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Handschellen für die Rosenkriegerin

Frankreich/Ruanda: Wie aus Opfern Täter gemacht werden

Von Andrea Jeska *

Eine Festnahme, die nicht zu vermeiden war? Jedenfalls nicht, ohne gegen europäisches Recht zu verstoßen. Eine angekündigte Verhaftung gewissermaßen. Bereits bei seinem Deutschland-Besuch im April war Ruandas Staatschef Paul Kagame gewarnt worden, seine engste Mitarbeiterin Rose Kabuye nicht außerhalb des diplomatischen Schutzes seiner Delegation reisen zu lassen. Gegen sie gäbe es einen von Frankreich beantragten Europäischen Haftbefehl, dem auch Deutschland Folge leisten müsse.

Gegen die 47-jährige Protokollchefin des Präsidenten - sie ist Oberstleutnant in Ruandas Armee - ermittelt die französische Justiz seit gut zwei Jahren. Sie soll einen Völkermord initiiert und sich anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben. Eine komplizierte Geschichte, nun auch noch aufgeladen mit diplomatischer Brisanz, seit Kabuye am 8. November 2008 von der Bundespolizei am Frankfurter Rhein-Main-Airport verhaftet wurde. Politische Verwerfungen zwischen Deutschland und Ruanda lassen sich nicht vermeiden, erscheinen aber (noch) reparabel.

Empfehlung an die französische Justiz

Zur Vorgeschichte nur soviel: Im Jahr 2006 erlässt der Pariser Richter Jean-Louis Bruguière einen Haftbefehl gegen Rose Kabuye und andere Vertraute aus dem Umfeld des ruandischen Präsidenten. Aus der gleichen Richtung kommt bald darauf die Empfehlung an die französische Justiz, Paul Kagame selbst auf die Liste der Verursacher eines Völkermordes zu setzen.

Zur Begründung erklärt Bruguière: Kagames Partei, die Patriotische Front Ruandas (FPR), sei für den Abschuss der Präsidentenmaschine am 6. April 1994 verantwortlich gewesen, bei dem der damalige ruandische Staatschef Juvenal Habyarimana ums Leben kam. Das Attentat wurde zum Katalysator hemmungsloser Gewalt, nachdem - unterstützt von großen Teilen der Nationalarmee - Hutu-Extremisten die Macht an sich rissen und damit begannen, die Bevölkerungs­gruppe der Tutsi (auch gemäßigte Hutu-Politiker) zu massakrieren. Zwischen April und Juni 1994 starben bei diesem Genozid mindestens 800.000 Menschen, vielleicht auch eine Million, niemand weiß es genau. In den Macheten schwingenden Interahamwe-Milizen ließen sich seinerzeit junge Ruander durch das gefährliche Gemisch von pseudomilitärischem Drill und Hass-Propaganda von zweifelhaften Autoritäten zu einem Amoklauf sondergleichen verführen.

Die Pogrome waren vorbei, als die überwiegend aus Tutsi bestehende Armee der Patriotischen Front tief in das Landesinnere vorrückte, am 4. Juli 1994 die Hauptstadt Kigali und damit die Regierungsgewalt eroberte. Tausende Hutu-Kämpfer setzten sich daraufhin unter dem Schutz französischer Fallschirmjäger ins benachbarte kongolesische Exil ab.

Anklage der Regierung Mitterrand

Richter Jean-Louis Bruguière gibt sich überzeugt, dass die Geschehnisse diesen Verlauf nahmen, sei von Kagame und seinem Stab eiskalt kalkuliert wurden. Sie hätten den Präsidentenjet vom Himmel geholt, um in der aufgeheizten Atmosphäre eines aus Kolonialzeiten ererbten ethnischen Konflikts einen Gewaltausbruch zu provozieren, der ein Eingreifen der FPR rechtfertigte. Diese Version ist selbst in Frankreich höchst umstritten. Längst lassen mehrere Untersuchungen keinen Zweifel, dass der Völkermord von Hutu-Extremisten lange vor dem Flugzeugabschuss geplant war. Zudem belegt die logistische Rekonstruktion des Anschlags vom 6. April 1994: Einem Kommando der Patriotischen Front kann es nicht möglich gewesen sein, das Flugzeug abzuschießen. Der Hügel, von dem die Rakete abgefeuert wurde, stand unter Kontrolle der damaligen Präsidentengarde.

