Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Versöhnungsaufruf aus Warschau

Historischer Besuch des russischen Patriarchen in Polen

Von Julian Bartosz, Wroclaw *

Einen »historisch« genannten Versöhnungsappell unterzeichneten am Freitag in Warschau der russisch-orthodoxe Patriarch Kirill und der polnische Erzbischof Józef Michalik.

Zum ersten Mal seit der formellen Spaltung der Christenheit in die West- und die Ostkirche im Jahre 1054 betrat der höchste Vertreter der Russisch-Orthodoxen Kirche das kanonische Gebiet der »Römisch-Katholischen Weltkirche«. Schon das verleiht dem viertägigen Polenbesuch des Patriarchen von Moskau und ganz Russland, Kirill I., eine historische Dimension. Am Donnerstag war Kirill vom Metropoliten von Warschau und ganz Polen, Erzbischof Sawa, und seinen »rechtgläubigen« polnischen Anhängern in der orthodoxen Kirche im Warschauer Stadtteil Praga begrüßt worden. Anschließend wurde der Patriarch, der als »Außenminister« seiner Glaubensgemeinschaft früher bereits mehrfach in Polen weilte, von Staatspräsident Bronislaw Komorowski in Anwesenheit des Vorsitzenden der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Józef Michalik, empfangen.

Als Höhepunkt des Besuchs gilt jedoch die feierliche Unterzeichnung einer »Botschaft an die Völker Polens und Russlands« am gestrigen Freitag im Warschauer Königsschloss. Darin appellierten Kirill und Michalik an die Gläubigen ihrer Länder, »einander alles Leid und Unrecht zu vergeben« und die jahrhundertelange, oft von blutiger Gewalt gezeichnete Geschichte zwischen beiden Staaten hinter sich zu lassen. Jeder Pole sollte in jedem Russen und jeder Russe in jedem Polen »einen Bruder und Freund sehen«. Der Patriarch sagte nach dem Akt: »Versöhnung setzt Vergeben begangenen Unrechts voraus.« Der Versöhnungsappell sei - so Michalik - ein notwendiger erster Schritt zur »Erneuerung nach dem für uns schmerzhaft empfundenen aufgezwungenen Atheismus«.

Der Erzbischof zitierte Kirill, der vor einigen Jahren »die Diskrepanz zwischen dem intellektuellen und dem moralischen Stand der heutigen Welt« beklagte. Die Kirche müsse im öffentlichen Leben aktiv sein, ihre Stimme müsse hörbar und durchsetzbar sein. Das gelte für die Familie, für das Leben des Menschen »vom Anfang bis zum natürlichen Tod«. In der Ablehnung von Abtreibungen, Sterbehilfe und homosexuellen Gemeinschaften sind sich beide Kirchen in der Tat einig.

In jenem Teil der polnischen Medien, die das Dokument gutheißen, wird an den Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder von 1965 erinnert. »Wir vergeben und bitten um Vergebung«, hieß es damals. Eine Antwort der deutschen katholischen Bischöfe - lange nach der Erklärung der Evangelischen Kirche Deutschlands - folgte erst nach mehreren Jahren.

Doch »der Patriarch war noch gar nicht angekommen, da begann die Rechte schon den Dreschflegel gegen ihn zu schwingen«, schrieb »Polityka«. Die Warnung Daniel Rotfelds, des ehemaligen Außenministers und amtierenden Kovorsitzenden der polnisch-russischen Kommission für »schwierige Fragen«, dem Besuch keine größere politische Bedeutung zuzumessen (»Gute politische Absichtserklärungen gab es schließlich genug.«), schlugen die Rechten tatsächlich in den Wind. Anna Fotyga, ehemals Außenministerin unter dem heutigen rechtsnationalen Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, schrieb in »Gazeta Polska«, Kirill mache Politik für Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Jan Pospieszalski, der »Doyen« der katholisch-nationalistischen Publizistik, sagte in einem Rundfunkgespräch am Mittwochmorgen, der Patriarch sei unehrlich, »wie die russische Kirche immer«. Sonst als politische Vollstrecker des Willens der katholischen Kirchenhierarchie bekannt, verweigern die Anhänger Jaroslaw Kaczynskis der Bischofskonferenz in dieser Frage schlicht die Gefolgschaft. Mit »den Russen« wollen sie sich nicht versöhnen.

Am Sonnabend wird der Moskauer Patriarch bei seinen Glaubensbrüdern sein, die vorwiegend in der Wojewodschaft Białystok im Osten Polens zu Hause sind und dort ihren Heiligen Berg Grabarka haben. Die orthodoxe Kirche zählt in Polen etwa 400 000 Anhänger.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 18. August 2012


Zurück zur Polen-Seite

Zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage