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Nach Troika-Pfeife

Portugals Regierung legt Gläubigern neues "Sparprogramm" vor und wird mit weiterer Hilfstranche belohnt. Kürzungen bei Renten und im öffentlichen Dienst

Von Peter Steiniger *

Auf Portugals Kassenwart Vítor Gaspar warten bei der Tagung des Rats der EU-Finanzminster (ECOFIN) an diesem Mittwoch in Brüssel zufriedene Gesichter. In einer außerordentlichen Kabinettssitzung am Sonntag billigte die Regierung in Lissabon den siebenten Prüfbericht der Sparkommissare der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), die das iberische Land mit einem Kreditpaket von insgesamt 78 Milliarden Euro stützt. Mit empfindlichen neuen Sparmaßnahmen sollen die Vorgaben der Gläubiger mustergültig umgesetzt werden.

Damit ist der Weg frei für eine mittlerweile achte Hilfstranche in Höhe von zwei Milliarden Euro. Seit dem Frühjahr 2011 steht Portugal, das an den Finanzmärkten drastisch an Kreditwürdigkeit verloren hatte, unter finanzpolitischer Kuratel.

Nachdem das portugiesische Verfassungsgericht Anfang April mehrere Sparmaßnahmen im laufenden Etat als nicht gesetzeskonform annullierte, suchte Portugals Mitte-rechts-Regierung aus konservativ-liberaler PSD (Partido Social Democrata) und rechtskonservativer CDS-PP (Centro Democrático e Social – Partido Popular) hektisch nach Möglichkeiten, um eine dadurch entstandene Lücke von rund 1,25 Milliarden Euro in ihrem Sparprogramm zu schließen.

Fündig wurde das Kabinett von Premier Pedro Passos Coelho (PSD) bei den Sozialausgaben und im öffentlichen Dienst. Hier sollen bis zu 30000 Stellen durch Vertragsaufhebungen wegfallen, die Wochenarbeitszeit steigt von 35 auf 40 Stunden. Durch Einführung eines sogenannten »Nachhaltigkeitsfaktors« auf der Basis der durchschnittlichen Lebenserwartung wird das Renteneintrittsalter von 65 auf zunächst 66 Jahre steigen. Altersbezüge ab 1350 Euro monatlich werden mit einer Sondersteuer belegt. Als kurzer Theaterdonner von rechts erwies sich der Koalitionskrach, welchen die CDS-PP in der Rentenfrage angestimmt hatte. Parteichef und Außenminister Paulo Portas verwies auf »unzählige Großeltern, die ihre arbeitslosen Kinder unterstützen und die Enkel betreuen« und nannte die Rentensteuer »die Grenze, die ich nicht überschreiten lasse«.

Nach der Einigung von Sonntag ist dies bereits der Schnee von gestern. Der große Koalitionspartner PSD »gratuliert sich zu dem Umstand, daß es möglich war, eine Einigung zu erreichen«. In einer Erklärung hebt die Partei hervor, daß es sich um einen essentiellen Schritt handele, um die Verpflichtungen des Landes gegenüber seinen Geldgebern einhalten zu können und welcher »die Rückkehr zur Geldaufnahme über den Markt« erleichtere.

Insgesamt soll das Austeritätsprogramm den Staatshaushalt bis 2015 um 4,8 Milliarden Euro entlasten und das Haushaltsdefizit von zuletzt 6,6 Prozent mittelfristig senken. Mit eingerechnet ist dabei eine prognostizierte leichte Erholung der Wirtschaft ab dem kommenden Jahr. Für 2013 wird nun mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 2,3 Prozent gerechnet, bisher war ein Minus von 1,9 Prozent vorhergesagt. Die Einsparungen, fehlenden Investitionen, Steuererhöhungen und die Teuerung würgen Binnennachfrage und Konjunktur ab. Die offizielle Arbeitslosenrate bewegt sich auf die 19-Prozent-Marke zu. Mehr als die Hälfte der Erwerbslosen steht ohne jede staatliche Unterstützung da.

Scharfe Kritik erntet das neue Sparpaket von linker Opposition, sozialen Bewegungen und den Gewerkschaften. Die größte, kommunistisch beeinflußte Gewerkschaftszentrale CGTP fordert eine radikale Abkehr von der Austerität und eine auf Wachstum, Bildung, Beschäftigung und Reindustrialisierung ausgerichtete Politik. Portugal produziert zu 70 Prozent für den Export und steht unter dem Konkurrenzdruck anderer EU-Niedriglohnländer. Notwendig sei eine effektive Besteuerung des großen Kapitals und entschiedene Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Für einen Bruch mit dem Troika-Pakt, gegen Rentenkürzungen und weitere Privatisierungen (wie der Post, CTT) und eine Anhebung des Mindestlohns auf 515 Euro ist für den 25. Mai eine neue Großkundgebung in Lissabon angekündigt. Der Regierung soll »ein weiterer Stoß« versetzt werden, heißt es in den Aufrufen. Der oppositionelle plurale Linksblock (BE) kündigte an, das Sparprogramm vom Verfassungsgericht prüfen zu lassen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 14. Mai 2013


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