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Befriedung statt Frieden

Auf den Philippinen, Washingtons "zweiter Front gegen den Terror", muß die Zivilbevölkerung erneut Deckung suchen

Von Rainer Werning, Basilan

Die gute Nachricht zuerst: Die philippinische Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo kündigte zum Jahreswechsel an, bei der Präsidentenwahl 2004 nicht mehr zu kandidieren. Die schlechte Nachricht: Noch gut ein Jahr müssen die Filipinos Frau Arroyos Politik erdulden, deren Partitur zunehmend von Hardlinern im Militär geschrieben wird. Diese sehen sich durch Washingtons internationalen Kriegskurs politisch aufgewertet. Die Folgen sind fatal: Friedensperspektiven weichen wieder einmal »Befriedungs«-Aktionen, die Außenpolitik der einstigen und einzigen US-Kolonie in Südostasien (1898–1946) wird zur erweiterten nordamerikanischen Innenpolitik.

»Laßt Gloria, aber keine Bomben fallen!« und »Kein Krieg in Irak und in Mindanao!« heißt es auf Transparenten von Antikriegsdemonstranten, die zuletzt landesweit Protestmärsche für den Frieden am Golf und daheim organisieren. Dabei kriegt immer wieder »GMA« ihr Fett weg. »GMA«, in Manilas Medien das gebräuchliche Kürzel für die Präsidentin, ist längst umgemünzt worden in »Gloria Maka Amerikano« – »Gloria, die Pro-Amerikanerin«. Ihr Vize hingegen, Teofisto Guingona, ist Dauergast und geschätzter Redner auf den Antikriegskundgebungen, auf denen er kräftig gegen seine Chefin vom Leder zieht. Bis Anfang Juli 2002 war Guingona gleichzeitig auch Außenminister. Dann quittierte er aus Protest gegen Arroyos liebesdienerischen US-Kurs seinen Dienst. So gespalten die Regierung in Manila in der existenziellen Frage von Krieg und Frieden ist, so prekär ist der Alltag vor allem auf der südlichen Hauptinsel Mindanao und in der Sulusee.

Rodrigo Duterte ist außer sich. »Ich nenne euch nicht länger mehr Rebellen«, faucht er, denn das klinge zu würdevoll. Er sagt: »Wir verhaften jeden, der gegen die Regierung ist und sie bekämpft. Wenn ihr Bomben hochgehen laßt, junge Männer und Frauen, ja Kinder in den Tod reißt, wie soll ich euch da anders denn als einfache Terroristen bezeichnen?« Duterte ist Bürgermeister der Millionenstadt Davao City, der Wirtschafts- und Handelsmetropole Mindanaos. Gleichzeitig ist Mister Duterte ein knallharter Law-and-Order-Mann, offiziell zuständig für das Krisenmanagement in Süd- und Zentralmindanao. Am Nachmittag des 4. März explodierte auf dem belebten Flughafengelände von Davao eine Bombe. 24 Tote forderte das heimtückische Attentat, etwa 150 Personen wurden verletzt.

Bevor Voruntersuchungen des Attentats anliefen, hatten Duterte und einige regionale Militärkommandeure bereits ihre Vorverurteilung parat und die Schuldigen ausgemacht – die gesamte Führungsriege der heute größten und einflußreichsten Organisation des muslimischen Widerstands, der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF). MILF-Vorsitzender Hashim Salamat, Al Haj Murad Ebrahim, sein Vize für militärische Angelegenheiten und Chefunterhändler des vor zwei Jahren auf Vermittlung der malaysischen Regierung mit Manila zustande gekommenen Waffenstillstandsabkommens, Ghazali Jaafar, MILF-Vizevorsitzender für politische Angelegenheiten, sowie der Sprecher der MILF, Eid Kabalu, waren nach Meinung des Bürgermeisters die Drahtzieher des neuerlichen Terroranschlags. Er erklärte sie für vogelfrei und knüpfte nahtlos an die hysterischen Brandreden des Arroyo-Vorgängers Joseph Estrada an. Der drohte dem Moro-Widerstand im Sommer 2000 mit »totalem Krieg« und ließ das MILF-Hauptquartier Camp Abubakar in Zentralmindao bombardieren. »Zum Teufel mit Frieden«, polterte Duterte, »ich bin strikt gegen die Wiederaufnahme eines Friedensdialogs mit solchen Leuten.«

Zeitgleich mit den martialischen Erklärungen des Bürgermeisters von Davao bekannte sich die notorische Kidnapperbande der Abu Sayyaf durch einen Vertreter namens Hamsiraji Sali öffentlich zu dem Anschlag auf dem Flughafen der City. Die MILF indes lehnte entschieden jede (Mit-)Täterschaft ab und brandmarkte das Bombenattentat ihrerseits als »verbrecherisch und feige«. MILF-Sprecher Eid Kabalu unterstrich, seine Organisation würde solche Anschläge, die sich ausschließlich gegen Zivilisten richten, prinzipiell ächten, und er bot den Behörden aktive Mitarbeit bei der Aufklärung an.

