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"Wir essen sehr wenig und sind deutlich abgemagert"

Dozenten an Portugals Universitäten müssen mitunter mit 300 Euro im Monat auskommen. Gespräch mit André Mota Dias *


André Mota Dias (39) ist Gastdozent an der »Escuela Superior de Arte y Diseño« in der portugiesischen Stadt Caldas de Rainha. Er unterrichtet in den Fächern Film und Theorie der Kommunikation.


Die drastischen Sparauflagen der EU haben auch in Portugal Millionen Menschen verarmen lassen. Wie erleben Sie das als Universitätsdozent?

Mit dem, was ich mit meinem Unterricht verdiene, kann ich unmöglich leben. Im nächsten Semster bekomme ich nur 300 Euro im Monat – das wird auch so bleiben, solange ich nicht promoviert bin.

In den vergangenen zwei Jahren habe ich halbtags gearbeitet und so 520 Euro im Monat verdient. Jetzt aber wurde meine Arbeitszeit um 30 Prozent reduziert. Wegen der Teilzeitbeschäftigung habe ich leider keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

An öffentlichen Universitäten Portugals verdient ein Gastdozent bei ganztägiger Beschäftigung normalerweise etwas über 1000 Euro im Monat. Ich wäre schon mit 600 zufrieden – mit 300 dürfte es für mich aber verdammt schwer werden.

Das geht nicht nur mir so. In meiner Fakultät wurde obendrein – ohne große Diskussion – die Zahl der Planstellen von 27 auf 22 verringert, ebenso wie die jeweilige Stundenzahl. Außerdem wurden die Studiengebühren erhöht, so daß manch einer der Studenten seine Ausbildung abbrechen muß.

Kann man mit 300 Euro Monatsverdienst noch Miete zahlen?

Meine Wohnungsmiete beträgt 500 Euro, glücklicherweise übernimmt meine Freundin die Hälfte. Sie selbst ist arbeitslos und hat auch keinerlei sonstige Einkünfte – das Geld bekommt sie von ihren Eltern.

Welche Ausbildung hat sie?

Sie hat ein Jurastudium abgeschlossen und ist Englisch-Übersetzerin, findet aber keine Arbeit. Wir beide gehören leider zu der Gruppe von Portugiesen, deren Lage sehr problematisch ist: zwischen 30 und 40 Jahren alt, abgeschlossenes Studium. Die jüngeren können meistens noch in ihrem Elternhaus leben.

Müssen Sie auch bei öffentlichen Verkehrsmitteln sparen?

Um von Lissabon zu meiner Universiät zu kommen, mußte ich bisher etwa ein Fünftel meines ohnehin schon knappen Einkommens für die Fahrtkosten aufwenden. In Lissabon selbst fahre ich nur selten mit Bussen oder Straßenbahnen, nie mit der U-Bahn.

Und was bleibt für Lebensmittel?

Wir essen sehr wenig, sind deutlich abgemagert. Im Supermarkt kaufen wir nur das Allerbilligste ein; wir haben leider auch viele offene Rechnungen. Ab und zu müssen wir uns von Freunden Geld leihen. Ganz selten kommt es vor, daß ich mir mal eine Flasche Bier leisten kann. Ähnlich wie mir geht es allen Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht ihre Dissertation abgeschlossen haben, die Promotionsstipendien wurden nämlich um 80 Prozent gestutzt. Portugal hatte über Jahrzehnte hinweg einen gut funktionierenden Wissenschaftsbetrieb – den hat diese Regierung aber komplett zerstört.

Welche Perspektiven sehen Sie denn für sich?

Ich überlege mir, nach Brasilien auszuwandern, sobald ich meine Doktorarbeit habe. Dort werden die Universitäten nämlich ausgebaut, sie öffnen sich auch für die sogenannten einfachen Leute.

Es gab in Ihrem Land mal die Protestbewegung »Geracao à Rasca« – auf deutsch: »Generation in der Klemme«. Was ist aus ihr geworden?

Diese Bewegung war besorgt über das, was auf sie zukommt – meine Altergruppe hingegen wird von dem befürchteten Desaster voll erfaßt. Mittlerweile bin ich der Überzeugung, daß sich nur noch mit Gewalt etwas ändern läßt, was in Portugal schon häufiger der Fall war. Zu Demonstrationen gehe ich nicht, ich halte sie für überflüssig.

Was fällt Ihnen zu Deutschland ein?

Es zieht seinen Vorteil daraus, daß die Länder an der Peripherie Europas ausbluten. In Portugal leben immerhin Menschen – wir wollen nicht nur ein Land sein, wohin andere reisen, um Golf zu spielen, sich an den Strand zu legen oder dort die Rente zu verzehren.

Interview: Carmela Negrete

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 27. Februar 2014


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