Ärger über Nord Stream
Atomkraftwerke und Gashafen: In Polen werden Reaktionen auf den Bau der Ostseepipeline zwischen Rußland und Deutschland diskutiert
Von Tomasz Konicz *
Trotz des jüngsten politischen Durchbruchs für die von Rußland und Deutschland geplante Ostseepipeline lehnt die polnische Regierung dieses Vorhaben weiter strikt ab. Die Gasleitung müsse »Widerstand bei einem Teil der Länder der Europäischen Union auslösen«, erklärte Polens Regierungschef Donald Tusk vergangenen Freitag. »Unsere Haltung hat sich nicht geändert, und wir werden diese weiterhin in Europa erläutern.« Nach Tusks Ansicht bleiben bei dem Projekt für Polen ökonomische und politische Fragen offen. Die Bedeutung und das Gewicht der bisherigen osteuropäischen Transitländer von Energieträgern würde nun verringert. Es sei schwer vorstellbar, so der Premier, »daß wir ein solches Vorhaben akzeptieren«.
Tusk reagierte damit auf die am vergangenen Donnerstag von den Regierungen Schweden und Finnlands verkündete Zustimmung zum Bau der 1200 Kilometer langen Pipeline, die ab 2011 Erdgas vom russischen Wyborg ins deutsche Greifswald befördern soll. Stockholm und Helsinki mußten dem Vorhaben des Nord-Stream-Konsortiums zuerst grünes Licht erteilen, da die Trasse durch die Wirtschaftszonen beider Länder in der Ostsee verlaufen soll. Osteuropäische Transitländer fürchten nun, bei künftigen energiepolitischen Auseinandersetzungen mit Moskau ihr wichtigstes Druckmittel, die Drohung mit der Blockierung des Transitwege, zu verlieren.
In Polen werden konkrete Schritte überdacht, um die energiepolitische Abhängigkeit von Moskau und Berlin zu verringern. Dabei scheint Warschau ausgerechnet auf die Atomenergie setzen zu wollen. So standen während des Frankreich-Besuchs des polnischen Regierungschefs vergangene Woche neben Sicherheitsfragen auch die Energiepolitik auf der Tagesordnung, berichtete die polnische Nachrichtenagentur PAP. Zu Tusks Delegation gehörte auch die »Beauftragte zur Entwicklung der Atomenergie«, Hanna Trojanowska, die in Paris ein Schulungsabkommen mit dem französischen Kommissariat für Atomenergie unterschrieb. »Wir planen den Aufbau des ersten Atomkraftwerks etwa 2020«, erklärte Tusk nach den Konsultationen mit Präsident Nicolas Sarkozy. Der zweite Atommeiler soll demnach 2025 ans Netz gehen.
Obwohl bei den Ausschreibungen zum Bau von zwei Atomkraftwerken in Polen - deren Errichtung immer noch nicht endgültig beschlossen wurde - mehrere Nuklearkonzerne teilnehmen, scheinen die Franzosen »die größten Chancen zu haben«, berichtete die polnische Tageszeitung Polska. Die erste Gruppe von heimischen Atomexperten werde in Frankreich geschult, im Winter sollen weitere Kurse stattfinden. Als Standorte für die beiden Atommeiler sind das nordpolnische Zarnowiec und das westpolnische Klempicz im Gespräch. Die Kosten für jeweils ein Atomkraftwerk mit einer Leistung von 1600 MW sollen sich laut Polska auf »mehr als drei Milliarden Euro« belaufen.
In einem innerhalb der polnischen Presselandschaft breit rezipierten Artikel stellte die schwedische Zeitung Dagens Nyheter die These auf, daß der nun forcierte Bau von Atomkraftwerken Polens »Antwort« auf die Ostseepipeline sei. Ein weiteres kostspieliges Projekt stellt der Aufbau eines Gashafens in Swinoujscie dar. Konkret wird die Errichtung eines Terminals für Flüssigerdgas geplant. Spezielle Tankschiffe sollen verflüssigtes Erdgas nach Polen bringen und hier entladen. Wie die Tageszeitung Gazeta Wyborcza am Montag meldete, wurden nun drei Unternehmen zu der Ausschreibung für den Bau des Gashafens zugelassen, dessen Kosten bis zu 700 Millionen Euro betragen sollen. Im kommenden Mai soll das Vorhaben starten, das allerdings die Abhängigkeit des Landes vom russischen Erdgas nur leicht mindern kann. Die jährliche Aufnahmekapazität wird bei 2,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas liegen. Polen verbrauchte 2008 jedoch 15,6 Milliarden Kubikmeter.
Auch die geopolitischen Implikationen der Ostseepipeline werden in der polnischen Öffentlichkeit breit diskutiert. Die Gazeta Wyborcza wies am Sonntag darauf hin, daß immer noch der Vorschlag der deutschen Kanzlerin Angela Merkel »aktuell« sei, Polen an die Ostseepipeline über das deutsche Gasnetz anzuschließen. Vor drei Jahren habe der polnische Vizeaußenminister Ryszard Schnepf seinen Arbeitsplatz verloren, da er diese Option öffentlich in Erwägung gezogen hatte, bemerkte die Wyborcza. Heute hingegen erklärten polnische Diplomaten, daß dies »durchaus real sei, aber noch nicht in der gegenwärtigen Etappe«.
Es sind aber auch martialische Töne aus Warschau zu vernehmen: »Gestern waren es Panzer, heute sind es Öl und Gas«, kommentierte der polnische Geheimdienstchef Zbigniew Siemiatkowski die Ostseepipeline gegenüber der New York Times. Auch Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski von der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), warf Tusk ebenfalls mangelnde Entschlossenheit beim Kampf gegen Nord Stream vor. Die Regierung habe sich auf eine »Klientelpolitik« gegenüber Deutschland eingelassen, polterte Kaczynski.
Auf das größte Interesse in der polnischen Medienlandschaft stieß ein Artikel des Wall Street Journal. In dem äußerst scharf formulierten Text bezeichnet der stellvertretende Direktor des »Eurasia Energy Center« des US-Think-Tanks Atlantic Council, Alexandros Petersen, das Projekt Nord Stream als eine »Ribbentrop-Molotow-Pipeline«. Die »versteckte Drohung« hinter dem Vorhaben liege darin, daß Nord Stream es dem Kreml erlauben werde, die Gaslieferungen an Osteuropa zu kappen, ohne die »Energielieferungen an Deutschland verringern zu müssen«.
* Aus: junge Welt, 12. November 2009
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