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In Tacloban drohen Seuchen

3000 Menschen versuchten in der zerstörten philippinischen Stadt die Rollbahn zu stürmen

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Für die Taifun-Opfer auf den Philippinen werden nach UNO-Schätzungen für erste Nothilfe 225 Millionen Euro benötigt. Die Regierung verstärkte nach Plünderungen die Sicherheitsvorkehrungen.

Ohne Atemschutz, sei es nur ein feuchtes Tuch vor Mund und Nase, ist Tacloban, das Epizentrum der Zerstörungen von Taifun »Haiyan«, noch unerträglicher. Inzwischen haben Männer mit blauen Overalls begonnen, die behelfsmäßig in Decken und Tücher gewickelten Leichen einzusammeln. Noch fünf Tage nach den Zerstörungen durch den Monstersturm liegen Tote herum. Jemand hat eine eingepackte Leiche auf die Sitzbank einer Bushaltestelle gelegt. Andere Tote liegen bunt eingehüllt entlang der Straßen. Fahr- und Motorradfahrer halten sich ein Tuch vor Mund und Nase.

Werden die Leichname nicht eilends eingesammelt, drohen der vom Monstertaifun und einer Flutwelle fast komplett zerstörten Stadt noch Seuchen. Hilfe für die Überlebenden komme zuerst, sagen die Behörden. Es gebe keine Leichensäcke und keinen Strom, um die Toten zu kühlen.

Die offizielle Opferzahl lag am Dienstag bei 1744. Die Vereinten Nationen rechnen mit 10 000 Toten allein in Tacoblan. Die bereits eingesammelten werden in einer notdürftigen Leichenhalle zu identifizieren versucht und anschließend in ein Massengrab gelegt.

Derweil hat aus der Stadt ein großer Exodus eingesetzt. Viele Menschen tragen in einem Koffer oder auf den Schultern, was sie retten konnten, und ziehen zum Flughafen oder nehmen eine der Straßen in die Provinz, um ein Dach über dem Kopf und Essen zu finden. Während das Landesinnere von der Flutwelle verschont blieb, sind die Sturmschäden auf dem Land nicht weniger dramatisch. Neben Häusern und Dörfern wurden riesige Anbauflächen von Reis und Zuckerrohr zerstört. Menschen halten an den Straßen Schilder mit Hilferufen hoch. Viele hungern.

Am dramatischsten indes scheint die Lage am Flughafen von Tacloban. Nach Tagen der Qualen und Ungewissheit versuchten am Dienstag 3000 Menschen die Rollbahn zu stürmen. Sie liefern sich heftige Szenen, um einen Platz an Bord der Maschinen zu erhalten, die von Sonnenaufgang bis Anbruch der Nacht Hilfsgüter ein- und Flüchtlinge ausfliegen. Sicherheitskräfte umstellten die im strömendem Regen ausharrende Menge. Die Polizei hatte dazu alle Hände voll zu tun mit der Durchsetzung der nächtlichen Ausgangssperre und Straßenkontrollen, um gegen Banden und Plünderer vorzugehen.

Unter den Flüchtlingen beim Flughafen sind Mütter, die Babys in die Höhe halten – in der Hoffnung, vorgelassen werden. Kranke wollen ausreisen, denen die Medikamente ausgegangen sind, und Menschen, die ihre Familien verloren haben und bei Verwandten irgendwo im Rest des Landes unterkommen wollen.

US-Marines sind bemüht, beim Flughafen mit Stromgeneratoren die für Zivilluftfahrt erforderlichen Funk- und Lichtanlagen instand zu setzen, um die rundum verwüstete Inselprovinz Leyte möglichst schnell wieder an die Außenwelt anzuschließen. Die Hilfswelle rollt langsam an, doch erschwerte am Dienstag ein neues Sturmtief die Hilfsbemühungen. Ausläufer streiften die von »Haiyan« am schwersten betroffene Inselprovinz Leyte südlich.

In improvisierten Feldlazaretten werden Verletzte versorgt. C-130 Hercules-Transporter bringen Seife, Windeln, Medizin und Wassertanks nach Tacloban – alles, was seit »Haiyans« Zerstörungen Luxus ist. Da das Straßennetz flächendeckend havariert ist, verteilen Hubschrauber Hilfsgüter in unzugänglichen Gebieten.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. November 2013


"Stoppt den Wahnsinn"

Anstrengungen gegen den Klimawandel gefordert

Von Elke Bunge **


Einzelne Windböen des Taifuns »Haiyan«, der über die Philippinen hinwegraste, erreichten Geschwindigkeiten bis zu 379 Kilometern pro Stunde. Die Folgen sind verheerend. »Haiyan« war wahrscheinlich der stärkste Tropensturm, der seit Beginn der Beobachtungen je auf Land traf«, erklärt Stefan Rahmstorf, Professor der Physik und Forschungsbereichsleiter Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Wie der Wissenschaftler erläutert, sind solche Stürme in den vergangenen drei Jahrzehnten häufiger geworden. Auch der aktuelle Weltklimabericht des Weltklimarates konstatiert, dass Hurrikane und Taifune der stärksten Kategorien vier und fünf seit Beginn der Satellitenmessungen in den 70er Jahren deutlich zunehmen. Rahmstorf, der von 2004 bis 2013 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, erklärt, dass Klimamodelle für die Zukunft eine weitere Verstärkung dieses Trends erwarten lassen.

