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Therapie schlägt nicht an

Portugals Regierung plant neue Rekordeinschnitte im Sozialbereich. Renteneintrittsalter soll steigen. Jugendarbeitslosigkeit läuft der Politik völlig aus dem Ruder

Von Peter Steiniger *

Der mit der Troika (EU, Europäische Zentralbank EZB und Internationaler Währungsfonds IWF) vereinbarte »Sparkurs« kommt die Portugiesen weiterhin teuer zu stehen. Im kommenden Jahr sollen bei den Sozialausgaben 1,3 Milliarden Euro dem Rotstift zum Opfer fallen, wie aus einem am Dienstag von der Regierung vorgelegten Dokument zur Haushaltsstrategie hervorgeht. Es handelt sich um den größten Einschnitt im Jahresbudget dieses Sektors seit 1977. Im laufenden Jahr betragen die Gesamtausgaben für Soziales etwa 39,3 Milliarden Euro. Insgesamt sollen nach den Plänen des Finanzministeriums im Zeitraum 2014 bis 2016 zur Konsolidierung des Staatshaushaltes 4,7 Milliarden Euro weniger ausgegeben werden.

Nach einem Jahrzehnt wirtschaftlicher Stagnation und unter dem Druck der Finanzmärkte hängte sich Portugal im Frühjahr 2011 zur Abwendung einer Staatspleite an den Tropf der Troika. Im Gegenzug für Kreditzusagen über 78 Milliarden Euro verordnete diese dem Land eine Roßkur aus Kürzungen, Steuererhöhungen und Privatisierungen. Das konservative Kabinett von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho gilt den Sparkommissaren der Troika als Musterschüler unter den Pleitekandidaten an der Peripherie des Euro-Raums.

Die scharfe Kürzungspolitik führte zu einer dramatischen Teuerung der Lebenshaltungskosten. Die Arbeitslosigkeit erreicht Rekordniveau und die wirtschaftliche Talfahrt hält an. Es kam zu Massenprotesten und einer Welle von Streiks gegen den rigiden Sozialabbau. Hunderttausende, vor allem jüngere und höher qualifizierte Menschen, verließen das Land auf der Suche nach besseren Perspektiven. Neben den traditionellen Zielen der portugiesischen Wirtschaftsemigranten, wie Frankreich, sind nun besonders frühere Kolonien wie Angola und Moçambique attraktiv für Arbeitssuchende.

Für das laufende Jahr wird mit einem weiteren Rückgang von Portugals Wirtschaftsleistung um 2,3 Prozent gerechnet. Noch tiefer in die Krise stieß die angeschlagene und unpopuläre Regierung von Passos Coelho ein Urteil des Verfassungsgerichts von Anfang April, welches Teile des bereits beschlossenen Sparhaushaltes für das laufende Jahr für verfassungswidrig und somit nichtig erklärte. Kostenpunkt: 1,3 Milliarden Euro.

Das mühsam neu geschnürte »Sparpaket«, welches Finanzminister Vítor Gaspar an diesem Donnerstag auf den Kabinettstisch des Ministerrats legte, sieht für die kommenden Jahre neben Kürzungen bei Sozialtransfers wie der Arbeitslosenunterstützung die Zentralisierung von Behörden und den Abbau von 20000 Stellen im Öffentlichen Dienst vor. Aufgehoben werden sollen vor allem Verträge mit weniger qualifizierten, technisch tätigen und billig abzufindenden Angestellten. Eine Milliarde Euro verspricht man sich allein von diesen Personalstreichungen.

Politisch besonders heikel ist das Vorhaben der Exekutive, das Renteneintrittsalter von 65 Jahren faktisch heraufzusetzen. Dieses soll an einen sogenannten »Nachhaltigkeitsfaktor«, welcher sich nach der durchschnittlichen Lebenserwartung richtet, gekoppelt werden. Dadurch verlängert sich die Lebensarbeitszeit jener Pensionäre, die keine finanziellen Einbußen bei ihrer Rente erleiden wollen, um zwei bis drei Jahre. Dagegen erhebt sich scharfer Protest von linker Opposi­tion, Gewerkschaften und Ökonomen.

Pedro Marques, Abgeordneter der sozialdemokratisch orientierten Sozialistischen Partei (PS) im Nationalparlament, nennt die Erhöhung des Rentenalters gegenüber der führenden Wirtschaftszeitung Diário Económico »einen Fehler im aktuellen Kontext eines historischen Niveaus der Arbeitslosigkeit«. Seine Partei hatte vor ihrer Abwahl 2011 den Pakt mit der Troika noch selbst mit herbeigeführt und spekuliert nun auf einen erneuten Wechsel. Die PS fordert nun wie Linksblock und Kommunisten die Demission der Mitte-rechts-Regierung und vorgezogene Neuwahlen. Arménio Carlos, Frontmann der größten Gewerkschaftszentrale des Landes, CGTP, bezeichnet die Rentenpolitik als »ungerecht« und an an den wirklichen Problemen vorbeigehend. Sie würde die Jugendarbeitslosigkeit – bei den bis 24jährigen liegt die Rate bereits bei über 40 Prozent – nur noch weiter nach oben treiben. Der linke Gewerkschafter fordert einen sofortigen Bruch mit dem Troika-Diktat und eine Neuausrichtung der Politik auf Wachstum und Beschäftigung.

* Aus: junge Welt, Freitag, 3. Mai 2013


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