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Rumänien wählt Ponta, aber wen wählt Basescu?

Sozialliberale Wahlsieger warnen den Präsidenten

Von Silviu Mihai, Bukarest *

Die Sozialliberale Union (USL) hat bei den Parlamentswahlen in Rumänien fast 60 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Frage bleibt, ob Staatspräsident Traian Basescu dieses Ergebnis respektiert.

Schon vor Sonnenuntergang haben sich im Bukarester Hauptquartier der Sozialliberalen Union (USL) Kandidaten und Anhänger versammelt. Wie im Januar, als die Bukarester wochenlang heftig gegen drastische Sparmaßnahmen protestierten, leidet die Hauptstadt unter bitterer Kälte. Aber anders als damals herrscht an diesem Wahlabend Feierstimmung.

Sämtliche Umfragen hatten das Lager der Sozialliberalen als klaren Favoriten gesehen. »Aber wird es reichen, um allein regieren zu können?«, lautet die Frage. Um 21 Uhr schalten die Fernsehstationen zur Wahlleitung. Ein Beamter bestätigt, dass die Wahl abgeschlossen ist. Auf den Bildschirmen tauchen die ersten Ergebnisse auf: Der Sieg ist eindeutig. Fast 60 Prozent der Wähler haben der USL unter dem amtierenden Regierungschef Victor Ponta ihre Stimmen gegeben. Die wirtschaftsliberale Allianz (Ge)Rechtes Rumänien (ARD) um Präsident Traian Basescu erhält dagegen nur etwa 17 Prozent, wenig mehr als die rechtspopulistische Volkspartei Dan Diaconescu (PPDD) des gleichnamigen Fernsehmagnaten (14 Prozent).

Die Mehrheit der Wähler erteilt dem Sparkurs der vormaligen, von Basescu unterstützten Regierung also noch einmal eine klare Absage. Wie schon bei den Kommunalwahlen im Mai und beim Referendum über Basescus Amtsenthebung im Juli, als 86 Prozent für die Absetzung des Präsidenten stimmten. Die war damals allerdings gescheitert, weil lediglich 46 Prozent der Stimmenberechtigten zu den Urnen gingen. Auch diesmal lag die Wahlbeteiligung nur bei knapp 42 Prozent - immerhin gut zwei Punkte mehr als 2008, und das bei Kälte und Schnee.

»Das Ergebnis zeigt, dass die Mehrheit genug vom neoliberalen Kurs der letzten Jahre hat. Unsere Bürger wollen keine Privatisierung des Gesundheitssystems, keine weiteren Verkäufe von Energieunternehmen, keine Lockerung des Kündigungsrechts bei gleichzeitigen Begünstigungen für die Arbeitgeber. Es ist ihnen egal, dass der IWF und Kanzlerin Merkel Maßnahmen, die in Deutschland unvorstellbar wären, hier und in anderen Ländern Süd- und Osteuropas unbedingt durchsetzen wollen«, sagt der linke Publizist Costi Rogozanu.

Ob die USL eine Alternative zum bisherigen Sparkurs bietet, steht freilich auf einem anderen Blatt. Ein radikaler Bruch ist so gut wie ausgeschlossen. Victor Ponta hat wichtige Kompromisse in der Wirtschaftspolitik akzeptieren müssen, um möglichst viele Wähler in den strukturstärkeren Großstädten Siebenbürgens für sich zu gewinnen. Auch unter einer USL-Regierung wird es bei der 16-prozentigen Einheitssteuer auf alle Einkommen und Unternehmensgewinne bleiben. Weder die Töchter westeuropäischer Konzerne noch deren leitende rumänische Angestellte, noch die einheimischen Unternehmer sind bereit, mehr zu zahlen. Zum anderen scheut man eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Brüssel. Die Angst der Mehrheit, wieder als Außenseiter am Rande EU-Europas dazustehen, ist zu groß.