Der in Ägypten ausgebildete MILF-Vorsitzende ging davon aus, daß unmittelbar nach Eid-ul Adha (dem Höhepunkt der Pilgersaison) die Chefunterhändler beider Seiten, der MILF und der Regierung, in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur die laufenden Friedensverhandlungen weiterführen würden. Dazu kam es nicht mehr. Am 11. Februar ordnete Verteidigungsminister Angelo T. Reyes eine Militäroffensive der Streitkräfte (AFP) gegen MILF-Siedlungen an. Auf dem Höhepunkt des »totalen Krieges« war Reyes Generalstabschef der AFP. Da diesen »Falken« Frieden nie ernsthaft interessierte, rief Hashim Salamat seine Gefolgsleute zum bewaffneten Widerstand auf und erinnerte an die Geschehnisse in Osttimor vor drei Jahren: »Auch wir können unser Leben opfern, um Unabhängigkeit zu erlangen.«

Was immer die Untersuchungen in Davao ans Licht bringen, für viele engagierte säkulare und religiöse Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft steht der Hauptnutznießer des Anschlags fest – die AFP oder einige ihrer regionalen Segmente. Über 200000 Menschen sind in den Regionen Süd- und Zentralmindanaos, wo die Gewalt eskaliert, zu internen Flüchtlingen geworden.

Nonoy (Name von der Red. geändert) ist zuversichtlich, daß unser Termin zustandekommt. Zwei volle Tage verbrachte er damit, für unsere Sicherheit zu sorgen und Taxitermine einzufädeln. Unser Ziel ist der Ort Lamitan auf der Insel Basilan, mein Gesprächspartner Vater Cirilo Nacorda, ein katholischer Kirchenmann mit kugelsicherer Weste. Nichts Ungewöhnliches in dieser Region, wo Fremde nicht immer willkommen sind.

Mit dem Schnellboot dauert die Überfahrt von Zamboanga City nach Isabela City gerade mal eine halbe Stunde. Knapp 40 Kilometer trennen das schmuddelige Hafengelände von Isabela, der Hauptstadt Basilans, von Lamitan. Eine überwiegend asphaltierte Allwetterstraße verbindet beide Orte, schlängelt sich streckenweise durch dichten Dschungel und vorbei an Kautschukpflanzungen. Waffen sind hier das große Geschäft: egal, ob man sie gewinnbringend verschiebt, sich damit eine ergebene Privatarmee zusammenstellt oder Kidnapping mit lukrativen Lösegelderpressungen praktiziert.

Vater Nacorda, von Gemeindemitgliedern liebevoll »Father Loi« genannt, erwartet uns bereits. Ein etwas untersetzter Mittvierziger heißt uns im »lädierten Sankt Peter«, wie er spöttisch den Komplex seiner zerschossenen Kirche der Sankt-Peter-Gemeinde nennt, herzlich willkommen. Soldaten und Polizisten in Uniformen kauern gelangweilt auf dem Boden oder säubern Waffen und Kampfstiefel. An die Sankt-Peter-Gemeinde grenzen das »Dr. José Torres Memorial Hospital« und ein kleines Schwesternheim. Dort, im unteren Stockwerk, das zu einer kleinen Kapelle ausgebaut ist, finden wir ungestört Ruhe zum Gespräch.

