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Frieden in Manila

Philippinen: Regierung und Moro-Rebellen unterzeichnen Abkommen, das den Bürgerkrieg beenden soll

Von Rainer Werning *

Vor etwa 1000 geladenen Gästen aus dem In- und Ausland soll am heutigen Donnerstag im Präsidentenpalast von Manila zeremoniell der Friedensvertrag zwischen der Regierung der Philippinen und der bedeutendsten muslimischen Rebellenorganisation, der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), unterzeichnet werden. Über 40 Verhandlungsrunden unter der Schirmherrschaft der malaysischen Regierung waren innerhalb von 17 Jahren notwendig, um dieses »umfassende Abkommen über die Schaffung der Region Bangsmoro« – was wörtlich übersetzt »Land der Moros«, der muslimischen Bevölkerung, heißt – auszuarbeiten. Noch im Sommer 2000 hatte der damalige Präsident Joseph E. Estrada der MILF im Zuge eines »totalen Krieges« mit der »Pulverisierung« gedroht. Nun stimmt diese Organisation, die einst für einen unabhängigen Staat auf den Südphilippinen gekämpft hatte, gemeinsam mit Präsident Benigno Simeon Aquino III in dessen Amtssitz eine Hohelied auf den Frieden an.

Die Reaktionen waren bereits im Vorfeld durchweg überschwenglich. »2014 wird für den Süden des Landes als ein Jahr des Friedens in die Geschichte eingehen«, erklärte Mary Ann Arnado, Generalsekretärin des Mindanao Peoples Caucus. In zivilgesellschaftlichen und Kirchenkreisen wird diese Stimmung ebenso geteilt wie in den Medien des Landes. Die Verhandlungsführer beider Seiten, Miriam Coronel-Ferrer für die Regierung und Mohagher Iqbal für die MILF, sprechen beide von einem »historischen Meilenstein«. Für Coronel-Ferrer ist der Vertrag gar eine »Quelle der Inspiration« für Länder mit »ähnlichen Problemen« und ein »weltweit vorbildlicher Beitrag zur Friedenssicherung«. Der malaysische Vermittler bei den Verhandlungen, Tengku Dato’ Ab Ghafar Tengku Mohamed, würdigte den Vertrag ebenfalls als herausragend: »Können Sie mir ein anderes Land mit einem 90prozentigen Anteil an Katholiken nennen, das sich anschickt, der muslimischen Bevölkerung Autonomie zu gewähren?«

Dem Vertrag vorausgegangen war Mitte Oktober 2012 eine Rahmenvereinbarung, die vorsah, unter anderem die Aufteilung von Steueraufkommen und politischen Machtbefugnissen unter Dach und Fach zu bringen. Bis Ende Januar konnte Einigkeit erzielt werden. Parallel zu diesen Verhandlungen war eine 15köpfige Bangsamoro-Übergangskommission unter dem Vorsitz von MILF-Verhandlungsführer Mohagher Iqbal damit beauftragt worden, den Entwurf eines entsprechenden Grundgesetzes auszuarbeiten. Dieses soll möglichst bis Ende des Monats an das Präsidialamt weitergeleitet werden, damit Aquino es den Kongreßabgeordneten und Senatoren noch vor Beginn der Sommerpause im Juni als eilbedürftiges Gesetz zur Ratifizierung vorlegen kann.

Teresita Quintos-Deles, Beraterin des Präsidenten in Fragen des Friedensprozesses, hat bereits hoffnungsfroh signalisiert, daß der Entscheidungsprozeß in beiden Kammern bis Ende des Jahres abgeschlossen werden könnte. Sollte dieser Zeitplan eingehalten werden, stünde im ersten Quartal 2015 ein Plebiszit an. Abzuhalten wäre dieses in jenen Gebieten, die heute noch zur »Autonomen Region in Muslim Mindanao« (ARMM) zählen sowie in weiteren Gemeinden, Dörfern und Städten der Provinzen Lanao del Norte, Nordcotabato und Basilan. Außerdem können sich andere Provinzen, Städte und Gemeinden per Volksentscheid Bangsamoro anschließen.

