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Tusks Revanche

Polens Ostpolitik zielt vor allem auf die Schwächung Rußlands. Jetzt will Warschau der BRD das russische Gas ausreden

Von Reinhard Lauterbach *

Als vor zehn Jahren die Ostseepipeline »North Stream« gebaut wurde, schwankten die polnischen Reaktionen zwischen Beleidigung und Hysterie. Polen sei nicht gefragt worden, war der mindeste Vorwurf. Was im übrigen nicht stimmt. Polen hatte vielmehr ein deutsches Angebot, sich über eine Stichleitung von Deutschland aus an die Ostseepipeline anschließen zu lassen, abgelehnt – aus Rücksicht auf die Ukraine. Der heutige Außenminister Radoslaw Sikorski nannte die Leitung sogar eine Neuauflage des Hitler-Stalin-Paktes.

Kein Zweifel: Die energiepolitischen Verbindungen zwischen Rußland und der EU, insbesondere Deutschland, sind Warschau ein Dorn im Auge. Polen hat sich bisher ausgerechnet, dank seiner Position als Transitland für russisches Öl und Gas von eventuellen russischen Liefersperren nicht betroffen zu sein, also auch seine eigene Ostpolitik ohne Rücksicht auf energiepolitische Abhängigkeiten betreiben zu können. Und polnische Ostpolitik hat ein einziges Ziel: Rußland zu schwächen und nach Osten abzudrängen. In der gegenwärtigen Krise sieht Polen Chancen für eine Aufwertung seiner eigenen Position als Frontstaat einer künftigen Auseinandersetzung zwischen der NATO und Rußland, nicht unähnlich der Rolle, die im Kalten Krieg die BRD spielte – nur 900 Kilometer weiter östlich. Die Gelegenheit zur Revanche für die nach wie vor ungeliebte Ostseepipeline wird gern mitgenommen. So erklärte Ministerpräsident Donald Tusk Anfang der Woche mit ungewohnter Deutlichkeit, die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas bedrohe die »Souveränität Europas«. Bei der Gelegenheit ließ er auch gleich noch eine Bemerkung gegen ehrgeizige Klimaschutzziele vom Stapel. Diese würden ebenfalls die Abhängigkeit von Rußland erhöhen, da die deutsche Energiepolitik die Kohle zugunsten von Gas zurückdrängen wolle. Polen hingegen sieht weiterhin Stein- und Braunkohle als Rückgrat der eigenen Energieversorgung und hält Klimaschutz ohnehin für ein Wachstumshemmnis. Und die Tusk nahestehende Gazeta Wyborcza machte die Bundesrepublik gar zum Anwalt von »Putins neuer Roter Armee« namens Gasprom. Ihr Kommentator bedauerte ausdrücklich, daß »in Deutschland Rechte und Linke (gemeint sind CDU und SPD, jW) eine gemeinsame Energiepolitik gegenüber Rußland verfolgen«.

Im Prinzip sind solche Aufwallungen auf polnischer Seite so regelmäßig wie die Jahreszeiten; neu ist allenfalls, daß sich diesmal der Regierungschef explizit in diesem Sinne äußert. Tusk versucht, die nicht übermäßig starke Verhandlungsposition Warschaus in der Energiepolitik über die EU zu »hebeln«. Denn Polen hat an seiner eigenen Abhängigkeit von Rohstoffzufuhren aus Rußland trotz aller wortreichen Klagen bisher wenig geändert. Das gilt nicht nur für Öl und Gas, wo russische Lieferungen bei weitem dominieren. Selbst die Kohle für Polens Kraftwerke kommt inzwischen aus Preisgründen vielfach aus Sibirien, während in Gorny Slask (dem früheren Oberschlesien) sechs Millionen Tonnen Kohle auf Halde liegen. Ein Flüssiggasterminal in Swinoujscie an der Odermündung ist seit Jahren im Bau, und es ähnelt dem neuen Berliner Flughafen darin, daß der Eröffnungstermin ein um das andere Mal verschoben wird. Der zuletzt offiziell genannte im Sommer 2014 wurde kürzlich wieder in Frage gestellt. Von wo aus das Terminal dann beliefert werden soll, ist unklar, zumal die erhofften Gastanker aus Katar die dänischen Meerengen und die streckenweise nur zehn Meter tiefe Kadetrinne südlich der dänischen Insel Falster passieren müßten. Ähnlich schwierig sind die Seewege aus Westen zu einem Ölhafen, den Polen in Gdansk angelegt hat. Der ist nur zur Hälfte ausgelastet – und dies über lange Jahre auch nur durch den Export russischen Öls und nicht den Import aus Drittstaaten. Diverse seit den 1990er Jahren verfolgte Projekte, von Polen eine Ölleitung an die ukrainische Schwarzmeerküste zu verlegen und das Land mit Öl aus Aserbaidschan zu versorgen, sind geplatzt. Ob der neueste Hit der polnischen Energiepolitik, die Förderung von Schiefergas, in Sachen Unabhängigkeit von Rußland wirklich etwas bringt, steht noch in den Sternen. Die ersten Konzessionen für Probebohrungen haben die amerikanischen Investoren bereits wegen mangelnden Ertrags zurückgegeben.

* Aus: junge welt, Donnerstag, 13. März 2014


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