Dass ein sozialliberales Bündnis sogar die Wahlkreise der Hauptstadt erobert hat, ist ein besonders harter Schlag für das rechtsbürgerliche Lager, das seine Hochburgen verliert. Zum ersten Mal seit 20 Jahren hat sich die wohlhabende Bukarester Mittelschicht, die von Basescus Steuersenkungen am meisten profitierte, offensichtlich nicht durchgesetzt. »Das ist nur ein erster Sieg«, sagt der 34-jährige Menschenrechtsaktivist Cristian Branea, der schon an den Protesten im Frühjahr teilgenommen hat. »Vor 20 Jahren demonstrierten unsere antikommunistischen Eltern gegen den damaligen Präsidenten Ion Iliescu. Heute aber ist Rumänien ein anderes Land und wir sind eine andere Generation. Wir sind für mehr Solidarität, für die Umwelt, gegen den Sozialdarwinismus und den Raubtierkapitalismus, die heute hierzulande herrschen. Die Parlamentswahlen zu gewinnen, reicht aber nicht. Es bleibt unklar, ob Basescu den Wählerwillen überhaupt respektiert.«

Branea hat recht: Zwar kann sich die USL einer satten Parlamentsmehrheit sicher sein, aber den Regierungschef ernennt in Rumänien der Präsident. Sollte eine Partei über mehr als 50 Prozent der Sitze verfügen, muss das Staatsoberhaupt deren Vorschlag akzeptieren, besagt die Verfassung. Aber einen Victor Ponta will Basescu partout nicht ernennen. Seit Monaten besteht er darauf, dass die USL keine Partei im Sinne der Verfassung ist, sondern ein Bündnis aus Sozialdemokraten (PSD), Nationalliberalen (PNL) und Konservativen (PC).

Das Lavieren ist nicht neu. Schon 2004 und 2009 hatte Basescu die jeweilige - zugegeben fragile - Parlamentsmehrheit ignoriert, einen Premier aus dem eigenen Lager ernannt und durch undurchsichtige Geschäfte mit einzelnen Abgeordneten eine Regierungsmehrheit nach seinem Geschmack geschmiedet. Die USL befürchtet eine Wiederholung dieses Verfahrens, zumal viele Hinterbänkler alle vier Jahre das Fähnchen nach dem Wind hängen und das Lager wechseln. USL-Vizechef Crin Antonescu, bisher Senatspräsident, drohte Basescu bereits mit der Einleitung eines neuen Amtsenthebungsverfahrens, sollte er wieder tricksen.

Im USL-Hauptquartier ergreift Antonescu das Wort. »Ich danke euch für eure Stimmen. Der Ministerpräsident Rumäniens heißt Victor Ponta«, ruft er. »Ich hoffe, dass Herr Basescu vernünftig bleibt und das Wahlergebnis respektiert.« Doch niemand weiß, was der Staatspräsident nun tun wird. Verschiedene Szenarien werden durchgespielt. »Kanzlerin Merkel und Kommissionspräsident Barroso, die sich im Sommer Sorgen um den Rechtsstaat gemacht haben, müssen ihrem Kollegen aus der Europäischen Volkspartei mitteilen, dass die demokratischen Regeln auch für ihn gelten«, kommentiert ein USL-Vertreter.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. Dezember 2012


Pontas Konter

Absolute Mehrheit für Partei des rumänischen Premiers bei Parlamentswahlen. Machtkampf geht trotzdem weiter

Von Tomasz Konicz **


Die »Sozialliberale Union« (USL) des rumänischen Ministerpräsidenten Victor Ponta konnte bei den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag einen überragenden Wahlerfolg erzielen. Hochrechnungen zufolge konnte die USL zwischen 57 und 59 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen und somit klar die absolute Mehrheit erringen. Das rechte Parteienbündnis »Allianz Gerechtes Rumänien« (ARD) von Staatschef Traian Basescu kam hingen auf 18 bis 20 Prozent Wählerzuspruch. Mit 10 bis 14 Prozent der abgegebenen Stimmen landete die rechtspopulistische »Volkspartei Dan Diaconescu« (PPDD) des namensgebenden Medienmoguls auf dem dritten Platz, während die Partei der ungarischen Minderheit, die UDMR, bei rund fünf Prozent lag. Trotz ihres eindeutigen Wahlsieges kündigte die USL umgehend die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der UDMR an.