»Bevor ich 1992 in Lamitan zum Priester geweiht wurde«, erzählt Vater Nacorda, »studierte ich Kriminologie.« Ihm war damals nicht klar, was er mit seinem Leben anfangen sollte. »Ich entschied mich für mein Volk. Ich stamme aus Basilan, bin hier groß geworden und möchte an Ort und Stelle für das Gemeinwohl arbeiten.« Mit hohem Berufsrisiko: 1994 kidnappten ihn Leute der Abu Sayyaf und hielten ihn gut zwei Monate lang als Geisel fest. Dank des Lösegelds, das die Regierung zahlte, kam er frei. Während seiner Geiselhaft machte Vater Nacorda eine verblüffende Erfahrung. Die Abu Sayyaf, wie er sie erlebte, propagierte nicht nur den Islam als heilsbringende Ideologie. Er wurde Zeuge, wie sich ihre Mitglieder mühelos mit nagelneuen Holzkisten eindeckten, versehen mit der Aufschrift »Armed Forces of the Philippines« und gefüllt mit Waffen – geliefert von Offizieren der Regierungstruppen. »Ich traute meinen Augen nicht; das waren moderne Gewehre. Ich selbst konnte auch mit anhören, wie Mitglieder der Abu Sayyaf übers Handy mit Personal der Streitkräfte kommunizierten. Damals machte ich das nicht öffentlich, weil ich glaubte, daß sei ein Einzelfall.«

Sieben Jahre später mußte der Geistliche umdenken. Erneut hatten Mitglieder der Abu Sayyaf, diesmal aus einem Ferienresort der westphilippinischen Insel Palawan, Geiseln genommen und sie, von der Küstenwache »unbemerkt«, nach Basilan verschifft. Um die Mittagszeit des 2.Juni 2001 verschanzten sich die »Abus« mit ihren Geiseln auf Vater Nacordas Kirchengelände, beschafften sich gewaltsam im nahegelegenen Hospital Arzneimittel und verwüsteten danach das kleine Krankenhaus. Ein martialisches Großaufgebot von Regierungssoldaten riegelte den gesamten Komplex ab. Kampfhubschrauber feuerten auf die darin eingeschlossenen Menschen, die Sankt-Peter-Kirche wurde schwer getroffen. Dann geschah am späten Nachmittag desselben Tages ein Wunder: Den »Abus« glückt es, mitsamt neugenommenen Geiseln zu entkommen. Ein vom Kommandeur ad hoc einberufenes Sicherheitstreffen, erzählt Vater Nacorda, veranlaßte einen Teil des Wachpersonals, ihre Posten zu verlassen, was die Eingekesselten umgehend zur Flucht nutzten.

Für Vater Nacorda und weitere Augenzeugen steht außer Frage: Dies geschah mit Wissen und Duldung von zumindest drei hochrangigen Offizieren. Gegen Zahlung von Schmiergeldern hätten sie die Abu-Sayyaf-Leute augenzwinkernd entkommen lassen. Ein Vorwurf, den der Geistliche gemeinsam mit über 20 Zeugen im August und September 2001 vor Untersuchungsausschüssen des philippinischen Senats und Abgeordnetenhauses eidesstattlich bekräftigte. Wie ist es angesichts dieser Kritik möglich, will ich wissen, daß ausgerechnet Soldaten und Polizisten jetzt für sein Leben bürgen sollen? »Die Sicherheitskräfte hier stammen aus den Mannschaften und Unteroffiziersrängen. Einige schätzen mich persönlich, andere können meine Kritik nachvollziehen. Sie haben zwei Aufgaben: Einerseits sollen sie für meine Unversehrtheit sorgen, weil es sonst wirkliche Probleme gibt. Zum anderen überwachen sie genau meine Schritte. Solange ich mich innerhalb dieses Komplexes bewege, habe ich wenig zu befürchten.« Was geschieht, wenn er diesen verläßt? Vater Nacorda lächelt verschmitzt: »Wissen Sie, kürzlich rief mich ein FBI-Mann aus der US-Botschaft in Manila an. Er sagte mir: ›Father, nehmen Sie sich in acht; gewisse Elemente trachten Ihnen nach dem Leben.‹ Wer es denn auf mich abgesehen habe, wollte ich wissen. Antwort: ›Abus und Leute von der MILF.‹ Die Person am anderen Ende der Leitung legte den Hörer auf, als ich zurückfragte: ›Warum haben Sie die Streitkräfte vergessen?‹«

Bis zum 10. September 2001 schien die Zeit für Vater Nacorda zu arbeiten. Teile der Militärspitze in Manila hatten erwogen, aufgrund der Geschehnisse in Lamitan und der Aussagen des Geistlichen zurückzutreten. Das aber änderte sich schlagartig nach dem 11. September. Seitdem wird das Militär von den Herrschenden gehätschelt, Dissens wird denunziert. Das weiß mittlerweile auch Vater Cirilo Nacorda. Er bangt um sein Leben, rückt seine kugelsichere Weste zurecht und kann sich nur wundern, daß die Inthronisierung eines vom Senat empfohlenen Militärtribunals zur Aufklärung der Ereignisse am 2. Juni 2001 bislang ohne Konsequenzen blieb.



