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Zwischen Volksarmee und Zivilgesellschaft

Vorabdruck. Aus dem Tritt geraten? – Die radikale Linke auf den Philippinen

Von Rainer Werning und Niklas Reese *

Vor 40 Jahren, am 21. September 1972, verhängte der philippinische Präsident Ferdinand E. Marcos das Kriegsrecht über den südostasiatischen Inselstaat. Er begründete dies unter anderem damit, »der kommunistischen Subversion« endgültig einen Riegel vorzuschieben. Als Marcos im Frühjahr 1986 stürzte, zählte die Neue Volksarmee (NPA), die Guerillaorganisation der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP), gemäß US-amerikanischer Militärstrategen mit zirka 30000 Kombattanten zur »weltweit schnellstwachsenden Guerilla«.

Aufgrund harscher innerparteilicher Auseinandersetzungen und verschiedener staatlicher Aufstandsbekämpfungsprogramme ist seitdem zwar der Einfluß der CPP geschwunden. Doch den Regierungen in Manila gelang es nicht, die Partei und ihre Guerilla zu zerschlagen. Im folgenden Beitrag skizzieren Rainer Werning und Niklas Reese, an der Universität Bonn lehrende Sozial- und Politikwissenschaftler, die Entwicklungen innerhalb der philippinischen Linken.

Ihr Text ist der Vorabdruck eines Beitrags in dem in diesen Tagen in 4., aktualisierter, vollständig überarbeiteter Auflage erscheinenden und von ihnen gemeinsam herausgegebenen »Handbuch Philippinen – Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur« (Berlin: Horlemann Verlag, broschiert, 500 Seiten, 19,90 Euro).
Wir dokumentieren im Folgenden den Beitrag nach dem Vorabdruck in der "jungen welt".



Ab Frühjahr 1973 formierten sich unter Führung der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) zwölf weitere linksorientierte Organisationen aus allen gesellschaftlichen Bereichen als National Democratic Front of the Philippines (NDFP) mit ihrem militärischen Arm, der New People’s Army (NPA). Unter dem Dach der NDFP sammelten sich alle diejenigen, die glaubten, daß eine (legale und gewaltlose) Mobilisierung durch Bewußtseinsarbeit und soziopolitische Aktivitäten nicht ausreichte, um die Marcos-Diktatur zu überwinden. Statt dessen setzten diese Kräfte, die sich fortan kurz ND nannten, auf den bewaffneten Kampf und organisierten Widerstand im Untergrund. Kleinbauern, Landarbeiter, Studierende, Intellektuelle und Teile der Kirche schlossen sich der NDFP an. Zahllose Guerillafronten entstanden landesweit.

Unter der Marcos-Diktatur war das ND-Spektrum in der Opposition ideologisch und politisch hegemonial. Marcos sollte – den Ideen Mao Tse-Tungs folgend – durch eine Kombination von bewaffnetem Volkskrieg im Hinterland und massivem militanten Widerstand in den städtischen Zentren zu Fall gebracht und anstelle seines Regimes eine volksdemokratische Republik errichtet werden. Auf diese Weise würden die »semi-feudalen, semi-kapitalistischen« Produktionsverhältnisse revolutioniert. Eine Volksdemokratie sollte die Dominanz der vormaligen Kolonialmacht USA brechen und die Feudalherrschaft auf dem Land überwinden.[1] Die antiimperialistischen, antifeudalistischen und antidiktatorischen Ideen der NDFP haben zahllose Menschen inspiriert, sozialisiert und mobilisiert. Der politische Gegenentwurf der NDFP übte lange Zeit eine große Faszination auf viele Menschen aus und vermittelte ihnen das Gefühl von Selbstachtung und Stärke.

Auseinanderstrebende Kräfte

Eine fatale Verkettung von Überheblichkeit, Panik und strategischen Fehlurteilen in der ersten Hälfte der 1980er Jahre war verantwortlich dafür, daß die NDFP während der bewegten und bewegenden Tage im Februar 1986, als der langjährige Despot Marcos gestürzt und ins Exil nach Hawaii ausgeflogen wurde, eher in die Rolle eines Statisten gedrängt wurde. Die vorgezogene Präsidentschaftswahl im Februar 1986 wurde von ihr als irrelevant, als »lärmendes Theater« betrachtet und boykottiert.

