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Kniefälle am Tejo

Verschärftes Sparprogramm: Steuererhöhungen, soziale Einschnitte und Privatisierungen sollen Portugals Budgetdefizit kleinkriegen. Infrastrukturprojekte auf Eis gelegt

Von Peter Steiniger *

Haushaltssünder Portugal erhält keine Absolution. Daran ändern auch die segnenden Worte Papst Benedikts XVI. für »alle Bewohner dieser edlen und geliebten Nation« während seines bis Freitag währenden viertägigen Besuchs dort nichts. Das auf dem Brüsseler Gipfel der Finanzminister in der Nacht zum 10. Mai beschlossene 750 Milliarden Euro schwere Rettungspaket für die angeschlagene Gemeinschaftswährung läutet eine politische Zäsur für die Leichtgewichte der Eurozone ein.

Die unter dem Druck der Finanzmärkte stehenden Länder wie Portugal erhalten die Hilfe der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) gegen die Abtretung von wirtschaftspolitischer Selbstbestimmung. Zynisch könnte man das auch als einen Sprung nach vorn in der europäischen Integration sehen. Die älteste Nation Europas trifft es ausgerechnet zu den 100-Jahr-Feiern der Ausrufung der Republik.

Weniger Minus

Nach der Herabstufung auch Portugals und Spaniens durch Ratingagenturen, was deren Kreditaufnahme am Kapitalmarkt durch höhere Zinsen verteuert, grassiert die Furcht vor einer Ausweitung der griechischen Schuldentragödie. Die EU-Kommission nimmt Lissabons Haushaltspolitik an die kurze Leine. Die Regierung von José Sócrates (Sozialistische Partei, PS) mußte sich gegenüber den Partnern der Währungsunion zu einer Verschärfung ihres Sparkurses verpflichten. Bisher sah ihr »Stabilitäts- und Wachstumsprogramm« (Programa de Estabilidade e Crescimento – PEC) vor, das Staatsdefizit von 9,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) 2009 auf 8,3 Prozent im laufenden Jahr zu senken. Um den Segen der Gruppe der Euro-Finanzminister zu erhalten, mußte Portugal 7,3 Prozent zusichern. Dafür bedarf es zusätzlicher Einsparungen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro. Und bereits 2013 möchte das Lissaboner Kabinett mit 2,8 Prozent die 3-Prozent-Obergrenze der Maastrichter Kriterien für die Euro-Länder sogar unterbieten. Seit der Rückkehr zur Demokratie 1974 war dies Portugal nur im Jahr 2008 mit einem Minus von 2,7 Prozent gelungen.

Das Vorhaben erscheint mehr als ehrgeizig. Eine verbesserte Wirtschaftslage ist prognostisch bereits mit eingerechnet. Dem Rotstift zum Opfer fallen die großen, prestigeträchtigen Infrastrukturprojekte der Regierung Sócrates. Auf Eis gelegt werden der Bau neuer Schnellzugverbindungen nach Spanien, eine dritte Brücke über die Tejomündung sowie der neue Hauptstadtflughafen bei Alcochete, der Lissabons überforderten innerstädtischen Airport Portela ab 2017 ersetzen sollte. Um die Staatskasse zu entlasten, sind des weiteren Kürzungen beim Arbeitslosengeld vorgesehen. Die offizielle Erwerbslosenquote stieg seit dem letzten Sommer von 9,1 auf 10,5 Prozent. Dem öffentlichen Dienst sollen Nullrunden verordnet, die Gehälter leitender Angestellter gekürzt werden.

Neben Sparen heißt die Devise Privatisieren. Im Angebot sind Teile der nationalen Fluglinie TAP, die Post, Linien der Bahngesellschaft CP und andere Staatsunternehmen. Insgesamt sechs Milliarden Euro sollen auf diesem Wege erlöst werden.

Dabei hat sich die Regierung Sócrates bereits seit ihrem ersten Amtsantritt 2005 durch eine rigorose Sparpolitik hervorgetan. In den Fußspuren ihrer konservativen Vorgänger wandelnd, zeichnet sie sich durch treue Gefolgschaft zu den wirtschaftspolitischen Leitlinien der EU und deren Stabilitätspakt aus. Schon Ex-Premier José Manuel Barroso machte sich einen Ruf als flotter Privatisierer, bevor er 2004 nach Brüssel wechselte, wo er als Präsident der Europäischen Kommission vorsteht. Portugals strukturelle Probleme als Billiglohnland mit dürftigem Bildungssystem hat diese Strategie nicht gelöst. Ausländische Investitionen bleiben unter den Erwartungen. Privatisierte Unternehmen zahlen weniger Steuern als staatliche, ihre Gewinne fließen zu einem großen Teil aus dem Land ab.

Ihre Wiederwahl im vergangenen Herbst betrieben Sócrates und die PS mit den Versprechen von Aufschwung und Modernisierung. Nach dem Verlust ihrer Mehrheit in der Assembleia da República, dem Nationalparlament, ist die PS allerdings auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen.

Preise rauf, Löhne runter

Beim Krisenmanagement rücken Sócrates und der rechte Oppositionsführer und Chef der konservativen PSD, Pedro Passos Coelho, eng zusammen. Ein Krisentreffen löst das nächste ab. Die Sparkoalition will zur Kasse bitten: Gekürzt werden sollen Zuwendungen an Kommunen und für das öffentliche Verkehrssystem. Banken und Großunternehmen erwartet eine »Krisensteuer« von 2,5 Prozent auf ihre Gewinne. Vor allem aber trifft es, unter Bruch der wichtigsten Wahlversprechen, Pedro Normalverbraucher: Die Mehrwertsteuer soll um einen Punkt auf 21 Prozent steigen. Geplant ist außerdem, alle Einkommen über dem monatlichen Mindestlohn von 475 Euro um ein bis 1,5 Prozent höher zu besteuern.

Die Durchsetzung dieses rabiaten Konsolidierungskurses trifft auf zunehmenden Widerstand. Im Parlament prangern ihn Linksblock und Kommunisten als unsozial an. Die beabsichtigten Privatisierungen nennt die KP-Fraktion ein »Verbrechen gegen das Land«. Auf derselben Wellenlänge befindet sich die Gewerkschaftszentrale CGTP-Intersindical: Die Regierung vertiefe die Ungleichheit und schütze die Interessen jener ökonomischen Gruppen, die von der Spekulation am Finanzmarkt profitierten. CGTP-IN kündigt neue Massenproteste an und ruft zu allgemeiner Auflehnung auf.

* Aus: junge Welt, 15. Mai 2010


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