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Rumäniens Präsident kehrt zurück

Verfassungsgericht erklärt Referendum für ungültig, politische Krise geht in neue Runde

Von Silviu Mihai *

Knapp 7,5 Millionen rumänische Staatsbürger hatten sich in einem Referendum Ende Juli für die Absetzung des rechtsliberalen Präsidenten Traian Basescu ausgesprochen, doch das waren nicht genug.

Rumäniens Verfassungsgericht hat den Volksentscheid vom 29. Juli am gestrigen Dienstag mit sechs von neun Richterstimmen für ungültig erklärt, weil die Mindestbeteiligung von 50 Prozent aller Wahlberechtigten knapp verfehlt wurde. Damit kehrt Traian Basescu in sein Amt zurück. Die linksliberale Regierungskoalition um Ministerpräsident Victor Ponta, die das Amtsenthebungsverfahren in Gang gesetzt hatte, muss eine bittere Niederlage einstecken.

Die politische Krise geht also in eine neue Runde, denn eine Verständigung zwischen den Erzrivalen wird schwierig sein. »Wir werden die Entscheidung des Verfassungsgerichts respektieren, auch wenn wir sie ungerecht finden. Die Stimmen der übergroßen Mehrheit können nicht ignoriert werden«, erklärte Übergangspräsident Crin Antonescu, der zusammen mit Ponta dem Regierungsbündnis Sozialliberale Union (USL) vorsteht. »Für uns hat Traian Basescu seine Legitimität endgültig verloren. Wir werden weiter kämpfen«, kündigte der Senatspräsident an.

Die Bedingungen für die Gültigkeit des Referendums – samt juristischen und statistischen Zusammenhängen – waren seit mindestens einem Monat das Hauptthema in den Medien und an vielen Küchentischen Rumäniens. Laut Gesetz ist die Abstimmung gültig, wenn mindestens 50 Prozent der registrierten Wähler an die Urnen gehen. Die USL befürchtete von Anfang an, dass eine so hohe Wahlbeteiligung nicht zu erreichen ist. Angesichts der massiven Migration nach Westeuropa und der Boykottaufrufe des rechten Lagers war diese Befürchtung in den Augen vieler Beobachter nur zu berechtigt. Ein Versuch der USL, die Bedingung abzuschaffen, war indes an den Protesten der EU und an einem Beschluss des Verfassungsgerichts gescheitert.

Trotz beispielloser Mobilisierung der Gegner Basescus wurde die Schwelle laut den ursprünglichen Daten des Wahlleiters denn auch verfehlt. Nur knapp 47 Prozent der registrierten Wähler gaben ihre Stimme ab. Doch waren die Wählerlisten exakt? »Das ist eine Frage, die niemand in Rumänien mit Sicherheit beantworten kann«, stellt der linke Publizist Costi Rogozanu fest. Nach dem Referendum ließ die Regierung die Listen prüfen und es stellte sich heraus, dass rund 35 000 Einträge Personen betreffen, die zum Zeitpunkt der Abstimmung entweder verstorben waren oder kein Wahlrecht besaßen – beispielsweise, weil sie Straftaten begangen hatten. »Die Inkompetenz der chronisch unterfinanzierten rumänischen Verwaltung und die jüngsten Haushaltskürzungen erklären solche Pannen«, glaubt Rogozanu.

Gestritten wurde auch um die rund drei Millionen Rumänen, die in den vergangenen zehn Jahren ausgewandert sind und überwiegend in Italien und Spanien leben. Zwar bestreitet niemand, dass sie als rumänische Staatsbürger wählen dürfen. Immerhin machen sie über 15 Prozent der Wahlberechtigten aus. Ihre Geldüberweisungen tragen entscheidend zum Wirtschaftswachstum und zur Stabilität der rumänischen Währung bei. Das Regierungslager behauptet jedoch, dass die Auslandsrumänen keine registrierten Wähler sein können und daher für das Quorum nicht zählen sollten. Schließlich besitzen viele »Gastarbeiter « mittlerweile eine zweite Staatsangehörigkeit, aber keine gültigen rumänischen Papiere. Sie in den Wählerlisten ihrer alten Wohnorte zu führen, ergebe wenig Sinn, argumentieren Basescus Gegner.

Tatsächlich hält sich das Interesse dieser Kategorie an der Bukarester Politik in sehr engen Grenzen: Über 300 Wahllokale wurden im Ausland eingerichtet, doch nur 75 000 Bürger – nicht einmal drei Prozent der Gesamtzahl – stimmten ab. Das Verfassungsgericht aber lehnte dieses Argument ab und beteuerte erneut, dass alle Wahlberechtigten auf das Quorum anzurechnen seien, auch wenn sie abgelaufene Personalausweise oder einen Wohnsitz im Ausland haben. Nach der Entscheidung der Richter versammelten sich am Nachmittag mehrere Hundert Menschen auf dem Universitätsplatz, um gegen Basescus Rückkehr und seine drastische Sparpolitik zu protestieren.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 22. August 2012


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