenserhaltung der Vereinten Nationen erforderlich ist, und die bevorstehenden Herausforderungen sowie die Lektionen, die aus vergangenen Fehlern gelernt werden müssen, wozu auch Ruanda gehört, und schließlich die Möglichkeiten, den zukünftigen Herausforderungen zu begegnen, klar ins Auge zu fassen.

Dies schließt insbesondere folgendes ein:
  • Sicherstellung der für die Friedenserhaltung erforderlichen Ressourcen. Die Mitgliedstaaten müssen bereit sein, den Vereinten Nationen kurzfristig die erforderlichen Truppen zur Verfügung zu stellen. Die Beteiligung an Initiativen wie der zur Bereitstellung von Verfügungstruppen der Vereinten Nationen muß stärker werden, ihr muß jedoch, und dies ist genau so wichtig, der entsprechende politische Wille gegenüberstehen, diese Ressourcen in einer konkreten Konfliktsituation auch einzusetzen.
    Die Glaubwürdigkeit der Friedenssicherung der Vereinten Nationen ist davon abhängig, daß die Operationen die Ressourcen erhalten, die sie benötigen, um ihr Mandat zu erfüllen. Ebenso erfordert sie, daß Länder, die Truppen zur Verfügung gestellt haben, diese nicht einseitig aus einer Friedensoperation zurückziehen, wenn angenommen werden kann, daß dieser Rückzug die betreffende Mission aufs Spiel setzt oder gefährdet. Jegliche Entscheidung zum Rückzug oder zur Verkleinerung eines Kontingents muß genau mit dem Sekretariat koordiniert werden.
  • Erhöhte Bereitschaft zu einer Notfallplanung, sowohl für zu erwartende, neue Friedensoperationen als auch, falls erforderlich, zur Anpassung des Mandats bestehender Operationen.
  • Maßnahmen zur schnelleren Bereitstellung logistischer Ressourcen für Kontingente, denen Material fehlt, entweder durch verbesserten Einsatz der logistischen Basis in Brindisi oder durch Spendenbeiträge. Das Sekretariat muß mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet werden, um als Clearingstelle für Bedürfnisse, verfügbare Materialien und Ausbildungsmöglichkeiten zu fungieren. Zwischen den Vereinten Nationen und den relevanten regionalen und subregionalen Organisationen sollten konkrete Gespräche darüber geführt werden, wie die Verfügbarkeit von Material für Friedensoperationen verbessert werden kann. Die Untersuchungskommission empfiehlt dringend, daß mehr Nachdruck auf die Deckung des beständig auftretenden Bedarfs von Truppenkontingenten aus Entwicklungsländern an logistischer Unterstützung gelegt wird.
  • Gewährleistung der Übereinstimmung des Mandats mit den Erfordernissen vor Ort. Das wesentliche Kriterium bei der Formulierung von Mandaten muß die vor Ort erforderliche Präsenz sein, nicht kurzfristige finanzielle Beschränkungen. Dem Sicherheitsrat sollten Vorschläge vorgelegt werden, die den wirklichen Erfordernissen einer Mission entsprechen, und nicht solche, die einem scheinbar zuvor erzielten Konsens entsprechen. Mandate müssen schon zu Beginn einer Mission ausreichend robust sein. Sie sollten auch flexibel genug sein, um dem Kommandeur der Truppe hinreichenden Handlungsspielraum zu gewähren, um auf Veränderungen der Umstände vor Ort reagieren zu können.
  • Gewährleistung einer sorgfältig vorbereiteten Ankunft der Operationsleitung. Der Sonderbeauftragte des Generalsekretärs sollte frühzeitig ernannt werden, vorzugsweise Erfahrungen mit Friedensverhandlungen haben, die eventuell einer Friedensmission vorausgegangen sind, und seinen Posten im Missionsgebiet als einer der ersten antreten. Eine gute Zusammenarbeit zwischen der zivilen und militärischen Leitung einer Mission ist von entscheidender Bedeutung.
  • Gewährleistung der umfassenden Koordination zwischen dem Sekretariat und anderen an der Planung und Aufstellung von friedenssichernden Operationen beteiligten Einrichtungen. Außerdem ist es von Wichtigkeit, die Koordination und Kooperation zwischen Friedensoperationen und im Missionsgebiet aktiven NGOs zu verbessern.
  • Integration der aus früheren Missionen gelernten Lektionen in die Planung neuer Frie dens operationen.
  • Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Vereinten Nationen auf der einen und regionalen und subregionalen Organisationen auf der anderen Seite. Bestehende Kontakte sollten intensiviert werden, nicht zuletzt um die konkrete Zusammenarbeit bei Maßnahmen zur Friedenssicherung zu verbessern. Die Anzahl regelmäßiger, direkter Kontakte zwischen dem Sicherheitsrat und Vertretern von regionalen und subregionalen Organisationen, die im Bereich Frieden und Sicherheit tätig sind, sollte erhöht werden.
  • Es sollten grundsätzlich keinerlei Zweifel daran bestehen, welche Regeln für ein Eingreifen während der Durchführung einer Friedensmission gelten. Die Regeln für ein Eingreifen müssen offiziell von der Zentrale genehmigt werden.

