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Wählerschwund

Portugals konservativer Präsident Aníbal Cavaco Silva auf Anhieb im Amt bestätigt. Sozialisten abgestraft

Von Peter Steiniger *

Es ist ein Mißtrauensvotum gegen die herrschende politische Klasse Portugals: Eine Mehrheit der Menschen übte sich am Sonntag in Abstinenz. Weniger als 47 Prozent der etwa neun Millionen Wahlberechtigten beteiligten sich an der Abstimmung über den Präsidenten der Republik. Das ist die niedrigste Quote seit dem Ende der Diktatur 1974. Erwartungsgemäß im Amt bestätigt wurde der seit 2006 amtierende Staatschef Aníbal Cavaco Silva. Mit einem Stimmenanteil von knapp 53 Prozent schaffte dieser erneut einen glatten Durchmarsch und braucht sich keiner Stichwahl mehr gegen den Zweitplazierten zu stellen. Obwohl diesmal 540000 Portugiesen weniger für ihn votierten, fiel sein Erfolg klarer aus als vor fünf Jahren.

Der von den regierenden Sozialisten (PS) und dem Linksblock unterstützte Herausforderer Manuel Alegre kam mit dem zweithöchsten Ergebnis lediglich auf 19,7 Prozent. Damit blieb er sogar ein Prozent hinter seinem Abschneiden als unabhängiger Bewerber im Jahr 2006 zurück. Damals hatte der bekannte Dichter den offiziellen Kandidaten des Sozialistischen Partei (PS), Expräsident Mario Soares, auf den dritten Platz verwiesen. Sein Wahldebakel ist auch ein herber Schlag für die Minderheitsregierung von Premier José Sócrates. Trotz seiner sozialen Rhetorik wurde der gewesene Parteirebell mit dem harten Sparkurs zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit identifiziert, mit dem das PS-Kabinett das Vertrauen der Finanzmärkte in Portugals Kreditwürdigkeit zurückgewinnen will. Auch wurde der Altsozialist Alegre während des sich müde dahinschleppenden Wahlkampfes von Teilen der eigenen Partei offen oder versteckt sabotiert. Für den pluralen Linksblock (BE) hat sich der Schulterschluß mit dem neoliberalen Regierungslager nun als ein Mitgefangensein auf einem sinkenden Boot erwiesen.

Einen Teil des Protest- und des PS-Wählerpotentials konnte zudem der drittplazierte Fernando Nobre auf sich vereinen. Für den Chef einer humanitären Nichtregierungsorganisation von Medizinern votierten 14,1 Prozent der Wähler. Nobre empfahl sich als überparteilicher Bürgerkandidat ohne klare politische Festlegung. Bei seinem guten Abschneiden profitierte er vom allgemeinem Politikverdruß.

Für Alternativen ohne Wenn und Aber zu der unsozialen Austeritätspolitik stand in der sechsköpfigen männlichen Bewerberriege ausschließlich der Kandidat von Kommunisten (PCP) und Grünen, Francisco Lopes. Mit 7,1 Prozent und mehr als 300000 Stimmen konnte der KP-Parlamentsabgeordnete ein respektables Ergebnis erzielen und das Gewicht seiner Partei in der politischen Landschaft Portugals unterstreichen. Die PCP wertete die Wahlkampagne als einen erfolgreichen Schritt im Kampf »gegen Resignation und Konformismus«. Die weitere Präsidentschaft Cavaco Silvas bedeute allerdings einen »Faktor zur Verschärfung des Kurses von ökonomischem Niedergang und sozialer Ungerechtigkeit für das Land«. Als Regierungschef 1985 bis 1995 für die konservativen Sozialdemokraten (PSD) hatte der Wirtschaftswissenschaftler den Grundstein für die neoliberale Ausrichtung der portugiesischen Politik gelegt. Dennoch verbinden viele mit dem Autokraten eine Periode relativer Prosperität. Nach dem EU-Beitritt 1986 waren erhebliche Mittel aus Brüsseler Töpfen für die Infrastruktur nach Portugal geflossen. Die großen Medien arbeiten daran mit, ein Siegerimage Cavacos in den Köpfen zu verankern.

José Socrates und Cavaco Silva versprachen sich noch am Wahlabend wechselseitig eine loyale Zusammenarbeit. Für die angeschlagene PS-Regierung ist die Luft allerdings noch dünner geworden. Der konservative Oppositionsführer, Pedro Passos Coelho, erneuerte seine Prognose, daß dieses Kabinett nicht bis zum Ende der Legislatur 2013 durchhalten werde.

* Aus: junge Welt, 25. Januar 2011


Altbewährt **

Seine Oppositionspartei kann jubeln, für den sozialistischen Ministerpräsidenten José Sócrates ist es eine Niederlage: Portugals Präsident Anibal Cavaco Silva hat es mit knapp 53 Prozent der abgegebenen Stimmen auf Anhieb geschafft. Der 71-Jährige von der rechtsliberalen Sozialdemokratischen Partei (PSD) wurde am Sonntag für eine weitere fünfjährige Amtszeit gewählt.

Die Umfragen hatten es bereits vorausgesehen. Präsident Cavaco setzte sich gegen fünf Gegenkandidaten durch. Selbst der renommierte Schriftsteller und Sozialist Manuel Alegre konnte nur 19,8 Prozent erreichen Vor fünf Jahren scheiterte bereits der sozialistische Kandidat Mário Soares gegen den konservativen Cavaco. Die Portugiesen – wenn es auch 53,5 Prozent der Wähler vorzogen, gar nicht abzustimmen – haben sich mit Cavaco Silva für Kontinuität entschieden.

Der Wirtschaftswissenschaftler, aus der Algarve stammend, ist ein entschiedener Vertreter der freien Marktwirtschaft, der die Wirtschaft durch private Initiativen beleben will. Als Finanz- und Planungsminister erwarb er sich einen Ruf als liberaler Wirtschaftsreformer. Dann regierte er Portugal von 1985 bis 1995 als Premierminister und gilt seitdem als »Vater des Wirtschaftswunders«. Seine zehnjährige Amtszeit ist die längste in der Geschichte der demokratisch gewählten Regierungschefs des Landes.

Doch jetzt kriselt es im hochverschuldeten Euroland: Der sonst eher schweigsame Cavaco Silva griff den Ministerpräsidenten Sócrates an und warf ihm vor, zu spät auf die Krise reagiert zu haben. Gigantische Auslandsschulden und die Arbeitslosigkeit hätten eine fast explosive Stimmung geschaffen.

Die Wiederwahl des Hobbygärtners lässt den Druck auf Sócrates ansteigen. Seine Gegner schätzen Cavaco Silva als arrogant und autoritär ein. Und Beobachter sehen bereits Machtkämpfe zwischen Cavaco Silva und der Regierung entbrennen. Die Sozialisten befürchten, er könne das Parlament auflösen und Neuwahlen fordern.

Cavaco allerdings kündigte seine Zusammenarbeit mit der Regierung und eine »aktive« Präsidentschaft an. Die Bombe – damit bezieht er sich auf die Befürchtungen der Sozialisten – wolle er nur im Notfall platzen lassen. Antje Stiebitz

** Aus: Neues Deutschland, 25. Januar 2011


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