Der Streit darüber, was vor 14 Jahren tatsächlich geschah, hat mehr als eine diplomatische Zerreißprobe zwischen Frankreich und Ruanda heraufbeschworen - von einer Eiszeit im beiderseitgen Verhältnis zu reden, ist durchaus berechtigt. Die ruandische Regierung hat - unmittelbar nachdem 2006 die Haftbefehle von Richter Bruguière beantragt waren - die diplomatischen Beziehungen abgebrochen und das französische Kulturzentrum in Ruanda schließen lassen. Sie veröffentlichte im Juli 2008 zudem einen weiteren eigenen Untersuchungsreport zu Ursachen und Verlauf des Völkermordes von 1994. Darin wird Paris beschuldigt, eine aktive Rolle gespielt und den Killern der Hutu-Milizen im Juni 1994 die Flucht in den Kongo ermöglicht zu haben. Die Verantwortung dafür, dass Massenmörder nicht bestraft wurden, sondern fliehen konnten, treffe den damaligen Präsidenten Mitterrand, seinen Kabinettsdirektor Dominique de Villepin und Ex-Außenminister Alain Juppé.

Rauswurf des Botschafters

Rose Kabuye ist gleich Paul Kagame im ugandischen Exil aufgewachsen, wohin sie wie Tausende Tutsi vor Pogromen geflohen war, zu denen es in Ruanda während der siebziger und achtziger Jahren immer wieder kam. Später wurde sie militärisch ausgebildet und befreite an der Seite Kagames ihr Heimatland von den Völkermördern. In Ruanda nennt man sie in Anlehnung an ihren Vornamen "die Rosenkriegerin". Wegen ihres Einsatzes für die Aufklärung der Genozids und die Rechte der Frauen genießt Kabuye in ihrem Heimatland hohes Ansehen.

Am 8. November, dem Tag ihrer Festnahme, kam sie als Vorhut ihres Präsidenten nach Deutschland. Der folgte ihr einen Tag später, eingeladen vom Frankfurter Unternehmer Christian Angermayer (einer der größten privaten Investoren in Ruanda) und der Frankfurter Börse, um sein Land vor Vertretern der deutschen Wirtschaft als stabilen Staat zu preisen, in dem sich Kapital gewinnbringend anlegen ließe. Zweifelsfrei eine fragwürdige Offerte, tobt doch seit Wochen im benachbarten Ostkongo ein Krieg, für den Kongos Präsident Kabila vorrangig Kagame verantwortlich macht, weil der mit seiner Armee an der Seite des Rebellenkomandeurs Laurent Nkunda stehe.

Ob Rose Kabuye gerade jetzt verhaftet wurde, weil die französische Regierung die Sicht des kongolesischen Staatschefs teilt, lässt sich nicht belegen, wäre aber denkbar. Ruanda bestreitet jede Verwicklung in die Kampfhandlungen - die offizielle Position der Kagame-Regierung lautet, der Krieg in dieser Region sei allein ein Konflikt zwischen Laurent Nkunda und Joseph Kabila, niemandem sonst.

Kaum überraschend, dass unter diesen Umständen die Verhaftung der Kagame-Vertrauten weitere Kollateralschäden fordert. Ruandas Botschafter in Deutschland, Eugène-Richard Gasana, verließ auf Wunsch seines Präsidenten Berlin, während in Kigali dem deutschen Botschafter Christian Klages nahegelegt wurde, seine Koffer zu packen. Ein vorläufiger Rauswurf, hieß es, bis die Beziehungen geklärt seien.

Inoffiziellen Quellen zufolge hält sich in Frankreich die Begeisterung über das Vorgehen von Richter Bruguière und der deutschen Polizei in Grenzen, es wird damit gerechnet, dass Kabuye so schnell wie möglich nach Ruanda zurückkehren kann. In Kigali ließ derweil die Regierung erklären, nach dem ersten Schreck über die Festnahme sei man direkt erleichtert, nun endlich darauf drängen zu können, dass die erhobene Anklage mit Fakten unterfüttert werde. "Wenn die Akte geöffnet ist, wird man feststellen: sie ist leer. Es gibt nichts zu beweisen."

* Aus: Wochenzeitung "Freitag" Nr. 47, 20. November 2008


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