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Kein Wechsel in Warschau

Abwahl von Bürgermeisterin der polnischen Hauptstadt gescheitert. Niederlage für Kaczynski

Von Reinhard Lauterbach *

Die Metaphern, mit denen polnische Journalisten den Ausgang des gescheiterten Referendums zur Abwahl der Warschauer Oberbürgermeisterin vom vergangenen Sonntag beschreiben, kommen aus der Welt des Sports oder aus der des Krieges. Von einer gelben Karte für Ministerpräsident Donald Tusk war die Rede, aber auch von einer roten für Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski. An wieder anderer Stelle hieß es: »Angriff auf die Festung Warschau abgewehrt«.

Die Bevölkerung von Warschau war am vergangenen Sonntag aufgerufen, über die Abwahl der Oberbürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz von der Regierungspartei PO zu entscheiden. Das Ergebnis fiel knapp aus, Gronkiewicz-Waltz kann im Amt bleiben. Entscheidend war die um etwas über drei Prozentpunkte zu niedrige Beteiligung. 25,77 Prozent der Warschauer gingen zu den Urnen, 29,1 Prozent hätten es sein müssen, damit das Referendum gegolten hätte. Von denen, die an der Abstimmung teilnahmen, stimmten 95 Prozent für die Abwahl der Bürgermeisterin. Doch die PO, Regierungschef Donald Tusk persönlich und der Partei verbundene Kultur- und Sportgrößen hatten dazu aufgerufen, das Referendum zu boykottieren. Dieses Spiel mit der Politikverdrossenheit war erfolgreich. Für die PO war das Resultat in ihrer Hochburg Warschau dennoch bei weitem kein glänzendes Ergebnis.

Gegen Gronkiewicz-Waltz hatte sich eine kunterbunte Koalition von rechts über karrieristisch bis ziemlich weit links zusammengefunden. Initiiert wurde die Kampagne für ein Referendum vom Bezirksbürgermeister des gutbürgerlichen Stadtteils Wilanów; Mietervereine und mit der städtischen Kulturpolitik unzufriedene Künstler schlossen sich an. Zumindest in den letzten Wochen ging die Initiative aber eindeutig auf die größte Oppositionspartei über, die rechtskonservative PiS von Jaroslaw Kaczynski. Sie setzte mit Plakaten, die an die Symbolik des Warschauer Aufstands 1944 anknüpften, Akzente, die zwar in Kreisen der einstigen Aufstandsteilnehmer helle Empörung hervorriefen, aber für öffentliche Aufmerksamkeit sorgten. Womöglich für etwas zuviel Aufmerksamkeit, denn Kaczynskis Partei hat zwar eine Stammanhängerschaft von etwa 25 Prozent der an polnischen Wahlen Teilnehmenden, Kaczynski ist aber auch einer der unbeliebtesten Politiker im Land. Sein polarisierender Stil, seine ständigen Unterstellungen irgendwelcher Verschwörungen gegen Polen, ohne jemals Roß und Reiter zu nennen, und schließlich der Umstand, daß er seit dreieinhalb Jahren aus dem Unfalltod seines Bruders beim Absturz des Regierungsflugzeugs in Smolensk einen Anschlag wahlweise der Russen oder der eigenen Regierung zu machen versucht, nervt viele Polen nur noch. Die Politisierung, die Kaczynski der Abwahlkampagne aufgezwungen hat, ist klar gegen ihn losgegangen. Trotzdem blieben Kaczynski und seine Partei dieser Linie auch nach der verlorenen Abstimmung in Warschau treu. Sie raunten von Wahlfälschungen, von Sabotage der Abstimmung indem die Wahllokale nicht deutlich genug gekennzeichnet worden seien, von Druck der Vorgesetzten auf städtische Beschäftigte, das Referendum zu boykottieren. Sogar vor dem Europarat will die PiS die Abstimmung anfechten und eine Wiederholung erzwingen. Ob ihr das in Wählerprozenten viel bringen wird, kann man bezweifeln; als Bestandteil einer Strategie der Spannung und der permanenten Delegitimierung der Tusk-Regierung vor der regulären Parlamentswahl 2015 hat diese Linie immerhin eine gewisse Logik.

Aber die Zeit läuft inzwischen gegen Kaczynski. Er hat seit 2005, als seine Partei für zwei Jahre an die Regierung kam, keine einzige landesweite Wahl mehr gewonnen, und das einst mit der PiS sympathisierende konservative Leitmedium Rzeczpospolita forderte ihn nach dem verlorenen Referendum auf, »sehr gründlich nachzudenken«. Gronkiewicz-Waltz ihrerseits hat bereits angekündigt, im nächsten Jahr für eine dritte Amtszeit kandidieren zu wollen. In Umfragen liegt sie dafür derzeit bei 54 Prozent.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 17. Oktober 2013


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