Rainer Werning:
Von Panama nach Jolo - "Terrorbekämpfung" mit Tradition

Die Bevölkerung im vorwiegend muslimischen Süden der Philippinen, auf der rohstoffreichen Insel Mindanao und in der Sulusee, hatte sich seit 1571 hartnäckig gegen die spanische Kolonialmacht zur Wehr gesetzt und deren Plan vereitelt, auch diesen Teil des Archipels ihrer Kontrolle zu unterwerfen. So folgte dem Spanisch-Amerikanischen Krieg (1898) bereits im Februar 1899 der Philippinisch-Amerikanische Krieg. US-Präsident Theodore Roosevelt erklärte diese »Insurrektion« als neuer Kolonialherr offiziell zwar am 4. Juli 1902 für beendet. Doch auf Jolo dauerten die Kampfhandlungen bis 1916 an. Diese erste militärische US-Intervention in Asien – beschönigend »pacification«, »Befriedung«, genannt – dezimierte die gut sechs Millionen Einwohner zählende philippinische Bevölkerung. In seinem Jahresbericht 1903 vermerkte US-Generalmajor George W. Davis: »Es wird notwendig sein, nahezu sämtliche Bräuche auszumerzen, die bislang das Leben (der Moros) auszeichneten. Sie sind ein grundlegend verschiedenes Volk; von uns unterscheiden sie sich in Gedanken, Worten und Taten, und ihre Religion wird eine ernste Hürde bei unseren Bestrebungen darstellen, sie im Sinne des Christentums zu zivilisieren. Solange der Mohammedanismus vorherrscht, kann der angelsächsischen Zivilisation nur mühsam der Weg geebnet werden.«

Mindanao blieb bis in jüngster Zeit die höchstmilitarisierte Region der Philippinen. Nach dem 11. September 2001 eskalierten Counterinsurgency (Aufstandsbekämpfung) und Counterterrorism – wiederum mit Hilfe US-amerikanischer Spezialeinheiten (SOF). Unter dem Vorwand, die »radikalfundamentalistische Abu Sayyaf« aufzureiben, der Verbindungen zur Al Qaida Osama bin Ladens unterstellt werden (was philippinische Geheimdienstoffiziere als Unfug abtun), eröffnete Washington im Januar 2002 auf Basilan offiziell »die zweite Front gegen den weltweiten Terror«. Am 10.August 2002 reiste Verteidigungsminister Angelo T. Reyes nach Washington. Dort ging es in Gesprächen mit seinem Kollegen Donald H. Rumsfeld vor allem um den verstärkten SOF-Einsatz auf den Inseln im Rahmen eines koordinierten Counterterrorism.

Seit die innere Panamakanal-Zone Ende Dezember 1999 nach 96jähriger US-Oberhoheit der Souveränität Panamas unterstellt wurde, entfiel zugleich ein ideales Terrain für »jungle warfare« – Counterinsurgency in tropischem Dschungelgelände. Die südphilippinische Insel Jolo (wo die Abu Sayyaf im Sommer 2000 ausländische Geiseln festgehalten und erst nach Zahlung hoher Lösegelder freigelassen hatte) ist in Kreisen des Pentagon als »Panama-Ersatz« im Gespräch. Der Vorteil aus Sicht der Militärstrategen: Das Terrain gilt, da Teil der einzigen US-Kolonie in Südostasien, als freundliches Umfeld; US-Truppen können dort gemäß bilateraler Abkommen auf unbestimmte Zeit verweilen; militärische »Befriedungen« richteten sich gegen den organisierten Moro-Widerstand; schließlich ließen sich von Jolo aus auch die Entwicklungen im krisengeschüttelten Indonesien zielgenauer verfolgen. Legitimiert wird der unbefristete Einsatz von etwa 3000 GIs in der Region mit der angeblichen Verbindung von Abu Sayyaf zur indonesisch-malaysischen Jemaah Islamiya. Diese wird für die Bombenattentate auf Bali Mitte Oktober 2002 verantwortlich gemacht, die 200 Menschenleben forderten.



Beide Beiträge aus: junge Welt, 26. April 2003


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