Modellrechnungen zufolge sind es vor allem zwei Faktoren, die den Trend begünstigen: Zum einen nimmt die Temperatur der Meeresoberfläche immer weiter zu. Zum anderen führt der Klimawandel dazu, dass die Temperaturdifferenz zwischen der warmen unteren Atmosphäre und der kalten oberen Atmosphäre immer größer wird. »Es entsteht ein Temperaturgefälle, aus dem der Sturm seine Energie zieht«, erklärt Rahmstorf. Diese Faktoren sorgen dafür, dass künftig sowohl die Intensität als auch die Häufigkeit der starken Wirbelstürme zunehmen werden. Auch Aslak Grinsted vom Zentrum für Eis und Klima der Universität Kopenhagen prognostiziert Hurrikane der Kategorie fünf für jedes zweite Jahr, wenn sich das Klima um weitere zwei Grad erwärmen sollte. Er und seine Kollegen publizierten im Frühjahr in einem Fachmagazin, dass extreme Wetterereignisse wie der Wirbelsturm Katrina von 2005 durch die Klimaerwärmung des 20. Jahrhunderts entstanden sind.

Rahmstorf sieht durch den Klimawandel nicht nur mehr Stürme, sondern auch verstärkte Begleiterscheinungen. »Die Zukunft wird auch durch extreme Regenfälle, die ein Tropensturm mit sich bringt und die zu Überflutungen und Erdrutschen führen, geprägt. Denn die Verdunstungsraten und der Wassergehalt der Luft steigen in einem wärmeren Klima an.«

Noch sind nicht alle offenen Fragen in der Prognose solcher Extremereignisse erklärt, doch dass dringender Handlungsbedarf besteht, lässt sich nicht länger bestreiten. Auf der UNO-Klimakonferenz in Warschau rief der Delegierte der Philippinen, Naderev Sano, zu entschiedenen Anstrengungen gegen den Klimawandel auf. »Stoppt diesen Wahnsinn«, sagte er, als er von den Auswirkungen »Haiyans« berichtete.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. November 2013


Mahnende Worte von den Philippinen

Verhandlungen auf der UN-Klimakonferenz beginnen mit einem Hoffnungszeichen aus Tokio

Von Benjamin von Brackel, Warschau ***


Der Taifun »Haiyan« hat die Regierungsdelegationen beim UN-Klimagipfel in Warschau daran erinnert, um was es eigentlich geht.

Selten hat ein Klimagipfel so emotional begonnen. Im Konferenzzentrum im Bauch des Nationalstadions von Warschau ergreift Yeb Saño, der Verhandlungsführer der Philippinen, am Montagmittag das Wort und ermahnt die Anwesenden, einen Weltklimavertrag auf den Weg zu bringen und damit aufzuhören, immer mehr Treibhausgase in die Luft zu blasen. »Lasst uns dazu beitragen, dass wir uns an Warschau als den Ort erinnern können, an dem wir diese Dummheit gestoppt haben.« Beifall setzt ein, immer mehr Teilnehmer erheben sich von ihren Sitzen und applaudieren. Saño hebt sein rotes Taschentuch und verbirgt sein Gesicht, damit man seine Tränen nicht sieht. In seinem Land kämpfen die Menschen mit den Schäden durch »Hai-yan«.

Und so bekommt die auf zwölf Tage angesetzte Konferenz, auf die viele Beobachter vor Beginn nicht viel Hoffnung gesetzt haben, eine neue Bedeutung: Der Rekordsturm bringt die oft so technischen wie abgehobenen Verhandlungen auf den Boden der Tatsachen zurück und hält den Delegierten vor Augen, dass der Klimawandel kein abstraktes Problem ist. »Das ist eine Alarmglocke für uns alle«, sagte Christina Figueras, die Chefin des UN-Umweltsekretariats. Es sei nötig, »schnell zu handeln« und in Warschau den Boden für einen neuen Klimavertrag zu bereiten.

Konkret sieht die Verhandlungsleiterin drei Hauptthemen: Die Regierungen sollen sich über die Elemente eines globalen Klimaabkommens klar werden, das 2015 beschlossen werden soll. Außerdem geht es um einen institutionellen Mechanismus für »Loss and Damage« – wie die Beseitigung von Klimaschäden bis hin zu Umsiedlungen zu finanzieren sind. Schließlich soll die Finanzierung des »Grünen Klimafonds« geklärt werden, der bis 2020 von den Industriestaaten auf dann jährlich 100 Milliarden Dollar aufgestockt werden soll, damit die ärmsten Staaten in klimafreundliche Technologien investieren können.

Hier gibt es ein erstes Hoffnungszeichen: Die japanische Regierung will laut einem Zeitungsbericht Entwicklungsländer in den kommenden drei Jahren mit umgerechnet rund zwölf Milliarden Euro unterstützen. Dies würde mehr als 40 Prozent der Hilfen abdecken, welche in Warschau voraussichtlich eingefordert werden. Das Hilfspaket soll am Freitag von der Regierung verabschiedet werden, um danach auf der UN-Konferenz offiziell verkündet zu werden.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. November 2013


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