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Das Volk blieb zu Hause

Rumäniens Präsident Basescu sieht sich als Sieger des Referendums - sein Gegner Ponta auch

Von Silviu Mihai *

Traian Basescus Boykott-Strategie ist aufgegangen: Beim Referendum am Sonntag über das Schicksal des rumänischen Staatschefs wurde das erforderliche Quorum knapp verfehlt.

Bis in die frühen Stunden des Montags blieben die Zuschauer vor dem Fernseher, in regelmäßigen Abständen schalteten die Kameras zum Hauptquartier der Wahlleitung in Bukarest für die jüngsten Beteiligungszahlen, es wurde heftig, laut gestritten und schrill geschimpft. Wie in den 1990er Jahren geht die politische Spaltung tief in die Gesellschaft hinein.

Fast 8,5 Millionen Rumänen gaben am Sonntag ihre Stimmen ab. Das sind 46 Prozent und damit vier Prozent weniger als die Hälfte aller Wahlberechtigten. Dementsprechend darf der Präsident in sein Amt zurückkehren, obwohl seine Legitimität stark beschädigt ist: Für seine frühzeitige Entlassung sprachen sich fast 90 Prozent der Wahlbeteiligten aus.

Gegen den rechtsliberalen Politiker hatte die linke Regierungsmehrheit ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet. Die Sozialdemokraten um Ministerpräsident Victor Ponta und seine Verbündeten von der Sozialliberalen Union (USL) warfen Basescu Verstöße gegen die Verfassung vor, aber auch die Durchsetzung drastischer Sparmaßnahmen. Nach dem Referendum geht der politische Kampf um Deutungshoheit in die nächste Runde und die sozialen Konflikte spitzen sich weiter zu.

»Der Volksentscheid ist nicht gültig«, gab Premier Ponta am Montag zu. »Dennoch sind wir praktisch die Gewinner. Es bleibt uns nichts anders übrig, als Traian Basescu zum Rücktritt aufzufordern«, führte er fort. Doch trotz seiner früheren Versprechen und der Aufrufe seiner Gegner macht der Präsident bisher keine Anstalten, freiwillig auf den Posten zu verzichten. Ponta versichert indes, er wolle keine Konfrontation mit dem Staatschef mehr suchen. »Jeder wird verlieren, wenn wir unseren Kampf fortsetzen«, erklärte er am Montag vor Medien.

»Für die meisten Bürger, die zu den Urnen gingen, war das Votum ein starkes Signal für mehr Gleichheit und soziale Gerechtigkeit und gegen die neoliberale Agenda der präsidialen Oppositionspartei PDL«, glaubt der Publizist Costi Rogozanu. »Doch für viele Anhänger Basescus gelten diese Ziele nicht nur als falsch, sondern schlechthin als illegitim.«

Tatsächlich geht eine sozialdarwinistische Grundeinstellung weit über die Kreise einiger Foren- und Internetnutzer hinaus. Die Überzeugung, dass Rentner, Kranke, Sozialhilfeempfänger, Roma und andere Benachteiligte »uns auf der Tasche liegen«, kursiert im heutigen Rumänien in einer Form, die in Westeuropa schwer vorstellbar wäre. »Nur 20 Jahre nach der Wende möchten viele in der neuen Mittelschicht komplett vergessen, wo sie herkommen. Sie definieren sich selbst als die Guten, viele glauben ernsthaft, dass sie allein zivilisiert und europäisch sind, während der arme Rest noch in einer Art minderwertiger Barbarei und Ignoranz, kurz vor Russland liegt«, kommentiert Rogozanu.

Der Staatspräsident und seine Anhänger haben in den letzten Jahren immer wieder diese Rhetorik benutzt, um sich politisch zu profilieren und die drastischen Kürzungen von Sozialleistungen zu rechtfertigen.

