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Armee in Erklärungsnot

Philippinisches Militär will die Abu Sayyaf »vernichten«. Gleichzeitig soll es Zahlung von Lösegeld gedeckt haben

Von Rainer Werning *

In dem für die Bekämpfung des »islamistischen Terrorismus« im Süden der Philippinen zuständigen »Western Mindanao Command« in der Hafenstadt Zamboanga wächst die Zuversicht, die seit Jahren für Geiselnahmen mit anschließender Lösegelderpressung verantwortlich gemachte Abu-Sayyaf-Gruppe (ASG) endgültig zu »vernichten«, wie es von dort am Freitag hieß. Gleichzeitig aber mehren sich Stimmen, die den Streitkräften (AFP) vorwerfen, in die von der ASG geforderte Übergabe einer Lösegeldsumme von umgerechnet 5,6 Millionen US-Dollar für die Freilassung eines sechs Monate lang festgehaltenen deutschen Paars verstrickt gewesen zu sein.

ASG-Sprecher Muammar Askali alias Abu Rami erklärte kurz nach der Freilassung der Geiseln am 17. Oktober, mit Hilfe hoher Regierungsbeamten habe man die geforderten 250 Millionen Peso erhalten. Um noch eins draufzusatteln, ließ Askali Anfang des Monats kurzzeitig im Internet einen Videoclip plazieren, in dem eine große Plastikplane mit Bündeln druckfrischer 1.000-Peso-Scheine (etwa 17 Euro) zu sehen war. Um die Plane gruppiert zählten mehrere Leute das Geld, während im Hintergrund eine schwarze Fahne des »Islamischen Staates« prangte.

Ramon Tulfo, Kolumnist des Philippine Daily Inquirer, monierte in einem Beitrag vom 21. Oktober: »Wenn die Regierung kein Lösegeld für die Deutschen zahlte, wie, um Himmels willen, konnte der Emissär, der das Lösegeld heranschaffte, all die Soldaten passieren, die vermeintlich in Sichtweite der Entführer und ihres Verstecks postiert waren? Das AFP-Oberkommando erklärte, Armee- und Marinesoldaten hätten sich in Schussweite der Terroristen aufgehalten und lediglich auf ein Zeichen zum Angriff gewartet.«

Für die Streitkräfte bedeutete der Publicitycoup der ASG eine Schlappe. Noch nie zuvor in der Geschichte hatte deren Generalstabschef binnen eines Monats dreimal Jolo bereist. Und dies bei seinem letzten Trip Ende Oktober sogar in Begleitung von Verteidigungsminister Voltaire Gazmin. Bei der Gelegenheit geriet der AFP-Generalstabschef Gregorio P. Catapang in Erklärungsnot und entschuldigte sich für »Pannen« im Zuge der Geiselbefreiung.

Wenngleich sich der Gouverneur von Sulu, Abdusakur A. Tan II., konsterniert zeigte, dürften er und sein Vater, der amtierende Vizegouverneur Abdusakur M. Tan, möglichen Groll unterdrückt haben. Häufig war in der Vergangenheit die Residenz der Tans als eine Art Schlichtungsstelle benutzt worden, über die ASG-Geiseln ihren Weg in die Freiheit antraten. Dann war stets von »Envelopmental politics« die Rede, der Politik des Verteilens von Umschlägen mit mehr oder minder großen Geldsummen.

Konteradmiral Reynaldo Yoma, Befehlshaber des »Gemeinsamen Einsatzverbandes Basulta«, der für die Inseln Basilan, Sulu sowie Tawi-Tawi und damit für die jetzigen Militäroffensiven gegen die Abu Sayyaf zuständig ist, gab sich schmallippig. Er verweigerte jeden Kommentar über geflossenes Lösegeld und wollte nicht ausschließen, dass es sich dabei schlicht um Falschgeld handelte. Gemeinsam mit dem für die Sulu-Region zuständigen Offizier, Oberst Alan Arrojado, wies er lediglich darauf hin, einzig der Direktive von Präsident Benigno S. Aquino III. zu folgen und die »Terroristen überall aufzuspüren, ihnen unablässig zuzusetzen und ihrem Treiben ein für allemal ein Ende zu bereiten«.

Die allein auf der Insel Jolo konzentrierten mehr als 3.000 Soldaten würden, sagte Arrojado, seit Anfang des Monats verstärkt auf Artilleriebeschuss und den Einsatz von Kampfhubschraubern setzen. Oberstleutnant Harold Cabunoc, Sprecher der AFP, versprach, künftig auch verstärkt auf sogenannte zivil-militärische Operationen zu setzen, die mit lokalen religiösen Führern abgestimmt würden. Demnach sollen sozialmedizinische Maßnahmen mit Aufklärungskampagnen gekoppelt und die ASG-Aktivitäten gegenüber der Bevölkerung als »unislamisch« gebrandmarkt werden.

Unterdessen sind in den vergangenen zehn Tagen ein achtjähriges philippinisches Mädchen und ein chinesischer Teenager, die in der Provinz Zamboanga Sibugay gekidnappt worden waren, gegen Zahlung von Lösegeld von ihren ASG-Geiselnehmern auf freien Fuß gesetzt worden. Gleichzeitig kamen während eines Feuergefechts mit der Abu-Sayyaf-Gruppe nahe Sumisip auf Basilan sechs Regierungssoldaten ums Leben.

* Aus: junge Welt, Montag, 10. November 2014


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