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Portugal bis 2045 unter Troika-Aufsicht

Finanzielle Eigenständigkeit erst nach Rückzahlung der Kredite an EU und IWF

Von Ralf Streck *

In der EU wird über die Lockerung der Defizitziele für Krisenländer gesprochen. Doch diese bräuchten vor allem eine Entschuldung.

Als Portugal im Mai den Euro-Rettungsschirm verließ, feierte die konservative Regierung dies als »sauberen Abschluss«. Um die »finanzielle Eigenständigkeit« zurückzuerhalten, lehnte Ministerpräsident Pedro Passos Coelho die Bereitstellung von Kreditlinien für Notfälle ab. Doch wie die Tageszeitung »Público« jetzt berichtete, wird das Land bis mindestens 2045 noch von den internationalen Geldgebern kontrolliert.

Die Aufseher der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EU-Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB), die dem Land harte Kürzungs- und Sparprogramme aufgezwungen haben, sollen sich schrittweise zurückziehen. Als erster wird der IWF im Jahr 2021 seine halbjährlichen Kontrollbesuche einstellen, bei denen neben dem Haushalt auch die Einhaltung der Stabilitätsziele geprüft werden soll. Die EU-Kommission soll bis 2037 an den Prüfungen teilnehmen und sich erst zurückziehen, wenn 75 Prozent der geflossenen Hilfskredite im Umfang von 78 Milliarden Euro zurückgezahlt sind. Bis 2045 gibt es Kontrollen vom Euro-Rettungsfonds EFSF. Die Überwachung der Finanz- und Haushaltspolitik soll vor allem die Rückzahlung der Kredite sicherstellen. Mit einem »Frühwarnsystem« können mögliche Ausfälle oder Aufschübe schnell aufgedeckt werden.

Anders als zunächst geplant, kann Portugal später mit der Rückzahlung der Kredite beginnen, und zwar ab 2023. Auch Irland bekam mehr Zeit dafür. Beiden Ländern kam die EU zudem bei der Erreichung der Stabilitätsziele entgegen. Vereinbarte Ziele zur Senkung des Haushaltsdefizits wurden nach oben korrigiert. Irland wies Ende 2013 noch 7,2 Prozent aus und Portugal schaffte nur mit einmaligen Privatisierungserlösen 4,9 Prozent. Ein Beginn der Schuldenrückzahlung an EU und IWF würde die Defizite sofort deutlich ansteigen lassen.

Beide Länder entfernen sich bei der Staatsverschuldung immer weiter von der EU-Obergrenze von 60 Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. In Irland lag die Quote zuletzt bei 124 Prozent und in Portugal bei 129 Prozent. Daher steigt der Anteil der Steuereinnahmen, die für den Schuldendienst ausgegeben werden müssen. Daran ändert auch nichts, dass sich die Länder wieder zu günstigeren Konditionen Geld an den Kapitalmärkten leihen können.

Die aktuelle Debatte in der EU, ob den Krisenländern durch Lockerung der Bedingungen des Stabilitätspaktes mehr Zeit zum Abbau der Defizite gegeben werden soll, müsste eigentlich auch das Eingeständnis einschließen, dass es für Staaten wie Portugal eine Entschuldung geben muss. Das ist momentan aber kein Thema. Sollte es Portugal ab 2023 überhaupt gelingen, die Hilfskredite abzuzahlen, dann wird das vermutlich nur über neue Schulden von anderer Seite geschehen können. Um real Schulden abzubauen, benötigen Krisenländer enorme Wachstumsraten, die aber nicht absehbar sind: Portugals Wirtschaft ist im ersten Quartal gegenüber dem Vorquartal um 0,7 Prozent geschrumpft.

* Aus: neues deutschland, Freitag 20. Juni 2014


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