»Das Volk ist zu Hause geblieben und hat das Referendum ungültig gemacht. Rumänien ist nach Europa zurückgekehrt«, erklärte Basescu nach der Bekanntgabe der Ergebnisse. Immer wieder hat er seine Gegner als »kommunistisch« und »uneuropäisch« bezeichnet, obwohl deren Programm eher gemäßigt ist und obwohl die Personalkontinuitäten zwischen der sozialdemokratischen PSD und der früheren Kommunistischen Partei PCR nicht weniger vage sind als im Falle der rechtsliberalen PDL. Der Präsident selber war vor der Wende Mitglied der PCR - »um seine Karrierechancen zu erhöhen«, wie er heute erklärt.

Freilich agierte Basescu nicht ohne eine gewisse Unterstützung der EU-Kommission und der westeuropäischen Hauptstädte. Brüssel und vor allem Berlin kritisierten das linke Lager für den rauen Umgang mit rechtsstaatlichen Institutionen und betrachten Basescu heute noch als Garant des radikalen Sparkurses. Nach dem Referendum aber wird die neoliberale Agenda nicht mehr so einfach durchgesetzt werden können.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 31. Juli 2012


Zwei Verlierer

Von Roland Etzel **

An Selbstzweifeln leidet der Mann nicht. Rumäniens Präsident Basescu, der Korruptionsverdächtige, feiert sich. Der Mann, der beim Referendum von 88 Prozent der Abstimmenden den Laufpass bekam, erklärte danach sogar, er sehe sich bestätigt. Da drängt sich die Frage auf, worin, und die Antwort ist wohl, dass die Mehrheit der Wähler Basescus Kontrahenten Ponta für keinen Deut besser hält und ihm deshalb das erforderliche Quorum verweigerte. Eigentlich haben beide verloren.

Dabei hatte der unterlegene Ministerpräsident Ponta wirklich nichts dem Zufall überlassen. Er hat ein bisschen die juristischen Abläufe manipuliert, Gerichtsentscheidungen übergangen und - als das alles nicht helfen wollte - den Einspruch der Verfassungsrichter gegen den von ihm angestrengten Volksentscheid per Regierungsdekret ausgehebelt. An Kreativität mangelt es dem Mann also nicht, was diejenigen verstummen lassen sollte, die behaupten, er habe seine Dissertation abgekupfert.

Was sagt die EU, gegen deren Vorschriften Basescu wie Ponta massiv gefrevelt haben? Brüssel druckste gestern herum, will erst das offizielle Endergebnis abwarten. Aber man sei natürlich »zutiefst besorgt«. Wenn das die angedrohte »scharfe Beobachtung« Rumäniens ist, wissen die beiden Politoberen: Wir können trotzdem weitermachen wie bisher.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 31. Juli 2012 (Kommentar)


Merkels Sieg

Rumäniens neoliberaler und autoritärer Staatschef Traian Basescu übersteht das Amtsenthebungsverfahren

Von Tomasz Konicz ***


Rumäniens Staatschef Traian Basescu bleibt vorerst im Amt. Obwohl nahezu 90 Prozent aller am sonntäglichen Referendum teilnehmenden Rumänen für die Amtsenthebung Basescus stimmten, ist diese Volksabstimmung nicht gültig, da die notwendige Mindestwahlbeteiligung von 50 Prozent verfehlt wurde. Knapp 46 Prozent aller laut den offiziellen Wahllisten auch wahlberechtigten Bürger Rumäniens nahmen an der Abstimmung teil, die von der sozial­demokratisch geführten Regierung um Ministerpräsident Victor Ponta im Rahmen eines Amtsenthebungsverfahrens eingeleitet wurde. Die Regierung wirft dem rechtsgerichteten Präsidenten Machtmißbrauch und Verfassungsbruch vor.