Mit der Wiedereinführung der (formalen) Demokratie kehrten einige linke Führungspersönlichkeiten und Organisationen der NDFP den Rücken. Sie waren der Meinung, die Arbeit für eine grundlegende politische und soziale Transformation durch den »neu entstandenen demokratischen Freiraum« mache den bewaffneten Kampf entbehrlich. Nicht die »Eroberung des Staates« im Zuge einer »national- beziehungsweise volksdemokratischen Revolution« sei nunmehr von Belang. Vielmehr müßten die Menschen unterstützt werden, ihre Lebensbedingungen vor Ort aus eigener Kraft zu verändern – vor allem durch die Entmachtung der Großgrundbesitzer, lokalen Kriegsherren und traditionellen Politikern. Politische Veränderung – so die Radikaldemokraten (Popdems) – könne nur durch »Gegenmacht von unten« hergestellt werden. Sie standen mit ihrem systemtranszendierenden Ansatz zwischen dem systemfeindlichen der ND und dem Reformansatz der Sozialdemokraten (Socdems).

Niedergang und Ernüchterung

Die meisten ND verblieben jedoch in der NDFP, so daß die konfliktträchtigen Auseinandersetzungen über Strategien und politische Visionen nur unter der Oberfläche brodelten. Entwicklungsprogramme waren für viele nicht länger vornehmlich Mittel zum Zweck der Mobilisierung, sondern wurden um ihrer selbst willen – als Beitrag zu Armutsbekämpfung und sozialer Transformation – unternommen. Eine Bewegung, die unter der Diktatur aus Sicherheitsgründen, aber auch um der Klarheit des politischen Ziels willen nur eingeschränkt pluralistisch gewesen war, begann fortan, in begrenztem Maße politische Vielfalt auszubilden.

Gleichzeitig verbot der »totale Krieg«, den die neue Präsidentin Corazon C. Aquino bereits 1987 unter dem Druck rechtsgerichteter Putschversuche gegen die NDFP ausgerufen hatte, die Austragung interner Differenzen. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wurden nun erneut als kommunistische Frontorganisationen gebrandmarkt, und eine moderate Sprache, die verdächtige Begriffe wie »Imperialismus« mied, war aus Sicherheitsgründen geboten. Selbst die Verwendung des Begriffs »Menschenrechte« konnte (und kann bis heute!) den Verdacht erregen, man sei »Linksextremist«.

Das etatistische, staatssozialistische (hier: maoistische) Paradigma, dem die NDFP folgt (e), begann weiter zu erodieren, als ab 1989 der »Realsozialismus« in Osteuropa und der früheren Sowjetunion von der eigenen Bevölkerung aufs Altenteil verbannt wurde. Daß die NDFP offiziell das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989 als richtige Maßnahme betrachtete, führte bei vielen ND zu weiterer Desillusionierung. Auch der zunehmende Bedeutungsverlust des Nationalstaates durch die Globalisierung sowie die Ernüchterung darüber, daß in Ländern, in denen die nationalen Befreiungsbewegungen an die Macht gelangt waren (wie Nikaragua oder Namibia), die Umsetzung von sozialer Gerechtigkeit und Demokratie zu wünschen übrig ließ, trugen dazu bei, daß das Ziel einer nationalen und sozialistischen Revolution von oben an Anziehungskraft einbüßte. Von zentraler Bedeutung für die folgende Spaltung der Bewegung waren allerdings »Interna«.

In den 1980er Jahre hatte es vier blutige »Säuberungen« innerhalb der NDFP gegeben: »Kadena de Amor« in Bicol im Jahre 1982, »Kampanyang (K)Ahos« auf Mindanao 1985/86, die »Operation Missing Link« (OPML) in der Region Südtagalog 1988 und ebenfalls 1988 die »Operation Olympia« in Metro Manila. Da man auf einmal herbe Verluste und militärische Rückschläge hinnehmen mußte, verdächtigten die verantwortlichen NDFP-Kader etliche ihrer Genossen, Spitzel des Staates gewesen zu sein. Im Rahmen dieser Aktionen – die in einer Atmosphäre von Angst, Hysterie, Mißtrauen und Paranoia stattfanden – sind über 1000 politische Aktivisten gefoltert und ermordet worden. Die meisten Opfer waren nie Agenten des Staates gewesen. Bis heute steht eine umfassende Untersuchung dieses finstersten und tragischsten Kapitels der philippinischen Linken aus. Viele aus der Bewegung meinten, in diesen »Säuberungen« die Janusköpfigkeit einer sich im Besitz der Wahrheit wähnenden revolutionären Bewegung zu entdecken, die im Zweifelsfall die Menschenrechte Einzelner hinter kollektive Ziele (oder »Klassenrechte«) zurückstellt.

