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Politisches Beben in Bukarest

Parlamentsmehrheit will den rechtsliberalen Staatschef Basescu des Amtes entheben

Von Silviu Mihai *

Beide Kammern des rumänischen Parlaments - Senat und Abgeordnetenkammer - berieten am Freitag über eine vorläufige Amtsenthebung von Präsident Traian Basescu. Vor der Parlamentswahl im Herbst spitzt sich der Konflikt zwischen den politischen Lagern dramatisch zu.

In der rumänischen Hauptstadt ist die politische Stimmung mindestens so heiß wie die Außentemperaturen, die derzeit bei 35 Grad liegen. Seit zwei Monaten regiert in Rumänien ein Bündnis von Sozialdemokraten (PSD) und National-Liberaler Partei (PNL) unter Führung des PSD-Chefs Victor Ponta. Am Freitagabend (nach Redaktionsschluss) wollte die Regierungsmehrheit ihren Erzfeind, den rechtsliberalen Staatspräsidenten Traian Basescu, des Amtes entheben. Im Falle einer Zustimmung, die als sicher galt, müsste sich Basescu innerhalb von 30 Tagen einem Referendum unterziehen, wobei seine Erfolgschancen viel geringer sind als 2007. Damals hatten die Sozialdemokraten ein ähnliches Verfahren gegen den Präsidenten eingeleitet, waren aber am Volksentscheid gescheitert. Basescu blieb im Amt und wurde 2009 sogar wiedergewählt. Der Eindruck, dass es sich um einen reinen Machtkampf handelte, kostete die Sozialdemokraten bei vielen unentschiedenen Wählern ihre Glaubwürdigkeit.

Die drastischen Sparmaßnahmen der vergangenen drei Jahre und das brutal durchgesetzte neoliberale Programm haben die politische Lage jedoch verändert. »Bis vor Kurzem hatte Basescu kaum noch Chancen, seine Partei (die rechtsliberale PDL - d.Red.) zu retten. Für die Herbstwahlen deutete alles auf eine bittere Niederlage hin«, kommentiert der Politologe Daniel Barbu von der Bukarester Universität. Die liberaldemokratisch geführte Regierung unter Emil Boc hatte 2010 Löhne und Gehälter im öffentlichen Sektor um 25 Prozent gekürzt, Sozialleistungen gestrichen, Krankenhäuser und Schulen geschlossen, zehntausende Angestellte und Beamte entlassen. Durchgesetzt wurden diese Maßnahmen oft unter Umgehung der parlamentarischen Debatte durch diverse Tricks, während zahlreiche Parteiprominente in Korruptionsaffären verwickelt waren. Die Popularität dieser Regierung sank derart rapide, dass ihr selbst eigene Abgeordnete die Unterstützung verweigerten und sie Ende April bei einem Misstrauensantrag der Opposition fallen ließen.

Nach dieser Niederlage berief Basescu Anfang Mai PSD-Chef Victor Ponta zum Ministerpräsidenten. Bei den Kommunalwahlen Anfang Juni stürzte das rechte Lager weiter ab, während sich die Sozialdemokraten über erhebliche Gewinne freuen konnten. »Doch seit Mitte Juni wird die gängige Wahlprognose immer riskanter, denn das Image der Sozialdemokraten musste wegen Plagiats- und Korruptionsskandalen einen Schlag nach dem anderen hinnehmen«, weiß Politologe Barbu. Premierminister Ponta selbst sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, seine Doktorarbeit über die Funktion des Internationalen Strafgerichtshofs im Jahre 2003 zu großen Teilen abgeschrieben zu haben. Ponta sieht in den Vorwürfen eine Intrige des Präsidentenlagers. So spitzt sich der jahrelange erbarmungslose Krieg zwischen den Lagern zu.

Die Sozialdemokraten wollen Basescu möglichst schnell loswerden, um zu verhindern, dass er nach den Herbstwahlen erneut eine Koalition um seine eigene Partei an die Regierung beruft. Die Befürchtung ist berechtigt: Sollte der Staatschef bis zum regulären Ende seiner Amtszeit 2014 im Cotroceni-Palast bleiben, wäre eine Wiederholung der Situation von 2005 und 2009 sehr wahrscheinlich. Damals hatte Basescu die vorhandene, obgleich fragile Parlamentsmehrheit ignoriert, einen Premier aus dem eigenen Lager ernannt und durch undurchsichtige Deals mit einzelnen Abgeordneten eine Mehrheit nach seinem Geschmack geschmiedet. Der Vorwurf gegen Basescu lautet daher, er habe die Verfassung durch Anmaßung von Regierungsbefugnissen und Beeinflussung der Justiz verletzt. Auch sei er nicht parteipolitisch neutral. Kurz: Er habe nach eine Ein-Mann-Führung angestrebt.

»Natürlich haben die Linken keine Lust, auch nach einem möglichen Wahlgewinn im Herbst wieder in der Opposition bleiben zu müssen. Andererseits haben auch sie in den letzten Tagen gezeigt, dass sie in diesem Kampf vor nichts Halt machen«, stellt Politologe Barbu fest und spricht von einem »totalen Krieg«.

Um sicherzustellen, dass alles nach ihrem Plan verläuft, haben Sozialdemokraten und Nationalliberale zuletzt auch fragwürdige Änderungen des institutionellen Rahmens vorgenommen. So wurden die im Referendumsgesetz vorgesehenen Prozeduren vereinfacht, die Kompetenzen des Verfassungsgerichts per Regierungsdekret eingeschränkt, die Präsidenten beider Parlamentskammern in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ersetzt. Senatspräsident wurde PNL-Chef Crin Antonescu, dem Abgeordnetenhaus sitzt der Sozialdemokrat Valeriu Zgonea vor. Vertreter von regierungsunabhängigen Organisationen, Gewerkschaften, EU-Kommission und USA-Botschaft äußerten sich »besorgt« über die jüngsten Entwicklungen. Das Verfassungsgericht bescheinigte Basescu noch am Freitag, nicht gegen die Verfassung verstoßen zu haben, es sprach sich aber auch nicht gegen das Amtsenthebungsverfahren aus.

»Die groß angelegte Aktion könnte nach hinten losgehen. Die starke Personalisierung des Konflikts und der Eindruck, dass Ponta unbedingt Basescu loswerden will, am besten sofort und egal, unter welchem Vorwand, könnte ihm mehr schaden als nutzen«, glaubt der Politologe Daniel Barbu.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 7. Juli 2012


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