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Frontstaathysterie in Polen

US-Kampfflugzeuge erwartet. Internetforen raten zu Hamsterkäufen. Stimmungsumschwung zugunsten des Euro

Von Reinhard Lauterbach *

Manchen Leuten in Polen erfüllt die Krise um die Ukraine langgehegte Träume. Anfang der kommenden Woche wird eine Staffel von zwölf Kampfflugzeugen der US-Luftwaffe samt 300 Mann technischem Personal auf dem Flughafen von Lask in Zentralpolen landen. Die Flugzeuge vom Typ F-16 kommen offiziell zur »Verstärkung der polnischen Luftverteidigung« im Zusammenhang mit den Entwicklungen in der Ukraine. Ob sie danach bleiben sollen, ist noch offen. Die Warschauer Politik verhehlt aber nicht, daß sie schon seit dem NATO-Beitritt des Landes 1998 davon geträumt hat, einen US-Stützpunkt im Lande zu haben. Was bisher immer an amerikanischen Sparmaßnahmen oder anderslautenden Prioritäten gescheitert ist, könnte jetzt wahr werden. Auch die Wahrscheinlichkeit, daß ab 2018 ein Standort des amerikanischen Abwehrsystems gegen »iranische« Mittelstreckenraketen in Nordpolen installiert wird, ist gestiegen. Jetzt sah sich das polnische Verteidigungsministerium zu der Mitteilung veranlaßt, laufende größere Truppenbewegungen seien rein routinemäßige Manöver. Sie finden auf Übungsplätzen relativ weit von der ukrainischen Grenze entfernt statt. Ein grenznahes Manövergelände wird nämlich anderweitig benötigt. Wo während der deutschen Okkupation die Wehrmacht an einem Modell von Stalingrad den Häuserkampf geübt hat, sollen jetzt Vorbereitungen für eine eventuelle Flüchtlingswelle aus der Ukraine getroffen werden.

Von der ist einstweilen allerdings nichts zu sehen. Die Grenzwache berichtet über eher unterdurchschnittlichen Verkehr. Vor allem die »Ameisen« bleiben aus, jene zahlreichen Bewohner der Westukraine, die sich in den letzten Jahren mit dem Schmuggel von Zigaretten und Schnaps in Haushaltsmengen ihren Lebensunterhalt verdient haben. Denn seit jüngstem dürfen nur noch zwei Päckchen Zigaretten und eine Flasche Wodka pro Person und Tag mitgeführt werden. Ukrainische Polenreisende schimpften, daß seit dem Maidan die Wirtschaftsleistung in der Westukraine noch weiter zurückgegangen sei. Es gebe so gut wie keine Arbeit mehr. Gleichzeitig falle der Kurs der Landeswährung Hriwnja, so daß der Einkauf in Polen immer teurer werde.

Obwohl eigentlich nichts passiert, tut die polnische Presse so, als stünde der Krieg vor der Tür. Die sich hochseriös gebende Rzeczpospolita veröffentlichte dieser Tage einen halbseitigen Ratgeber für Eltern: Wie spreche ich mit meinen Kindern über Krieg und Tod? Einer der Tips: Man solle vielleicht Vorschulkindern nicht gleich mit dem Abkommen von Jalta kommen, sondern lieber mit dem Tod eines Haustiers.

Auch im polnischen Internet ist Frontstaathysterie en vogue. Eine Face­bookseite mit dem Titel »Der dritte Weltkrieg vor der Tür – was tun?« gewann innerhalb weniger Tage über 200000 »Likes«. Hier wird diskutiert, was man zur Vorsicht bunkern solle. Neben Klassikern wie Mehl, Zucker und Mineralwasser werden auch getrocknete Provencekräuter empfohlen. Ein anderer Teilnehmer riet, sich für die »erste Kriegsphase« mit mindestens 30 Flaschen Wodka einzudecken. Andere fragen, ob es wohl ratsam sei, beim in diesen Tagen beginnenden Bau eines Vorratskellers auf dessen Luftschutztauglichkeit zu achten.

Neben diesen eher grotesken Erscheinungen hat die Krise allerdings zu einem bemerkenswerten Stimmungswandel geführt: Polens politische und Finanzelite freundet sich mit dem Euro an. Bisher hatten alle Regierungen seit 2004 eine mögliche Beteiligung an der Währungsunion sehr zurückhaltend behandelt. Man war heilfroh, sich die Euro-Krise von außen anschauen zu können. Als frühestes Beitrittsdatum wurde das Jahr 2019 gehandelt. Seitdem die Zuspitzung in der Ukraine auch den Zloty-Kurs in Mitleidenschaft gezogen hat, häufen sich jetzt Statements, diesen Termin möglichst vorzuziehen. Das Argument: Als Teil des Euro-Raums sei Polen besser gegen russische Sanktionen geschützt. Soviel zum Euro als Friedenswerk.

* Aus: junge welt, Samstag, 8. März 2014


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