Die Spaltung

Anfang der 1990er Jahre brachen die Differenzen offen aus. Innerhalb der NDFP stritt man heftig darüber, ob die veränderten politischen Rahmenbedingungen und eine aufrichtige Analyse der eigenen Fehler auch zu Veränderungen der politischen Strategie führen müßten.

Zentraler Bezugspunkt der Debatte war das im Jahre 1992 von Armando Liwanag – hinter diesem Pseudonym vermute (te)n philippinische Militär- und Geheimdienststellen José Maria Sison, den Gründungsvorsitzenden der CPP – verfaßte Papier »Reaffirm Our Basic Principles and Rectify Our Errors« (»Bekräftigt unsere Grundprinzipien und berichtigt unsere Fehler«). Darin gestand Liwanag zwar ein, die Bewegung habe manche »Irrtümer« begangen – etwa die »Säuberungsaktionen«. Doch die eigene Gesellschaftsanalyse verliere dadurch nicht an Gültigkeit. Am Avantgardeanspruch der Partei gelte es festzuhalten, und ohne eine Revolution in Form des »langwierigen Volkskrieges« sei eine echte Transformation der philippinischen Gesellschaft nicht möglich.

Die Debatte stieß anfänglich auf fruchtbaren Boden. Es gab eine große Bereitschaft zur »Korrektur«, weil viele aus der Bewegung die zunehmende Entwicklungsorientierung, die seit Ende der Diktatur in der Zivilgesellschaft zu verzeichnen war, kritisch beäugten. Viele Aktivisten lehnten allerdings – aus unterschiedlichen Gründen und mit divergierenden alternativen Zielsetzungen – Liwanags Sicht der Dinge ab. Sie verwarfen das Papier und verließen die NDFP. Diese Rejectionists (RJ) bilden seitdem ein vielfältiges Spektrum von Parteien, Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen. Diejenigen, die der im niederländischen Utrecht ansässigen Exilführung der NDFP und dem Liwanag-Papier folgten und den traditionellen Ansatz »bekräftigten«, nannte man seitdem Reaffirmists (RA). Es begann ein jahrelanger »Berichtigungsprozeß«, bis eine »erneuerte« NDFP entstand.

NGOs und Bündnisse spalteten sich fortan und kämpften um Mitarbeiter, um Büroausstattung, Bankkonten, Geldgeber und die Kontrolle über die Basisorganisationen, mit denen man zusammengearbeitet hatte. Freundschaften zerbrachen, gegenseitige Verleumdungen waren an der Tagesordnung, und selbst den Kindern der auf einmal bitter verfeindeten Lager wurde quasi über Nacht verboten, miteinander zu spielen. Die list- wie lust- und humorvolle Zusammenarbeit der Genossen diesseits und jenseits des politischen Untergrunds, die die philippinische Linke jahrelang ausgezeichnet hatte, war auf einmal passé und einer rigorosen Schwarz-Weiß-Malerei gewichen.

Die RJ, manche von ihnen mitverantwortlich für parteiinterne »Säuberungsaktionen«, kehrten der CPP abrupt den Rücken, um fortan akademische Karrieren einzuschlagen oder sich im Rahmen neu gegründeter NGOs als Bürgerrechtsaktivisten zu engagieren. Nicht wenige Mitglieder der Befreiungsbewegung fanden sich auf einmal mit der Alternative konfrontiert, den neuen Kurs vorbehaltlos zu unterstützen oder ihr jahrelanges, uneingeschränktes Engagement für »die Bewegung« und die damit verbundenen Lebensentwürfe plötzlich zunichte gemacht zu sehen. Zahlreiche NGOs wurden auf diesem »Schlachtfeld« zerstört, viele Aktivisten kehrten der Arbeit den Rücken.

In fast sämtlichen gesellschaftlichen Sektoren (Bauernorganisationen, Gewerkschaften, Frauenverbänden etc.) entstanden bis zu fünf Parallelorganisationen, die in ihren Analysen des Status quo meist unwesentlich differierten, jedoch mit unterschiedlichen Zielen und Strategien operierten oder auch nur jeweils verschiedenen »politischen Bossen« folgten.

Die Solidaritätsgruppen wurden nach dem Split von den Reaffirmists aufgefordert, sich zu ihnen zu bekennen – nach dem Motto »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns«. In nahezu allen europäischen Ländern weigerten sich die Gruppen, dem zu folgen, und erklärten, für alle Seiten offen bleiben zu wollen. Daraufhin suchten sich die RA neue Partner – in Deutschland etwa die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD). Auf den Philippinen selber haben die Reaffirmists jedoch in vielen Regionen die Oberhand und sind gegenüber den Rejectionists, deren Hochburg Manila ist, in den Provinzen stärker sozialpolitisch und organisatorisch verankert.

