Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Sócrates eingespart

Nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten steht Portugal vor Neuwahlen. Rechte will von Krise des Landes profitieren

Von Peter Steiniger *

Das Katz-und-Maus-Spiel ist vorbei. Wie angekündigt, haben auch die konservativen Sozialdemokraten (PSD) am Mittwoch abend (23. März) im portugiesischen Parlament, der Assembleia da República, dem neuen Sparprogramm der sozialistischen Minderheitsregierung ihre Unterstützung versagt. Damit öffneten sie die Falltür für das Kabinett von José Sócrates, der nach der verlorenen Abstimmung am späten Mittwoch abend seinen Rücktritt erklärte.

Im Rahmen der Austeritätspolitik seiner Regierung sollte die bereits vierte Sparrunde eingeläutet werden, die euphemistisch als Wachstumsbeschleunigungsprogramm (PEC IV) tituliert wurde. Die darin enthaltenen weiteren rigorosen Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen sind auf das ambitionierte Ziel gerichtet, die Staatsverschuldung rasch herunterzufahren, um Ratingagenturen und Finanzmärkte zu besänftigen. Lissabon hatte bis zuletzt darauf beharrt, seine Probleme lösen zu können, ohne auf internationale Finanzhilfen aus dem Euro-Rettungsschirm angewiesen zu sein. Aufgrund anhaltender Rezession, der weiteren Abwertung seiner Kreditwürdigkeit und dadurch verteuerter Geldaufnahme wird dies von vielen Analysten als wenig realistisch eingeschätzt. Die neue Stufe der politischen Krise hat das Land unmittelbar vor Beginn des EU-Gipfels der 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel getroffen, bei dem derzeit über eine Stabilisierung des angeschlagenen Finanzsystems beraten wird.

Nachdem bei den portugiesischen Präsidentschaftswahlen am 23. Januar der rechtsliberale Ökonom Aníbal Cavaco Silva im Amt bestätigt wurde und die Umfragewerte für die Sozialisten (PS) und ihren Premier als Folge ihrer unpopulären Maßnahmen weiter in den Keller rutschten, war es nur noch eine Frage des Zeitpunktes, wann die PSD Sócrates fallen lassen würde. Der Chef der rechten Opposition, Pedro Passos Coelho, wittert die Chance, die seit 2005 regierenden Sozialisten an der Macht zu beerben. Seit dem Verlust der absoluten Mehrheit im September 2009 verfügt die PS nur noch über 97 der 230 Sitze im Parlament. Die PSD, welche die vorangegangenen Sparmaßnahmen und sozialen Einschnitte in einer informellen großen Koalition weitgehend mitgetragen hatte, stellt sich nun als Anwalt der Schwächeren in der Gesellschaft dar: Auf keinen Fall dürften die Renten angetastet werden. Statt dessen empfiehlt sie eine weitere Erhöhung der Mehrwertsteuer von 24 auf 25 Prozent.

Auf Ablehnung stößt der Sparkurs jedoch vor allem auf der Straße. Mit großen Massenprotesten und Streiks fordern die Gewerkschaften eine soziale Verteilung der Lasten und eine Politik zur Ankurbelung der Binnenkonjunktur. Bisheriger Höhepunkt der Proteste war ein Generalstreik am 24. November. Im Parlament werden sie darin von den Kommunisten (PCP) und dem Linksblock (BE) unterstützt. Beide Parteien brachten mit eigenen Anträgen ihre Ablehnung der neuen Sparrunde zum Ausdruck. KP-Vorsitzender Jerónimo de Sousa unterstrich nach Sócrates’ Rücktritt, daß nun die Wähler das Wort haben müßten. Es genüge allerdings nicht, die Regierung auszuwechseln. Die von PS und PSD gemeinsam praktizierte rechte Politik sei »gescheitert«.

Die Proteste gehen auch nach Sócrates’ Abgang unvermindert weiter: Am Donnerstag (24. März) legten Eisenbahner und Transportarbeiter in weiten Teilen des Landes den Verkehr lahm. Ihre Aktionen richten sich gegen Angriffe auf Tarifverträge und gegen geplante Privatisierungen durch die Regierung. Die bleibt erst einmal geschäftsführend im Amt. Es wird erwartet, daß Staatschef Cavaco Silva nach Gesprächen mit den Parteiführern vorgezogene Neuwahlen für Juni ansetzt.

* Aus: junge Welt, 25. März 2011


Zurück zur Portugal-Seite

Zurück zur Homepage