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Portugal rutscht weiter ab

Nach der politischen verschärft sich nun auch die wirtschaftliche Krise

Von Dominic Heilig, Porto *

Nach den Rücktritten des Finanz- und des Außenministers Portugals, rätseln Medien und Bevölkerung über die Zukunft der rechtskonservativen Regierungskoalition.

Wilde Spekulationen über den Fortbestand der Koalition zwischen rechtskonservativer PSD von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho und rechtspopulistischer CDS-PP unter dem bisherigen Außenminister Paulo Portas geistern durch den Blätterwald und die Fernsehstationen in Portugal. Donnerstagabend noch war Coelho bei Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva (ebenfalls PSD) geladen, um über die Wiedererlangung von politischer Stabilität zu sprechen. Zuvor versicherte der Regierungschef gegenüber EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Kanzlerin Angela Merkel in einem Telefonat, dass die Bemühungen seiner Regierung, die Wirtschafts- und Finanzkrise zu lösen, fortgesetzt würden. »Passos Coelho wollte Vertrauen schaffen, vor allem gegenüber der Troika. Vertrauen, dass die meisten seiner Landsleute in ihn und seine Kürzungspolitiken längst nicht mehr haben«, erklärte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler José Gusmão vom Linksblock (Bloco de Esquerda) am Rande einer Konferenz der Europäischen Linken in Porto.

In der letzten Woche musste die Regierung deshalb auch Maßnahmen zur Erhöhung der Wochenarbeitszeit bei Lehrern und zur Kürzung ihrer Gehälter nach einem Ausstand zurücknehmen.

Paulo Portas, Vorsitzender des Juniorpartners CDS-PP in der Regierung, will vor dem Hintergrund weiterer bevorstehender Kürzungspakete vor allem eines: sich möglichst weit von der Regierung absetzen. Das kann nicht verwundern. Die Arbeitslosenquote ist zuletzt auf über 18 Prozent gestiegen, junge Fachkräfte und Studierende wandern aus – nicht nur ins europäische Ausland, auch nach Brasilien.

Bislang von Kürzungsmaßnahmen nicht so hart wie andere Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge betroffene Einrichtungen werden nun wohl auch empfindliche Einsparungen vornehmen müssen. Nach dem letzten Bericht der Troika über »Fortschritte bei der Umsetzung der Sparauflagen« müssen bis 2016 weitere 4,7 Milliarden Euro eingespart werden, immerhin knapp drei Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts des Landes. Das Defizit im Haushalt ist so kaum unter die von den Eurostaaten vereinbarten drei Prozent zu drücken. Im Gegenteil: Aktuell steuert das Land auf einen Wert von über zehn Prozent zu. Voraussetzung für die baldige Zahlung der zweiten Tranche aus dem europäischen »Hilfspaket« ist aber die Einsparung eben jener fast fünf Milliarden Euro.

Hierfür sollen bislang profitable staatliche Verkehrsunternehmen, wie die in Porto und Lissabon, verkauft werden. Der Energiesektor ist bereits fast komplett in privater Hand, nun soll das Wasser folgen. Die Infrastruktur der Wasserversorgung ist sanierungsbedürftig. Dem Staat fehlt für Investitionen aber Geld. Wird auch dieser Sektor demnächst der Privatwirtschaft überlassen, so hört man resignierend, wäre damit wenigstens die notwendige Modernisierung geklärt.

Mittels Privatisierungen und weiterer Kürzungen will die Regierung auch über 30 000 Stellen im öffentlichen Dienst einsparen. Der Unmut in Portugal über diese und andere Pläne wächst und fand zuletzt nicht nur in einem Generalstreik, sondern auch in zwei Entscheidungen des Verfassungsgerichts Ausdruck: Die Richter kassierten angekündigte Rentenkürzungen und die Besteuerung von Kranken- sowie Arbeitslosengeld. Vom Tisch sind derartige Überlegungen damit aber nicht.

Geradezu absurd erscheint vor diesem Hintergrund ein Treffen zwischen Staatspräsident Cavaco Silva mit sogenannten Wirtschaftsfachleuten am Donnerstag in Lissabon, bei dem über die »Zeit nach der Troika« debattiert wurde. Dabei wurden allerlei Märchenschlösser prophezeit wie die Schaffung von Arbeitsplätzen, Wachstum und sozialer Wohlstand. Und wenn sie nicht pleite sind, träumen sie noch morgen davon. Die Menschen in Portugal aber glauben kaum mehr an ein Aufwachen aus dem realen und alltäglichen Albtraum. Deshalb gehen sie auch an diesem Samstag wieder auf die Straßen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 6. Juli 2013


Da bin ich wieder

Euro-Krise feiert fröhliche Urständ: Rezession in Folge des Spardiktats läßt Portugal kippen. Finanzmärkte erwarten nun das nächste "Rettungspaket"

Von Rainer Rupp **


In Lissabon mache sich Erleichterung breit. Die Regierung sei »vorerst gerettet« und das »staatliche Sparprogramm werde fortgesetzt«, freute sich der Spiegel in seinem jüngsten Bericht über das am wirtschaftlichen und sozialen Abgrund stehende Land. Der flächendeckend befolgte, größte Generalstreik in der Geschichte des Landes vom Donnerstag letzter Woche wurde vom selbsternannten Flaggschiff der politischen Meinungsbildung in Deutschland gar nicht erst erwähnt. Das portugiesische Volk hatte sich einmütig gegen das Kürzungsdiktat erhoben, mit dem die herrschende Klasse rabiaten Sozialabbau betreibt.

