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Wie viele Polen leben in Polen?

Bei der jüngsten Volkszählung bezeichneten sich über 800 000 Bewohner als Schlesier

Von Julian Bartosz, Wroclaw *

Für »wahre polnische Patrioten« ist die Botschaft keineswegs erfreulich: Die jüngst vom Statistischen Hauptamt (GUS) veröffentlichten Daten der nationalen Volkszählung im vergangenen Jahr erwiesen, dass »nur« knapp 92 Prozent der 38,5 Millionen Landesbewohner sich »ausschließlich« als Polen bekennen.

Die Zeitung »Rzeczpospolita« fand am verblüffendsten die Ergebnisse der Zählung in den Wojewodschaften Katowice und Opole - in Oberschlesien also. 809 000 Einwohner dieser Region bezeichneten sich als Schlesier. 415 000 davon ergänzten aber, sie fühlten sich dem Polentum zugehörig. Eine derartige doppelte Selbstidentifizierung war diesmal - im Gegensatz zu bisherigen Volkszählungen - zulässig. Vor zehn Jahren hatte es damit Probleme gegeben. Trotzdem bestanden damals 170 000 Menschen darauf, als Schlesier anerkannt zu werden.

Auch die Kaschuben sorgten für eine Überraschung. Zu dieser ethnischen Gruppe, die anders als die Schlesier als solche samt ihrer Regionalsprache amtlich anerkannt sind, bekannten sich 228 000 Personen, von denen 211 000 zugleich ihr Polentum betonten.

Auffällig sind die Zählungsergebnisse für die als nationale Minderheit seit 1990 offiziell anerkannte deutsche Volksgruppe. Die »Gazeta Wyborcza« fragte: »Was ist mit 50 000 Deutschen geschehen?« Denn von den 153 000 Angehörigen der deutschen Minderheit im Jahre 2002 sind nur noch 109 000 übrig. Davon erklärten 26 000 ihre ausschließlich deutsche Identität. Danuta Berlinska von der Universität Opole sieht die Ursachen im Aussterben der älteren Generation, in einer starken Emigration der mittleren Jahrgänge und in der Distanzierung vieler junger Menschen von der »Deutschtümelei« einer radikalen Führungsgruppe in der deutschen Minderheit. Norbert Rasch, Chef der deutschen Minderheit in Opole, sagte: »Das Schlesiertum und die Region sind uns näher als das Deutschtum und Deutschland.« Ryszard Galla, der als Vertreter der Minderheit im Sejm sitzt, beklagte indes, dass nicht alle Deutschen erfasst worden seien, was entschieden die Hauptstatistiker entscheiden bestreiten.

»Wir geben Schlesien nicht auf«, schwor am Sonnabend die rechtsnationale Wochenschrift »Uwazam Rze«, die »Rzeczpospolita« sah in den Zählungsergebnissen ein Resultat reger antipolnischer Aktivitäten der Bewegung für die Autonomie Schlesiens (RAS) und des Verbandes der Schlesischen Bevölkerung. Sprecher rechter Parteien werteten die »beunruhigenden Daten« als Ausdruck des Protestes der Schlesier gegen die Republik.

Der aus Oberschlesien stammende Filmemacher Kazimierz Kutz, dessen Sympathie für die Autonomiebewegung bekannt ist, begrüßte die Zunahme des schlesischen Selbstbewusstseins (»Endlich Wind in unsere Segeln«) und hofft, dass der Sejm endlich das Minderheitengesetz ändert, so dass die schlesische Mundart als Regionalsprache und das örtliche Kulturgut zur Entfaltung gelangen könnten.

Der Zählung zufolge leben in Polen unter anderem auch 48 000 Ukrainer, 47 000 Belarussen , 16 000 Roma, 13 000 Russen und 10 000 Lemken.

* Aus: neues deutschland, 28. März 2012


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