Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Vorwärtsverlegung

Polens Armee rüstet zum Frontstaat auf. Bundeswehr gibt weitere 119 »Leopard-2«-Panzer ab, die russischen Modellen als weit überlegen gelten

Von Reinhard Lauterbach, Nekielka *

In diesem Jahr rollen deutsche Panzer ostwärts über die Neiße. Allerdings auf Eisenbahnwaggons. Denn als im November 2013 die Verteidigungsminister Thomas de Maizière und Tomasz Siemoniak in Poznan den Vertrag über die Abgabe von insgesamt 119 »Leopard-2«-Panzern mit umfangreichem Zubehör an die polnische Armee unterzeichneten, bekamen die Öffentlichkeitsarbeiter leichte Bauchschmerzen. Die nationalistische Opposition könnte es gegen die Regierung Tusk wenden, daß unter ihr deutsche Panzer durch Polen rollten. Noch ist das Wort von Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski von Polen als »russisch-deutschem Kondominium« in aller Ohren. Unter anderem deshalb entschied man sich für den Bahntransport, obwohl der Stationierungsort Zagan nicht weit hinter der Grenze liegt. Dort stehen bereits 120 ältere »Leoparden«, die Polen 2001 für einen symbolischen Euro von der Bundeswehr erhielt.

Der vereinbarte Preis – Polen zahlt eine Million Euro pro Panzer plus 60 Millionen für Ersatzteile, Bergegerät und Zubehör – gilt in Militärkreisen als Schnäppchen. Andere Interessenten hätten deutlich mehr geboten, erfuhr das polnische Magazin Polityka. Aber die polnische Seite habe den Deutschen erklärt, daß »im Ernstfall wir für Berlin den Kopf hinhalten« – und, entscheidender, der deutschen Seite leuchtete dieses Argument von einem möglichen Krieg in Osteuropa offenbar ein. Daß der Vertrag über die Panzerlieferung am selben Tag unterzeichnet wurde, an dem mit der Aussetzung der EU-Assoziierung durch den damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch der Streit um geopolitischen Einfluß in Polens östlicher Nachbarschaft offen ausbrach, mag Zufall gewesen sein. Es zeigt aber nebenbei, daß die Ukraine-Krise für die NATO wohl eher Anlaß als Grund für das Aufrüsten ihrer Ostfront war. Bei der Unterzeichnung betonten die beiden Minister, daß die einst für den Kalten Krieg konstruierten »Leopard«-Panzer nun Ausdruck der polnisch-deutschen Bündnispartnerschaft in der NATO seien. Mit anderen Worten: Der Gegner ist nun derselbe, und mit der Abgabe der deutschen Panzer an Polen kommt das Gerät näher an die potentielle Front. Polen grenzt ja nicht nur direkt an das russische Gebiet Kaliningrad, sondern auch an das zumindest derzeit noch mit Rußland verbündete Belarus.

Wenn die Panzerlieferung abgeschlossen ist, wird die polnische Armee sogar mehr »Leoparden« haben als die Bundeswehr. Obwohl schon Mitte der 90er Jahre ausgeliefert, gelten diese Panzer als allen aktuellen und vorhandenen russischen Modellen weit überlegen. Polnische Panzersoldaten äußerten sich gegenüber der Presse begeistert über den »Bedienungskomfort« der deutschen Panzer. Sie seien so einfach zu starten wie ein Auto, mit zwei Schraubenschlüsseln zu reparieren – kein Vergleich mit dem umständlich zu bedienenden T-72 sowjetischer Produktion. Die Geschütze seien den russischen in der Reichweite so deutlich überlegen, daß man sich sogar den kostspieligen Einbau eines Abwehrpanzers am Turm habe sparen können.

Manches daran mag Soldatenschnack sein. Tatsache ist aber, daß die Übernahme der zweiten 119 »Leopard«-Panzer durch die polnische Armee Element einer umfassenden Aufrüstung ist. Polen ist dabei, einen leichten – und dadurch lufttransportfähigen – Panzer selbst zu entwickeln, der polnische Mannschaftstransporter »Rosomak« erweckte in Afghanistan den Neid der Verbündeten, und das Land plant auch den Kauf von U-Booten, um die Ostsee für Rußland unsicher zu machen. Im Verbund mit der von Warschau angestrebten Stationierung von Elementen der amerikanischen Raketenabwehr im Land entsteht so der Eindruck, daß sich hier ein Frontstaat aufbaut. Die polnischen Militärausgaben sind – bezogen auf das Sozialprodukt – um ein Drittel höher als die deutschen. Mit den jüngsten Zusagen von US-Präsident Obama bei seinem Polen-Besuch Anfang Juni und dessen demonstrativer Aufwertung des Landes als »strategischer Verbündeter« der USA haben diese Vorhaben das Stadium von Planspielen definitiv verlassen. Deutschland trägt mit der Abgabe von Bundeswehrpanzern zu dieser Aufrüstung der NATO-Ostflanke bei.

Bei aller Genugtuung über den Handel hatten polnische Militärfachleute dennoch etwas zu mäkeln. Der Panzer habe sich mit den Golfkriegen als Waffe überlebt. Seine Rolle übernehme heute die Kampfdrohne. Deutschland sieht das genauso und steigt in das Waffensystem Drohne ein. Wie die Bundesregierung im vergangenen November auf eine Anfrage der Linkspartei mitteilte, waren Militärs damals damit beschäftigt, die Anforderungen an künftige deutsche Kampfdrohnen zusammenzustellen. Noch in diesem Jahr solle – nachdem das Projekt »Euro-Hawk« 2013 gescheitert war – entschieden werden, welches Modell die Bundeswehr anschaffen könne. Favorit sei, so schrieb Anfang des Jahres der Spiegel, der »Reaper« (Sensenmann) aus den USA.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Juni 2014


Zurück zur Polen-Seite

Zur Polen-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur NATO-Seite (Beiträge ab 2014)

Zur NATO-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage