Nach der "Wende" auf den Philippinen:
Was sich alles nicht ändert - ein Bericht aus Manila
Im Folgenden dokumentieren wir in Auszügen einen Artikel von dem Asienexperten Rainer Wernig, der am 23. Februar 2001 in der Wochenzeitung Freitag erschien. Sein Fazit: Die neue philippinische Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo betreibt Politik in alter Manier und mit altgedientem Personal.
Mündel der Mächtigen
Von Rainer Werning, Manila
... Vor genau 15 Jahren brachte in Manila People Power die
Marcos-Diktatur zum Einsturz. Und vor einem Monat
beendete eine Neuauflage davon vorzeitig die
Präsidentschaft des einstigen Marcos-Zöglings Joseph
Estrada. Beide Male trieb es die Volksmassen auf die
Straßen. Doch für sie, so scheint es, wird das Jahr 2001
ebenso dürftig ausfallen wie 1986...
Eine Frau, die einstige Vizepräsidentin und promovierte Volkswirtschaftlerin
Gloria Macapagal-Arroyo (in den Medien kurz GMA genannt) will seit
ihrem Amtseid am 20. Januar den Augiasstall ausmisten, den ihr der bis auf
die Knochen korrupte Estrada hinterlassen hat. Ein Vier-Punkte-Programm
soll das Land - so die gottesfürchtige Vision der tief religiösen Präsidentin -
aus der politischen und sozialen Malaise führen. Macapagal-Arroyo
verspricht einen Führungsstil, der statt Rhetorik und Showgehabe auf
vorbildliches Arbeitsethos und Würde setzt.
... Mit einem
famosen Wahlergebnis wurde GMA .. 1998 zur Vizepräsidentin
Estradas gewählt und übernahm in dessen Kabinett zudem den Vorsitz des
Sozialen Wohlfahrts- und Entwicklungsministeriums (DSWD) - allerdings
ohne erkennbaren Erfolg. Allein die Zahl der in prekären Verhältnissen
lebenden Straßenkinder wuchs während ihrer Amtszeit auf eine viertel
Million. Als im Oktober 2000 die ersten Korruptionsvorwürfe gegen
Estrada laut wurden, trat Macapagal-Arroyo als Ministerin zurück, behielt
allerdings ihr Amt als Vizepräsidentin.
Kritiker bemängeln an der neuen Präsidentin, sie habe kaum Charisma und
profitiere einzig von der Reputation ihres Vaters Diosdado Macapagal.
Dieser hatte 1961 die Präsidentschaft gewonnen und sich als Vorgänger
des späteren Diktators Ferdinand E. Marcos in zweierlei Hinsicht einen
Namen verschafft: In der Öffentlichkeit galt er als "der Unbestechliche",
während sein wirtschaftliches Deregulierungsprogramm den Beginn einer
betont exportorientierten Entwicklung markierte und auf Kredite von
Weltbank und IWF setzte. Sollte sich GMA davon inspiriert fühlen und eine
weitere Marktöffnung favorisieren, steht zu befürchten, dass sie rascher als
ihr lieb sein dürfte in den Strudel heftiger sozialer Proteste gerät. Immerhin
haben im landesweiten "Verjagt Estrada"-Spektrum nicht wenige mit dem
Sturz des Präsidenten auch an das Ende einer elitenfreundlichen und
mafiotischen Politik gedacht.
In diesem Land ist die Mafia der Staat
"Wäre die Estrada-Politik ungeniert fortgesetzt worden", kommentiert der
an der University of the Philippines lehrende Politologe Walden Bello,
"hätte der Präsident gleichzeitig die Spitze von Staat und Unterwelt
verkörpert. Mag die Mafia in Kolumbien möglicherweise stärker als der
Staat sein, auf den Philippinen ist die Mafia der Staat." Und während
Verfassungsjuristen in Manila noch immer über die Legalität des
Präsidentenwechsels sinnieren, gerät denn auch die neue Prätedentin schon
ins Zwielicht. Sie soll nicht nur den Besitz eines knapp fünf Millionen
US-Dollar teuren Anwesens in San Francisco verschwiegen haben.
Schlimmer noch: Sie selbst, heißt es, sei Taufpatin des Kindes eines
einflussreichen Regionalpolitikers, der für ihren Amtsvorgänger eifrig
illegale Spielgelder eingetrieben habe.
Wie auch immer, GMA hat nicht nur diese Vorwürfe, sondern vor allem
einen Spagat auszuhalten: Sie proklamierte einen Neubeginn und garantiert
gleichzeitig die Kontinuität eines misslichen Marcos-Erbes. Dazu zählt die
Politisierung des Militärs, wenn strategische Regierungspositionen mit
Ex-Generälen besetzt werden und der schillernde Fidel V. Ramos - ein mit
Fortüne und Skrupellosigkeit ausgestatteter Wendehals par excellence - eine
Schlüsselfigur bleibt. Unter Diktator Ferdinand Marcos war er
Kommandeur der paramilitärischen Constabulary (Vorläuferin der
Philippine National Police), einer der Kriegsrechtsverwalter und
stellvertretender Generalstabschef. Zusammen mit dem damaligen
Verteidigungsminister Juan Ponce Enrile wandte er sich erst fünf vor Zwölf
von Marcos ab, verhalf dessen Nachfolgerin Aquino zur Macht, diente
während ihrer Amtszeit als Generalstabschef und Verteidigungsminister,
um von 1992 bis 1998 selbst das höchste Staatsamt zu bekleiden.
Ramos' Stimme und seine ungebrochene Reputation entscheiden nach wie
vor über Besetzungen wichtiger Ressorts im (noch immer nicht
vollständigen) Kabinett. Die Militärhierarchie mit Generalstabschef Angelo
T. Reyes und seinem Vize, Generalleutnant José Calimlim, ist bisher
vollkommen unangetastet geblieben. Gleiches gilt für die Polizeispitze. ...
Abkehr vom "totalen Krieg"
"Ich bin eine von euch", erklärte die Präsidentin am vergangenen Samstag
während ihres Antrittsbesuchs in der Militärakademie von Baguio City. Als
Dank für den Flankenschutz beim Coup gegen Estrada versprach sie vor
dem versammelten Offizierskorps eine Solderhöhung und die Versorgung
der Soldaten mit verbilligten Lebensmittelrationen. ... Außerdem
war die Versicherung zu hören, die unter ihrem Vorgänger gekappten
Friedensgespräche mit der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) im
Süden und der landesweit operierenden Nationalen Demokratischen Front
(NDFP) wieder aufnehmen zu wollen. Diese Abkehr von einer "Politik des
totalen Krieges", wie sie Estrada verkündet hatte, soll offenbar durch die
zur Wochenmitte verkündete einseitige Waffenruhe an Glaubwürdigkeit
gewinnen. Auch werden einige Politiker aus dem südlichen Mindanao am
Kabinettstisch Platz nehmen dürfen, obwohl der dort besonders geschätzte
Senatspräsident Aquilino Pimentel letztlich nicht zum Vizepräsidenten
aufstieg.
Doch es fällt schwer, an einen wirklichen Sinneswandel zu glauben, sollte
mit den anstehenden Berufungen auch Richard Gordon, der frühere
Bürgermeister von Olongapo City, mit dem Ressort des
Tourismusministers bedacht werden. Seine Amtszeit fiel in jene Jahre, da
die USA noch mit der Subic Naval Base ihren gigantischen
Flottenstützpunkt auf dem Archipel unterhielten und Gordon die
grassierende Kinderprostitution stillschweigend duldete, wenn nicht gar
direkt davon profitierte. Der Ministerkandidat gilt zudem als Intimus von
Fidel Ramos, in dessen Auftrag er die frühere Marinebase in eine
Wirtschaftliche Sonderzone verwandelte.
Auszüge aus: Freitag, 23. Februar 2001
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