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Verantwortliche Opposition

Nach Präsidentschaftswahlen in Portugal. PS will Kürzungspolitik der neuen Regierung nicht behindern

Von Ana Kühn Paz *

Die Parlamentswahlen in Portugal am 5. Juni waren bereits die vierten in den letzten zehn Jahren. Die bisher regierenden Sozialisten (PS) und ihr Premierminister José Sócrates erhielten diesmal nur noch 28 Prozent und verloren die relative Mehrheit.

Neuer Regierungschef wird der Vorsitzende der rechtskonservativen PSD (38,6 Prozent), Passos Coelho. Die Koalitionsgespräche zwischen der PSD und der Zentrumspartei CDS aus dem selben Lager (11,7 Prozent) laufen derzeit.

In vielen Wahlanalysen wurde das Ergebnis als Zustimmung der Bevölkerung zu der von der Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäi-scher Zentralbank und Europäischer Kommission auferlegten Kürzungspolitik interpretiert. Bei genauerem Hinsehen kann davon jedoch keine Rede sein. Zum einen wurde mit den Sozialisten eine Partei abgestraft, die den Auflagen von IWF und Co. ohne Wenn und Aber zugestimmt hat. Zum anderen haben sowohl die Sozialisten als auch die Konservativen während des Wahlkampfes peinlich genau darauf geachtet, die mit der Troika vereinbarten Kürzungsmaßnahmen nicht zu thematisieren. Im Gegenteil: Den beiden rechten Parteien PSD und CDS gelang es, den Eindruck zu erwecken, als hätten sie nichts mit der Politik von Premierminister Sócrates zu tun, obgleich sie zuvor sowohl nahezu alle Kürzungspakete als auch die Reform des Arbeitsgesetzes mitgetragen hatten. Lediglich nach dem Generalstreik im November verweigerten PSD und CDS im März dem letzten Sparpaket ihre Zustimmung, was zum Rücktritt des Premiers führte. Daß die PS die von der neuen Regierung angekündigten Kürzungen nicht behindern wird, gilt hingegen als ausgemacht.

Der bisherige Fraktionsvorsitzende Francisco Assis hatte noch am Wahlabend eine »verantwortliche Opposition« beschworen. Ähnlich wie der Abgeordnete José Seguro, der in einem Tageszeitungsinterview bekräftigte, die Sozialisten »stehen zu ihren Vereinbarungen«. Lediglich der ehemalige Kultusminister Manuel Carrilho warnte vor »dem vergifteten Erbe Sócrates« und erklärte, »die PS muß als Opposition gegen ein Programm antreten, daß sie selbst unterschrieben hat«. Der »Sócratismus läuft Gefahr, ein wahrer Fluch für die PS zu werden«, so der Politiker.

Währenddessen versuchen sowohl private als auch staatliche Medien, die gravierenden Wahlverluste des Linksblocks (BE), die zu einer Halbierung seiner Abgeordnetenzahl führten, zu einer Niederlage der gesamten linken Opposition umzudeuten. Das Ergebnis der Kommunisten wird dabei ignoriert. Diese konnten im Rahmen des Bündnisses mit den Grünen ihre Abgeordnetenzahl um einen Parlamentsplatz auf 16 ausbauen.

Der BE führt in offiziellen Stellungnahmen seine Verluste vor allem auf die rekordverdächtige Wahlenthaltung von 41 Prozent sowie auf einen Wählerabgang zur PS zurück, der mit der Furcht vieler Bürger vor einer rechtskonservativen Regierung begründet wird. Es gibt aber auch selbstkritische Stimmen. Daniel Oliveira, Gründungsmitglied des BE und bekannter Journalist, führte die Schwäche des Linksblockes kürzlich in einem Artikel der Wochenzeitung Expresso auf die noch immer zu geringen Mitgliederzahlen zurück. Durch TV-Auftritte könne man sich zwar landesweit als starke Organisation präsentieren. Überzeugende Kommunalpolitik sei aber aufgrund der fehlenden regionalen Verankerung nicht möglich. Der Linksblock hatte bei den Wahlen kein einziges Rathaus erobert.

Noch ist unklar, ob der Regierungswechsel in Lissabon für die zukünftige Politik des Landes relevant sein wird. Die Kommunisten jedenfalls warnen vor »schwierigen Zeiten« für das Land, »welche eine starke Reaktion des Widerstands und des Kampfes seitens der Arbeiter und der Volksmassen erfordern«. Die PCP hatte bereits im April die Umschuldung der portugiesischen Auslandsverbindlichkeiten vorgeschlagen und versprach, in der ersten Sitzung des neuen Parlaments eine ähnliche Erklärung abzugeben.

* Aus: junge Welt, 16. Juni 2011


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