Die Regierungskrise hatte am Mittwoch kurzzeitig »Angst auf die Märkte zurückkehren« lassen, schrieb der Spiegel. Aber nun herrscht ja Erleichterung. Das zumindest möchten die medialen Meinungsführer und ihre Herren in den Chefetagen von Politik und Finanzen der braven Herde »Wahlvolk« einreden. Denn das im Jahre 2011 an Portugal vergebene 78 Milliarden Euro schwere Hilfspaket hatte selbst in den BRD-Regierungsparteien für Unruhe sorgt. Schließlich bürgt man mit heimischen Steuergeldern für einen großen Teil der Summe. Eine neue Euro-Krise so kurz vor den Bundestagswahlen könnte die Diskussion über den Unsinn der gemeinsamen Währung wieder aufflammen lassen – und die Großmachtphantasien der Euro-Apologeten in Berlin ernsthaft beeinträchtigen.

Wie schlecht die Dinge in Portugal tatsächlich stehen wird aus dem diese Woche verkündeten Verbot des Leerverkaufs von Bankaktien ersichtlich. Damit wetten Spekulanten auf sinkende Kurse. Stabilen Unternehmen können solche Leerverkäufe nichts anhaben. Bereits angeschlagene Banken können damit schnell in die Pleite getrieben werden. Das Verbot zeigt, wie schlecht es trotz aller offiziellen Beteuerungen des Gegenteils um die Stabilität des portugiesischen Finanzsystems steht. Zugleich wächst die Angst, daß das Land dem Beispiel Zyperns folgen und private Bankeinlagen konfiszieren wird, um damit seine maroden Geldhäuser zu sanieren. Schon wird in internationalen Finanzportalen wie »Zerohedge« die Frage gestellt, wann Portugal Kapitalverkehrskontrollen einführen wird, um – wie in Zypern – zu verhindern, daß Einleger ihre Guthaben ins Ausland bringen. Kein Wunder, daß die Rendite (Zinsen) für portugiesische Schatzbriefe wieder in exorbitante Höhen getrieben wurden.

Trotz Rettung der Regierungskoalition in Lissabon bleibt die tiefe Kluft zwischen der großen Masse der Bevölkerung und der politischen Elite bestehen. Für den britischen Schatzbrief-Händler Steve Collins stellt die Rettung der Koalition nur ein »Heftpflaster« dar, das man »über eine aufreißende, tiefe Fleischwunde geklebt hat« (The Guardian am Freitag). Und für Antonio Costa Pinto, Politologe an der Universität Lissabon, bleibt die Zukunft der Koalition »fragil«. Der Grund dürfte sein, daß unter portugiesischen und internationalen Analysten weitgehender Konsens herrscht: Portugal kann die von der Troika (Europäische Zentralbank, EU-Kommission, Internationaler Währungsfonds) gesteckten Ziele nicht erreichen und bereits in diesem Jahr ein weiteres Rettungspaket benötigen. Es war diese Erkenntnis, die die jüngste Regierungskrise überhaupt ausgelöst hatte.

Trotz der »Sparmaßnahmen« ist die staatliche Schuldenlast von 108 Prozent seiner Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt, BIP) im Jahr 2011 auf derzeit 123 Prozent gestiegen. Der Hauptgrund: Wegen der rabiaten Kürzungen geht die Wirtschaftsleistung deutlich zurück. Das BIP ist im Jahr 2012 inflationsbereinigt auf das Niveau von 2001 abgetaucht. Die Folgen sind außerordentlich hohe Arbeitslosigkeit – besonders bei Jugendlichen – Hunger und Absturz in soziale Verhältnisse, die sonst nur aus Ländern der Dritten Welt bekannt sind.

Auch die erhoffte Reduzierung des Haushaltsdefizits bleibt ein Wunschtraum. Der Staatsekretär im Lissabonner Finanzministerium, Luis Morais Sarmento, gab am 28. Juni bekannt, das Defizit sei in den zwölf Monaten bis einschließlich März 2013 auf 7,1 Prozent des BIP gestiegen. Im Kalenderjahr 2012 waren es 6,4 Prozent und 4,5 Prozent in der Vergleichs­periode der zwölf Monate bis März 2012. David Powell, Analyst des Finanznachrichtendienstes Bloomberg, zeigte sich diese Woche sicher, daß Portugal immer dringender »ein zweites Rettungspaket« benötige, weil die Anleger erneut »das Vertrauen zu verlieren« scheinen. Das kleine Land bewege sich »immer mehr in Richtung Zahlungsunfähigkeit«. Aber keine Sorge. Auch wenn sich Kanzlerin Angela Merkel kurz vor den Wahlen gegen ein neues »Rettungspaket« sperrt, bleibt immer noch die Europäische Zentralbank. Die wird dann wieder portugiesische Schrottpapiere kaufen, für die ebenfalls die Steuerzahler der Währungszone bürgen, falls sie – was etwa so sicher ist wie das Amen in der Kirche – nicht zurück gezahlt werden.

* Aus: junge welt, Samstag, 6. Juli 2013


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