3. Die Vereinten Nationen, insbesondere der Sicherheitsrat und die Truppen zur Verfügung stellenden Länder, müssen bereit sein, Maßnahmen zur Verhinderung von Völkermord oder groben Menschenrechtsverletzungen zu treffen, unabhängig davon, wo sie sich ereignen. Der politische Wille zum Handeln sollte sich nicht nach unterschiedlichen Standards richten.

4. Verbesserung der Frühwarnkapazität der Vereinten Nationen, vor allem der Fähigkeit, Informationen zu analysieren und entsprechend zu reagieren. In verschiedenen Teilen des Sekretariats sind Maßnahmen getroffen worden, um das Bewußtsein dafür zu erhöhen, daß die Wahrnehmung von Frühwarnzeichen und rechtzeitiges Handeln nötig sind. Dennoch ist die Untersuchungskommission der Ansicht, daß sowohl die Fähigkeit der Organisation, Informationen über mögliche Konflikte zu analysieren und entsprechend zu handeln, als auch die operationale Fähigkeit zu Präventivmaßnahmen weiterhin verbessert werden müssen. Eine weitere Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen des Sekretariats, UNSECOORD, Programmen und Einrichtungen sowie außenstehenden Akteuren in Form von regionalen und subregionalen Organisationen, NGOs und wissenschaftlichen Einrichtungen ist von wesentlicher Bedeutung. Wie unter Abschnitt 1 oben beschrieben, ist die Untersuchungskommission der Ansicht, daß die Verhinderung von Völkermord im Rahmen von Maßnahmen zur Frühwarnung besondere Aufmerksamkeit erhalten sollte.

5. Verbesserung des Schutzes von Zivilisten in Konflikten und potentiellen Konfliktsituationen. Die Mandate von Friedensoperationen sollten, wann immer dies erforderlich ist, spezielle Vorkehrungen für den Schutz von Zivilisten enthalten und garantieren, daß die dafür notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden. In diesem Zusammenhang spricht sich die Untersuchungskommission für die verstärkten Bemühungen des Generalsekretärs und des Sicherheitsrats aus, den im vor kurzem veröffentlichten Bericht des Generalsekretärs zum Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten (S/1999/957) enthaltenen Empfehlungen nachzukommen. Eine starke und unabhängige Position des Generalsekretärs ist ein wesentlicher Bestandteil der Konfliktprävention der Vereinten Nationen. Bei seinen Bemühungen, eine frühe Lösung für Konflikte zu finden, gebührt dem Generalsekretär die anhaltende Unterstützung der Mitgliedstaaten der Organisation.

