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Großspektakel in der masurischen Heide

Grunwald-Gedenken gemäß "Bedürfnissen der Zeit"

Von Julian Bartosz, Wroclaw *

Auf den 15 Juli fällt der 600. Jahrestag einer der größten Schlachten des Hochmittelalters in der Heidelandschaft Nordmasurens. Das vereinigte polnisch-litauische Heer schlug damals vernichtend die zuvor unbesiegbar geglaubte Streitmacht des Deutschen Ordens. In Polen spricht man von der Grunwald-Schlacht, in Deutschland von der Schlacht bei Tannenberg.

Was mag dieser Jahrestag heutzutage politisch bedeuten? Die Wochenschrift »Polityka« veröffentlichte dazu ein Sonderheft »1410 Grunwald«. Professor Henryk Samsonowicz und andere angesehene Autoren der polnischen Historikerzunft zeichnen darin ein Panorama der damalige Epoche und versuchen darzustellen, dass das Gedenken an geschichtliche Ereignisse »keine unveränderliche Konstruktion« ist, sondern »einvernehmlich mit den Bedürfnissen der Zeit einer Umgestaltung unterliegt«.

Ebenfalls in »Polityka« schrieb Marek Henzler, der Deutsche Orden habe nicht nur Eroberungskriege geführt. Dem Ordensstaat sei auch eine wichtige zivilisatorische Rolle zuzuschreiben. Neben 120 Burgen und Schlössern wurden viele Städte nach westlichem Siedlungsrecht gegründet, betonte Henzler und lud anlässlich des Jubiläums zu deren Besichtigung in Polen und Litauen ein.

Das ist ein neuer Ton in Sachen Grunwald, der sich allerdings schon seit einiger Zeit angedeutet hatte. So fand im Mai in Wien ein »Tannenberg-Symposion« am Sitz des Hochmeisters Bischof Bruno Platter statt. Anwesend waren der Botschafter Polens in Österreich, Jerzy Margalski, und als Referent Prof. Samsonowicz, der für eine gemeinsame Rezeption der Geschichte plädierte.

Die »Bedürfnisse der Zeit« verlangten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Polen durch Russland, Preußen und Österreich dreigeteilt und von Europa »abgeschrieben« war, einen Mythos zur »Ermutigung des Geistes« und zur »Stärkung der Herzen«. Jan Matejkos Gemälde »Grunwald« – heute im Warschauer Nationalmuseum zu sehen – und der Roman »Krzyzacy« (Kreuzritter) von Henryk Sienkiewicz entsprachen dieser patriotischen Bestellung. Tadeusz Trepkowski schuf nach dem Zweiten Weltkrieg ein Plakat, auf dem unter den Daten 1410 und 1945 zwei zerschmetterte Helme – der eines Kreuzritters und der eines Wehrmachtssoldaten – unter einem schwarzen Geier zu sehen waren. Dieses Plakat versinnlichte den Übergang der traditionellen Sicht auf den Deutschen Orden als eines verbrecherischen Missionars und Feindes aller Slawen in die Tradition Nachkriegspolens. Konrad Adenauer im weißen Ordensmantel mit schwarzem Kreuz symbolisierte für die Polen die Kontinuität des deutschen »Dranges nach Osten«.

Auch in der deutschen Geschichtsschreibung spielte der Begriff »Tannenberg« eine wichtige Rolle. Um die schmähliche Niederlage des Deutschen Ordens 1410 zu überstrahlen, wurde der Sieg Paul von Hindenburgs über die Russen im Sommer 1914 als »Schlacht bei Tannenberg« herausgestellt. 1928 wurde in der Heidelandschaft Masurens ein pompöses Denkmal errichtet, an dem die Nazis später ihre Kolonnen aufmarschieren ließen. Die Historiker Heinrich von Treitschke und Ernst Wichert hatten dazu die geistige Rüstung geliefert.

Nun wird, wie schon seit Jahren, auf dem Schlachtfeld von 1410 das historische Geschehen nachgestellt. Tausende gepanzerte Freizeitritter und Armbrustschützen werden vorführen, »wie es war«. Anders als vor 600 Jahren werden die Teilnehmer und das zahlreiche Publikum eine friedliche Begegnung des Ordenshochmeisters Ulrich von Jungingen und des polnischen Königs Wladyslaw Jagiello erleben, einen großen Jahrmarkt besuchen und viel Geld ausgeben. Von Donnerstag bis Sonntag soll dieses Spektakel unter der Schirmherrschaft dreier Staatsoberhäupter (Polen, Litauen und Deutschland) dauern.

Es gibt einen Witz unter den Amateurrittern: Die Kreuzritter seien es leid, immer nur zu verlieren. Im nächsten Jahr solle man sie auch mal siegen lassen. Mancher in Polen meint, wir seien schon so weit.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juli 2010


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