Nach dem Bekanntwerden des Ergebnisses erklärten sich sowohl das konservative Präsidentenlager als auch die sozialdemokratische Regierung zu Siegern. Die Rumänen hätten »gegen den Staatsstreich gestimmt«, behauptete Präsident Basescu, dessen Liberaldemokratische Partei zum Wahlboykott aufgerufen hat, am Sonntag abend. Auch Regierungschef Ponta mühte sich, den Ausgang des Votums zu seinen Gunsten zu interpretieren. Aufgrund der überwältigenden Zustimmung zur Amtsenthebung Basescus beim Referendum habe seine Regierung »eine neue Legitimität« erreicht, so der Regierungschef. Dennoch gilt Ponta nun als stark angeschlagen, da gegen ihn auch Plagiatsvorwürfe im Zusammenhang mit seiner Dissertation aufgetaucht sind.

Europäische und insbesondere deutsche Spitzenpolitiker hatten die angestrebte Absetzung des Staatschefs – der rücksichtslos die neoliberalen Politikvorgaben Brüssels umsetzte – vehement kritisiert und im rumänischen Machtkampf zugunsten des Präsidenten interveniert. Mitte Juli wurde Ponta von EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso vorgeladen, um diesem die Rücknahme von Kompetenzbeschneidungen des rumänischen Verfassungsgerichts zu versprechen. Merkel bezeichnete das Amtsenthebungsverfahren im neokolonialen Gestus gar als »inakzeptabel«. Berlin drängte vor allem darauf, daß über den Verbleib Basescus im Amt »von der absoluten Mehrheit der registrierten Wähler« entschieden werde müsse. Die Regierung Ponta wollte dagegen die Klausel über die Mindestwahlbeteiligung aus dem Wahlgesetz streichen lassen, doch mußte sie schließlich dem Druck aus Berlin und Brüssel nachgeben und diese beibehalten. Der rumänische Premier machte seinem Ärger über die Intervention Berlins im rumänischen Machtkampf Mitte Juli öffentlich Luft: Er sei »enttäuscht, daß Frau Merkel nicht mit der Regierung, sondern nur mit dem suspendierten Präsidenten gesprochen« habe.

Dabei kann zumindest die Aufhebung der Mindestwahlbeteiligung durch die Regierung Ponta als ein Versuch gewertet werden, die Verzerrungen des Wählerwillens in Rumänen zu minimieren, die durch veraltete Wahllisten entstehen. Aufgrund der massiven armutsbedingten Auswanderungswellen der vergangenen Jahre entstand in Rumänien eine große Differenz zwischen den offiziell registrierten und den tatsächlich im Land lebenden Wahlberechtigten. Laut einer inoffiziellen Volkszählung von 2011 gibt es nur noch 15,5 Millionen Wahlberechtigte in Rumänien, während in den Listen noch 18,3 Millionen Wähler festgehalten sind. Somit müßte die reale Abstimmungsbeteiligung bei 65 bis 70 Prozent liegen, um das Quorum von 50 Prozent zu erreichen. Zudem hatte auch der rechtspopulistische ungarische Regierungschef Viktor Orbán am 28. Juli die ungarische Minderheit in Rumänien – die rund 1,4 Millionen Einwohner umfaßt – zur Unterstützung Basescus und zum Wahlboykott aufgerufen.

Die Empörung über die Unterminierung der Demokratie in Rumänien hielt sich in Brüssel und Berlin hingegen in Grenzen, als Basescu mittels einer autokratischen Politik und blankem Verfassungsbruch brutale Kürzungsprogramme durchsetzte. Der Präsident habe ein »allmächtiges Präsidialregime« aufgebaut, bei dem er »die Regierungspolitik bis ins Kleinste« dirigiere, wußte etwa die Frankfurter Rundschau noch im Januar 2012 zu berichten. Jede wichtige Gesetzesinitiative ging damals »direkt vom Präsidentenpalast aus, und Basescu macht aus seinem absoluten Führungsanspruch auch öffentlich kein Hehl«. Dabei hat der rumänische Präsident laut Verfassung gar kein Recht auf Gesetzesinitiative – doch solche evidenten Verfassungsbrüche wurden in »Europa« kaum wahrgenommen, solange Basescu die neoliberalen Politikvorgaben aus Berlin und Brüssel exekutierte.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 31. Juli 2012


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