Die Abstimmung über eine tragfähige Regionalregierung der neuen Autonomie, die den Schlußpunkt des gesamten Friedensprozesses darstellen wird, soll im Zuge der im Frühjahr 2016 anstehenden Präsidentschafts-, Gouverneurs- und Kongreßwahlen erfolgen. Bis dahin will sich die MILF als politische Partei konstituiert und ihre militärischen Einheiten in die neue Bangsamoro-Polizei umgewandelt haben.

Bei aller Euphorie darf nicht vergessen werden, daß ähnliche Verträge mit der Nationalen Moro-Befreiungsfront (MNLF) 1976 und 1996 in Sackgassen geführt haben. Weil die MNLF letztlich die nationale Souveränität und staatliche Integrität der Philippinen anerkannte, kehrten ihr jene Kräfte den Rücken, die aus Protest dagegen die MILF gründeten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 27. März 2013


Klingt gut

Friedensabkommen auf Philippinen

Von Rainer Werning **


Bei solch überbordender Friedensbeschwörung kann einem schwindelig werden. Oder man hat Amnesie bereits als Versatzstück politischer Progammatik akzeptiert. In der philippinischen Hauptstadt Manila wird heute wieder einmal ein Ereignis »historischer Tragweite« beschworen. Die Regierung unter Präsident Benigno Aquino trifft sich mit den Topkadern der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) zum endgültigen Friedensdeal. Das klingt gut und eröffnete, wenn er denn realisiert würde, tatsächlich eine verheißungsvolle Perspektive für die in dieser Region langjährig geschundene Zivilbevölkerung.

Der Moro- oder Mindanao-Konflikt ist der mittlerweile älteste in Südostasien. Er ist das Produkt einer fatalen Verkettung von externem Kolonialismus – Spanien und die USA hatten dort immerhin von 1571 bis 1946 uneingeschränkt das Sagen – und interner Kolonisierung. Statt letzerem ließe sich auch von Siedlerkolonialismus sprechen. Die Konsequenz: Die Südphilippinen waren lange die Heimstätte indigener (animistischer) und muslimischer Volksgruppen. Bis die gnadenlos überlegene Feuerkraft US-amerikanischer Kolonialtruppen und danach gezielte Landumsiedlungsprogramme der Regierungen in Manila für reichlich sozialpolitischen und wirtschaftlichen Zündstoff sorgten. Die von den Spaniern abschätzig »Moros« genannten Muslime wurden zunehmend zu Squattern in ihrem eigenen Land.

Bewaffneter Widerstand gegen die Politik des »imperialen Manila« formierte sich erneut seit Ende der 1960er Jahre. Federführend war damals die Moro Nationale Befreiungsfront (MNLF). Ihr Selbstverständnis: Moros, nicht Filipinos. Ihr Ziel: eine unabhängigen Bangsamoro-Republik mit Minsupala (den Inseln Mindanao, Sulu und Palawan) als Kernland. Die Reaktion aus Manila: Militarisierung und Krieg. Bis kurz vor Weihnachten 1976 die Emissäre beider Seiten im libyschen Tripolis einen Friedensvertrag unterzeichneten. Darin erkannte die MNLF-Führung unter Nur Misuari die Oberhoheit Manilas an. Prompt wurde er der Kapitulation geziehen, und Freunde von einst etablierten im Gegenzug eben die MILF. Diese sah sich fortan im Aufwind. Erst recht, als Misuari Anfang September 1996 auch noch seine Unterschrift unter das umjubelte Endgültige Friedensabkommen setzte.

Heute fühlt sich Misuari übergangen und verraten. Seine Anhänger und die Armee lieferten sich noch im September 2013 in der Hafenstadt Zamboanga ein dreiwöchiges Gefecht. Und als selbst die MILF im Sommer 2008 einen ähnlichen wie den nun vorliegenden Vertrag mit Manila ausgehandelt hatte, stoppte der Oberste Gerichtshof den Deal. Schlimmer noch: Erneut mußte die geschundene Zivilbevölkerung tiefer in Deckung gehen. Der Frieden schien ja zum Greifen nahe.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 27. März 2013 (Kommentar)


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