Politische Strategien

Die Reaffirmists haben nach der »Korrekturphase« den NGOs und Basisorganisationen (erneut) die Rolle zugewiesen, »das Volk« zu politisieren und es von der Notwendigkeit einer »national-demokratischen Revolution« zu überzeugen. Das System soll entlarvt und verworfen werden. NGOs sollen als Transmissionsriemen dienen, die von Partei und Bewegung für richtig erachteten politischen Analysen und Strategien »unters Volk zu bringen« beziehungsweise Kämpfer für die NPA rekrutieren. Daher kritisieren sie seitdem oft die konkrete Projektarbeit. Sie meinen, ein projektorientierter Ansatz, bei dem mit Regierung, Wirtschaft und ausländischen Geldgebern kooperiert wird, könne die Klassengesellschaft nicht überwinden, sondern münde unweigerlich in »NGO-ismus«. Damit wenden sich die Reaffirmists gegen einen Ansatz, den etwa die Popdems vertreten, welcher der Zivilgesellschaft eine eigenständige Rolle bei der Transformation der Gesellschaft zuweist.

Für die Popdems ist die Zivilgesellschaft als wichtiges Experimentierfeld auf dem Weg zur Erringung der Staatsmacht wie auch als weitgehend eigenständiger Bereich zu betrachten, der Staat und Gesellschaft bereichert. Die Popdems unterstützen konkrete soziale Kämpfe, in der Hoffnung, daß sie vielfach wirksame »Gegenmacht von unten« in Gang setzen. Für sie scheint die Unterminierung der bestehenden und die Schaffung neuer, autonomer, dezentraler, basisdemokratischer Machtverhältnisse eine tragfähigere Option für gesellschaftliche Veränderung zu sein. Diese müsse sich auch im Bewußtsein der Menschen widerspiegeln. Denn ohne die Emanzipation von ideologischer Bevormundung könne es keine Veränderung geben. Sie wollen »politikfähig« bleiben, wo die großen Strategieentwürfe abhanden gekommen sind, und die Idee des einen wahrhaftigen Ansatzes fraglich geworden ist.

Geschwisterkrieg und Parteilisten

Es wäre zu kurz gegriffen, hielte man die Spaltung bloß für einen Streit um die richtigen Positionen und die Folge politischer und strategischer Uneinigkeiten. Der Konflikt war gleichzeitig ein Kampf um Macht, Einfluß, eine Fehde von Personen mit ihren jeweiligen Gefolgschaften. Letztlich ging es auch um die Frage: »Wer hat die Deutungshoheit und vermag auf deren Basis die Bewegung zu repräsentieren?« Und daß sich die einen zu diesem und die anderen zu jenem Lager geschlagen und bekannt haben, hat nicht nur ideologische, sondern auch lebensweltliche Gründe und betraf den Erfahrungshorizont ihrer politischen Sozialisation.

Die Verabschiedung des Dezentralisierungsgesetzes (1991) und die Einführung von Parteilisten bei direkten Wahlen (1995) stellten ein neues Instrument dar, auf das politische Geschehen einzuwirken. 1996 hoben Popdems, einige Organisationen und Einzelpersonen aus dem RJ-Lager sowie der linke Flügel der Socdems die Parteiliste AKBAYAN aus der Taufe, die sich mit den hiesigen frühen Grünen vergleichen ließe und über »Fundis« wie auch »Realos« verfügt. Seit 1998 ist sie im Parlament vertreten. 2010 unterstützte AKBAYAN den Wahlkampf von Noynoy Aquino, und so haben heute einige ihrer Galionsfiguren Regierungspositionen inne – etwa als politischer Berater des Präsidenten, als Vorsitzende der Menschenrechtskommission oder als Vorsitzender der Nationalen Armutsbekämpfungsbehörde. Außerdem haben sie zwei Sitze bei den Wahlen gewinnen können.

Das RA-Lager, das die Beteiligung an Wahlen ablehnte und damit die Tradition der Befreiungsbewegung fortsetzte, erkannte bald, wie erfolgreich AKBAYAN und andere Parteilisten ihre Themen in die Medien bringen und sogar einige Skandale aufdecken konnten, weil sie im Parlament saßen. 2001 traten sie mit einer eigenen Parteiliste, BAYAN MUNA (Das Land/Volk zuerst), bei den Wahlen an, die sogleich die meisten Stimmen aller Listen erhielt, weit mehr als für das Maximum von drei Sitzen notwendig gewesen wäre. Bei den folgenden Wahlen traten sie darum mit mehreren Listen an: 2010 waren es eine Arbeiter- und Bauernliste, eine Jugendliste, eine Lehrerliste sowie die Frauenliste Gabriela – und erneut BAYAN MUNA. Insgesamt erhielten sie sieben Sitze.