6. Weitere Erhöhung der Sicherheit für das Personal der Vereinten Nationen und ihrer Partner, einschließlich des einheimischen Personals. Der Generalsekretär sollte aktiv in Erwägung ziehen, die Möglichkeiten einer Evakuierung des nationalen Personals der Vereinten Nationen zu erweitern. Angehörige des nationalen Personals müssen eindeutig über die für sie geltenden Regeln informiert werden. Im Falle einer Evakuierung darf es keinen Raum für Mißverständnisse über ihren Status geben.

7. Gewährleistung einer umfassenden Zusammenarbeit zwischen den für die Sicherheit verschiedener Kategorien von UN-Personal vor Ort Verantwortlichen. Gewährleistung funktionierender Kommunikationsmittel zwischen den Verantwortlichen.

8. Verbesserung des Informationsflusses innerhalb des Systems der Vereinten Nationen. [...]

9. Weitere Verbesserung des Informationsflusses zum Sicherheitsrat. [...]

10. Verbesserung des Informationsflusses zu Menschenrechtsthemen. Informationen über Menschenrechte müssen selbstverständlich zu einem Teil der Grundlage für die Entscheidungsfindung bei friedenssichernden Operationen werden, sowohl innerhalb des Sekretariats als auch im Sicherheitsrat. Berichte des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat sollten eine Analyse der Menschenrechtslage in dem betreffenden Konflikt enthalten. Informationen über Menschenrechte müssen Auswirkungen auf die internen Überlegungen des Sekretariats zu Frühwarnungen, Präventivmaßnahmen und Friedenserhaltung haben. Es müssen verstärkte Bemühungen unternommen werden, um zu gewährleisten, daß das Personal der UN-Missionen vor Ort über die erforderliche Kompetenz in Sachen Menschenrechte verfügt.

11. Nationale Evakuierungsoperationen müssen mit den UN-Missionen vor Ort koordiniert werden. [...]

13. Die internationale Gemeinschaft sollte die Bemühungen unterstützen, die Gesellschaft in Ruanda nach dem Völkermord wiederzuerrichten, und dabei der Notwendigkeit des Wiederaufbaus, der Aussöhnung und der Respektierung der Menschenrechte besondere Beachtung schenken. Spender sollten sich darüber im klaren sein, daß es sehr wichtig ist, auf die Bedürfnisse der Überlebenden, der zurückkehrenden Flüchtlinge und anderer Gruppen, die unter dem Völkermord gelitten haben, in gleichem Maße einzugehen.

14. Die Vereinten Nationen sollten ihre Verantwortung anerkennen, nicht genug unternommen zu haben, um den Völkermord zu verhindern oder zu stoppen. Der Generalsekretär sollte aktiv nach Möglichkeiten eines Neuanfangs in den Beziehung zwischen den Vereinten Nationen und Ruanda suchen und dabei einerseits die Fehler der Vergangenheit anerkennen, andererseits aber auch eine Verpflichtung für zukünftige Zusammenarbeit herstellen.

[...]

Anmerkungen:
1 Generalleutnant Romeo A. Dallaire, Kommandeur von UNAMIR.
2 General Maurice Baril, Militärberater des UN-Generalsekretärs.
3 Kofi Annan, Untergeneralsekretär für Friedensoperationen.
4 Iqbal Riza, Beigeordneter Generalsekretär für Friedensoperationen.
5 Jacques-Roger Booh Booh, Sonderbeauftragter des Generalsekretärs in Ruanda. Interahamwe war eine extremistische Hutu-Miliz, die die Ermordung der Tutsi vorbereitete und ihre Kämpfer in Camps der Regierungstruppen ausbildete.
7 In der Operation Clean Corridor begleitete UNAMIR am 28. Dezember 1993 600 Soldaten der Patriotischen Front nach Kigali, wo sie entsprechend dem Arusha-Abkommen im Gebäudekomplex des Conseil National de Développement (CND) untergebracht wurden.
8 Chinmaya Gharekhan, Politischer Berater des Generalsekretärs und sein Stellvertreter im Sicherheitsrat.

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