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Polen will nicht allein dastehen

Vom neuen Außenminister werden neue Prioritäten erwartet / Einigkeit mit dem Westen als "Staatsräson"

Von Julian Bartosz, Wroclaw *

Von Polens Außenminister Grzegorz Schetyna wird nun ein Kurswechsel gegenüber seinem Vorgänger Radoslaw Skorski erwartet.

Neue Prioritäten der polnischen Außenpolitik stehen am Donnerstag auf der Tagesordnung. Die Präsentation der politischen Schwerpunkte des seit fünf Wochen amtierenden Außenamtschefs Grzegorz Schetyna im Sejm, weckt großes Interesse. Premierministerin Ewa Kopacz gab in ihrer Regierungserklärung Anfang Oktober vor, es sei »wichtigste Staatsräson«, dass es nicht zur Spaltung der Haltung des Westens komme. Polen dürfe nicht allein dastehen.

Grzegorz Schetyna pochte gestern in einem Interview für »Gazeta Wyborcza« ebenfalls darauf. Es war für ihn eine bittere Erfahrung, dass sein Appell an die Verbündete, die polnische Premierministerin bei den Gesprächen Asien-Europa in Mailand nicht abseits zu lassen, erfolglos blieb. Die Wyschehrader Gruppe funktioniert angesichts der realistischen Haltung Budapests, Bratislavas und Prags gegenüber Russland überhaupt nicht. Das Weimarer Dreieck mit Deutschland, Frankreich und Polen ist praktisch ebenfalls dahin, die von Polen unternommenen »Ostpolitische Initiative« völlig vergessen.

All das macht die Sorge um eine aktiver Teilnahme Polens am internationalen Geschehen um Russland und die Ukraine verständlich. Schetyna meint, die Entwicklung mit Russland hätte doch ganz anders verlaufen können: »Es gab ein reichhaltiges Angebot des Zusammengehens mit Europa, wenn es auf den Anspruch verzichtet, wieder eine Großmacht zu sein.« Wollte man – und genau das ist die Gretchenfrage – dies mit Sanktionen verhindern?

Polens Außenpolitik wird indes zunehmend durch die Militärpolitik mitbestimmt. Da rührt Staatspräsident Bronisław Komorowski die Trommel und besteht auf dem schnellen Aufbau der kürzlich in Newport beschlossenen »starken Speerspitze« der NATO am Ostrand des Bündnisses. Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak ist durchaus bereit das zu tun, was in der »Washingtoner Post« Sikorskis Ehefrau Anne Applebeaum Polen rät: Russland soll auch durch Polen »abgeschreckt« werden. Reservisteneinheiten, sogar unter der Bezeichnung »Armia Krajowa«, die ja einst gegen die deutschen Besatzer kämpfte, sollen verstärkt werden. Im linken »Przeglad« lacht sie der Kolumnist Bronislaw Lagowski glatt aus.

Sieben Jahre war im polnischen Außenministerium Radoslaw Sikorski der Chef. Unter seiner Führung wurden die Beziehungen Polens zu Russland immer kühler. Insbesondere in den letzten zwei Jahren galt er als Scharfmacher. Das zeigte sich vor allem in der »ukrainischen Frage«. Polen fühlte sich berufen, diesem Nachbarland vorzuführen, wie man es machen soll – vorwiegend bei den Themen Freiheit und Demokratie.

Durch die Wechsel an der politischen Spitze wurde Sikorski von der regierenden »Bürgerplattform« zum Sejmmarschall gekürt. Als solcher rief er mit gleich wieder zurückgezogenen, Aussagen über vermeintliche Pläne Putins, gemeinsam mit Polen die Ukraine teilen zu wollen, einen Skandal hervor. Damit – so die Medien – habe er sich total blamiert und der polnischen Politik insgesamt sehr geschadet. Dafür soll er auf Antrag der oppositionellen Partei »Recht und Gerechtigkeit« als Parlamentspräsident abgewählt werden. An der Annahme dieses Antrags wird allerdings gezweifelt.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 6. November 2014


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