Die Konkurrenz bei den Parteilistenwahlen verschärfte auch Feindseligkeiten zwischen den Blöcken, begleitet von gegenseitigen Beleidigungen und Schmutzkampagnen. Diese Animosität schlägt zuweilen auch in offene Gewalt um. Mitglieder von AKBAYAN wurden bei Wahlen von NPA-Soldaten daran gehindert, in Gebieten, die von der NPA kontrolliert werden, Wahlkampf zu betreiben.[2] Mehrere Führungspersönlichkeiten der RJ wurden zwischen 2001 und 2004 von der NPA im Rahmen ihrer »Volksgerichtsbarkeit« ermordet.

Nichtsdestotrotz geht die Hauptgefahr für Leib und Leben für als »links« und zugleich als »kommunistisch« geltende Aktivisten von den staatlichen »Sicherheitskräften« und lokalen Warlords aus. Zwischen 2001 und 2010 ist es zu über 1100 politischen Morden gekommen, deren Opfer überwiegend Aktivisten aus dem RA-Spektrum waren.

Geschwächte Linke

»Es ist der breiten philippinischen Linken zu verdanken, daß Themen, die einst als ›links‹ betrachtet wurden – wie Schuldendienst, Handelsliberalisierung, Landreform und ausländische Investitionen usw. – heute als Teil des nationalen Bewußtseins von den Medien und sogar von Politikern im Parlament behandelt und debattiert werden«, konstatierte der Politikwissenschaftler Roland Simbulan, selbst ein bekennender Linker. Bei konkreten Anliegen, Analysen und Forderungen liegen dabei die Positionen der linken Spektren oft gar nicht weit auseinander. Ihr Ziel, die Gesellschaft grundlegend zu transformieren, eint sie ebenfalls. Unter all jenen, die nicht dem RA-Spektrum angehörten, hat in den vergangenen Jahren darum auch ein Verständigungsprozeß eingesetzt, der zu einer punktuell intensiven Zusammenarbeit führte. Der Graben zwischen RA und Non-RA ist jedoch bis auf wenige Ausnahmen noch so tief wie eh und je, auch weil die RA ein Monopol des revolutionären Kampfes für sich reklamieren und einzig sich selbst als links gelten lassen.

Dieser innerlinke Konflikt absorbiert viel Energie und schwächt insgesamt den Kampf für eine gerechte Gesellschaft. Das kommt jenen zugute, die den Status quo aufrechterhalten wollen. Außerdem wurden bestimmte Räume, die zuvor die Linke besetzt hatte, vom religiösen Sektor oder der charismatischen Rechten übernommen, so der Soziologe Randy David: »Weil wir unfähig sind, unser dogmatisches Vokabular durch ein neues zu ersetzen, und weil wir zu zersplittert sind, können diese Gruppen viel erfolgreicher Menschen mobilisieren. Die Linke verliert an Bedeutung, weil sie sich weigert, sich an den neuen Realitäten zu orientieren.« Zahlreiche Basisorganisationen haben sich deshalb von den linken Blöcken abgewandt, weil sie sich instrumentalisiert fühlen.

Anmerkungen
  1. Der CPP-Gründungsvorsitzende José Maria Sison formulierte diesen Ansatz Anfang der 1970er Jahre unter dem Pseudonym Amado Guerrero in dem Buch »Philippine Society and Revolution«, das noch immer als »Rotes Buch« der Bewegung gilt
  2. Die NPA erteilt in den von ihr kontrollierten Gebieten in Wahlkampfzeiten gemeinhin »Genehmigungen« (permit to campaign). Sie dienen ebenso wie die »Revolutionssteuern« (jährlich geschätzte 100 Mio. Peso), die sie von Geschäftsleuten, Landbesitzern und Lokalpolitikern vor Ort eintreiben, der Finanzierung ihres bewaffneten Kampfes und der sozioökonomischen Projekte vor Ort. Diese Form der Finanzierung hat an Bedeutung gewonnen, nachdem das RA-Spektrum nach dem Split den Zugang zu ausländischen Finanzquellen verloren hat.
* Aus: junge Welt, Dienstag, 04. September 2012


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