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Vorspiel im Kampf um die Macht

Den beiden Favoriten im Kampf um Polens Präsidentschaft droht eine Stichwahl

Von Julian Bartosz *

Mit der Präsidentenwahl beginnt Sonntag das polnische Superwahljahr. Die Entscheidung über Parlament und Regierung fällt im Herbst.

Wroclaw. Vor dem Denkmal an der Gdansker Westerplatte, wo am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg begann, wird am heutigen 8. Mai das Kriegsende gefeiert. In Polen wurde der 9. Mai als Feiertag per Gesetz abgeschafft und in Anlehnung an die westliche Deutung auf das Datum der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht auf den Vortag verlegt. Vorgeschlagen wurde das vom derzeitigen polnische Staatsoberhaupt Bronislaw Komorowski. Der Präsident wird auch die Feier auf der Westerplatte zelebrieren.

Das wird für ihn vor der Präsidentenwahl am 10. Mai der letzte große Auftritt sein. Zuvor äußerte er sich noch über die in Moskau geplante Siegesparade: »Der Rote Platz wird sich am 9. Mai in einen Panzerplatz verwandeln.« Es würden jene Divisionen mit den Muskeln spielen, die unter den Augen der Weltöffentlichkeit unlängst die Ukraine angegriffen hätten. In seiner Wahlkampagne, die ihm die zweite Amtszeit sichern soll, stellten Russlandphobie und Angstmache neben Aufrufen zur Einheit der »nationalen Eintracht« die Hauptparolen da.

Ob das für einen Sieg des von der Bürgerplattform (BO) unterstützten Kandidaten im ersten Wahlgang reicht? Mit 65 Prozent auf der Popularitätsskala trat Komorowski an, ein »Kandidat des polnischen Volkes« zu sein. Auf dem Karussell der von neun Firmen betriebenen Meinungsforschung sind seine Chancen aber auf 44 bis 32 Prozent gesunken.

Ernsthaft bedroht wird Komorowski von der kirchlichen Hierarchie und dem von »Solidarnosc« unterstützten Kandidaten der Partei »Recht und Gerechtigkeit«, Andrzej Duda. Dessen Notierungen stiegen auf 27 bis 30 Prozent. Der Jurist spricht, wie 1995 Lech Kaczynski (PiS), die »Zurückgebliebenen« von Demokratie und Marktwirschaft an.

Das radikal demagogische Programm dieses Kontrahenten setzt auf streng gläubige Polen auf dem flachen Lande und in Kleinstädten, die nicht den zur Bürgerplattform tendierenden politischen und wirtschaftlichen Eliten angehören. Duda will auch die Rente mit 67 Jahren für Frau und Mann rückgängig machen.

Dritter im Ringen um die Präsidentschaft ist der Rockmusiker Paweł Kukiz. Dessen Wahlveranstaltungen werden besonders von Jugendlichen aus eher ärmeren Bevölkerungsschichten besucht. Mit scharfen Attacken gegen »die da oben« ist er von drei auf elf Prozent gestiegen.

Die neun übrigen Anwärter bilden den in Medien so genannten politischen Plankton. Dazu gehört leider die »parteilich ungebundene« Vertreterin des Demokratischen Linksbündnisses (SLD) Magdalena Ogorek mit drei bis vier Prozent. Ein Sprecher der »Demokratie von unten« wie auch Monarchisten, Nationalisten und Antisemiten werden mit bis zu zwei Prozent notiert. Janusz Palikot, Vorsitzender der nach der Parlamentswahl 2010 drittstärksten Sejmfraktion, ist mit seinem antiklerikalen Programm ganz am Boden.

Das Ringen um den Präsidentenpalast ist wichtiges Vorspiel der Parlamentswahl im Oktober. Das Staatsoberhaupt ist ein »Repräsentant« des Staates mit wenigen exekutiven Befugnissen. Die Macht liegt bei der Regierung. Die auch für Europa wichtige Frage lautet dann, ob die rechtskonservative PiS nach sieben Jahren die liberalkonservative PO ablöst.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 8. Mai 2015


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