In einer ersten Stellungnahme sprach sich Ponta dafür aus, nun den »politischen Krieg« zwischen seiner Allianz aus Sozialdemokraten und Liberalen und dem EU- und deutschlandhörigen Präsidenten Basescu zu beenden, der das verarmte Land seit Monaten lähmt. Rumänien brauche nun »Frieden und Wiederaufbau«, so der Wahlsieger. Crin Antonescu, liberaler Kovorsitzender der USL, sprach noch am Wahlabend von dem »besten Ergebnis einer politischen Gruppierung nach 1990«. Dieser Wahlsieg werde »das Regime Basescus mit allem, was es verkörpert«, beenden. Der Spitzenkandidat der ARD, Vasile Blaga, sprach hingegen von einer »beispiellosen Verleumdungskampagne«, die gegen seine Partei und den Präsidenten geführt worden sei.

Dennoch bleibt fraglich, ob der Machtkampf zwischen dem autoritären Präsidenten und dem Wahlsieger nun entschieden ist, da der rumänische Präsident lauf Verfassung das Recht zur Ernennung des Regierungschefs hat. Basescu drohte noch kurz vor der Stimmabgabe, daß er Ponta auch im Fall eines Wahlsieges nicht mit der Regierungsbildung betrauen werde. Rumänien müsse weiterhin »auf Brüssel« und nicht auf »Washington, Peking oder Moskau« setzen, erklärte der Staatschef. Der Regierungschef bemühte sich umgehend, den Verdacht, er sei ein Euroskeptiker, zu entkräften und beteuerte, daß seine Regierung »proeuropäisch und proatlantisch« ausgerichtet sei. Zugleich drohten Politiker der PSU mit einem abermaligen Amtsenthebungsverfahren gegen Basescu, sollte dieser sich einer Ernennung Pontas zum Regierungschef verweigern.

Das im vergangenen Sommer von der Regierung Ponta gegen Basescu eingeleitete Verfahren konnte dieser nur dank massiver Unterstützung aus Berlin, Brüssel und Budapest überstehen. Während die Bundesregierung die rumänischen Sozialdemokraten immer stärker unter Druck setzte und Brüssel offen Sanktionen androhte, forderte Ungarns rechter Regierungschef Orban die ungarische Minderheit in Rumänien dazu auf, den Urnengang zu boykottieren. Obwohl mehr als 90 Prozent der Referendumsteilnehmer für eine Amtsenthebung stimmten, konnte Basescu sich tatsächlich im Amt halten, weil die Mindestwahlbeteiligung von 50 Prozent leicht (46 Prozent) verfehlt wurde.

Das Amtsenthebungsverfahren gegen den rumänischen Staatschef wurde eingeleitet, weil dieser immer mehr Machtbefugnisse an sich riß und eigenhändig die rabiaten Privatisierungs- und Spargesetze ausformulierte, die Bukarest auf Geheiß von IWF und Brüssel umzusetzen genötigt war. Laut rumänischer Verfassung ist aber der Staatschef nicht befugt, Gesetze auszuarbeiten. Die Unpopularität von Präsident Basecsu und seiner ARD resultiert aus dem Spardiktat, das maßgeblich zur fortgesetzten Verarmung in Rumänien beiträgt. Die rumänischen Sozialdemokraten konnten ihren überzeugenden Wahlsieg gerade mit der Kritik an diesem Kürzungskurs erringen, der Rumänien von Brüssel und Berlin oktroyiert wurde. Noch am Wahlabend betonte Ponta, daß er für mehr »soziale Solidarität« in Rumänien kämpfen werde. Als eine Priorität ihrer Regierung sieht die USL aber eine Verfassungsreform an, um künftig Entscheidungen des Verfassungsgerichts mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament überstimmen zu können.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 11. Dezember 2012


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