Stichwahl ums Präsidentenamt in Polen
Die wichtigste Sonntagsfrage: Wie entscheidet sich die linke Wählerschaft?
Von Julian Bartosz, Wroclaw *
Am Sonntag (4. Juli) findet das Finale im politischen Duell um die
Staatspräsidentschaft in Polen statt. Bronislaw Komorowski, der Kandidat
der regierenden Bürgerplattform (PO), will in der Stichwahl den Anwärter
aus der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, bezwingen.
Mit dieser Wahl wird die Frage entschieden, ob die beiden Zweige der
Exekutive - Regierung und Staatspräsident - einvernehmlich
zusammenwirken und dadurch die Lage in Polen stabilisieren oder ob sie
des Öfteren ihre Sträuße ausfechten. Aus der Amtszeit des bei Smolensk
tödlich verunglückten Lech Kaczynski kennt man das zur Genüge. Was
Grundfragen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung betrifft, macht
das keinen Unterschied: Beide Parteien und ihre Kandidaten gehören zum
rechten Personal auf der politisch-ideologischen Bühne Polens. Die PO,
für die es am Sonntag um die politische Allmacht geht, hat einen
quasi-liberalen Anstrich, die PiS versucht, sich als sozial sensibler
darzustellen.
Nach dem ersten Wahlgang am 20. Juni, bei dem Komorowski fünf Prozent
vor Kaczynski lag (41,5 gegen 36,5 Prozent), schlug die Stunde des
Bündnisses der Demokratischen Linken (SLD). Dessen Kandidat, Partei- und
Fraktionschef Grzegorz Napieralski, der mit fast 14 Prozent den dritten
Platz belegt hatte, wurde plötzlich von beiden Seiten intensiv umworben.
Er stand vor der schwierigen Frage, ob er seine 2,3 Millionen Wähler zur
Stimmabgabe zugunsten Komorowskis oder Kaczynskis aufrufen sollte.
Waclaw Martyniuk, Sekretär der Sejmfraktion des SLD, sagte gegenüber ND,
die meisten »alten Haudegen« der Partei hätten Napieralski gedrängt, den
PO-Kandidaten zu unterstützen. Kaczynski und die PiS stünden wegen des
Konzepts einer straffen, beinahe autoritären IV. Republik in sehr
schlechtem Ruf. Vom SLD-Chef selbst erfuhr ND, er sei nach Gesprächen
mit beiden um die Stimmen der Linken werbenden Konkurrenten, vor allem
aber nach ungezählten Kontakten mit der Basis zu der Erkenntnis gelangt,
dass seine Wählerschaft sehr wohl selbst wisse, wie sie
verantwortungsbewusst abzustimmen habe. Und übrigens hätten beide
Parteien an der Schaffung von Voraussetzungen für besagte IV. Republik
gewerkelt. Das Verhalten der linken Wählerschaft ist also die wichtigste
Sonntagsfrage.
Vor dem entscheidenden Wahlgang gab es noch einmal zwei sogenannte
Fernsehdebatten zwischen Komorowski und Kaczynski. Vertreter des
öffentlichen TVP und zweier privater Fernsehstationen - TVN und Polsat -
stellten beiden »schwergewichtigen Matadoren« dieselben vorher bekannten
Fragen. Es ging um Sozial-, Wirtschafts-, Außen- und Sicherheitspolitik.
Ob die von den »Debattierenden« geäußerten Allgemeinplätze die noch
unentschiedenen Wähler zu überzeugen vermochten, ist zweifelhaft. 84
Prozent der Wähler wissen bereits, wem sie ihre Stimme geben.
Politologen und Journalisten, die nach besagten Debatten den »Sieger« zu
nennen hatten, waren - wie die gesamte Medienwelt zuvor - ganz
unterschiedlicher Meinung, wie Punktrichter am Boxring bisweilen.
Für den bisher siegessicheren Komorowski wird die Stichwahl zur
Zitterpartie. Nach einer von »Rzeczpospolita« am Freitag
veröffentlichten Umfrage des Instituts GfK Polonia soll Kaczynski sogar
erstmals mit 49:47 Prozent vornliegen. Der Interims-Staatschef bereist
das Land und verspricht das Blaue vom Himmel, sogar einen baldigen Abzug
der polnischen Truppen aus Afghanistan und ein Gesundheitswesen, das
fest in öffentlicher Hand bleibt. Kaczynski widerspricht ihm in der
Frage der von der Kasse bezahlten künstlichen Befruchtung: Als Katholik
könne er die Tötung befruchteter Eizellen nicht akzeptieren.
Ab Sonnabend 0.00 Uhr herrscht offiziell Wahlkampfverbot. Komorowski
nimmt zwar in Kraków an einem Weltforum der »Demokratischen
Gemeinschaft« in Anwesenheit Hillary Clintons teil, doch das ist
legitim, denn als Sejmmarschall übt er die Funktion des Staatsoberhaupts
aus. Dafür werden die meisten Wähler am Sonntag nach den Hochämtern in
den Kirchen zur Urne gehen.
* Aus: Neues Deutschland, 3. Juli 2010
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