Den folgenden Text haben wir der jungen welt vom 9. August 2001 entnommen.
Erstens die Verwirrung, die im Vorfeld des Arroyo- Besuchs vorherrschte. Da war von einem bereits ausgehandelten Friedensvertrag zwischen Manila und der MILF die Rede. Offensichtlich sollte die Präsidentin in den nationalen und internationalen Medien zur Sendbotin des Friedens hochstilisiert werden. So einfach ist die Sache aber nicht. Frau Arroyo hat als Vizepräsidentin ihres schmählich aus dem Amt gejagten Vorgängers Joseph Estrada kleinmäulig gekuscht, als dieser vor einem Jahr umso großmäuliger von der »Pulverisierung« eben jener Organisation faselte, mit der man seit Tagen in Malaysia unter Anwesenheit von Vertretern der Organisation der Islamischen Konferenz, vertreten durch Libyen, Indonesien und dem Gastgeberland, verhandelt. Nun geriert sich Arroyo in der Öffentlichkeit gern als harte Verfechterin einer Politik des Auge-um-Auge-Zahn-und-Zahn, wenn es um die Vernichtung der auf Lösegelderpressungen spezialisierten Truppe der Abu Sayyaf (ASG) geht. Dabei hat sie selbst ihr Augenmaß verloren: Willkürliche Verhaftungen durch Sicherheitskräfte lassen in den Südphilippinen bereits den Spruch kursieren: »Was ist der Unterschied zwischen den AFP und der ASG? Erstere machen wahllos Gefangene und halten sie auf unbestimmte Zeit fest. Letztere nehmen gezielt Geiseln und lassen sie wenigstens bei sofortiger Zahlung von Lösegeld wieder auf freien Fuß.«
»Was mühsam an gegenseitigem Vertrauen geschaffen worden war«, sagte noch vor wenigen Tagen Mohagher Iqbal, Chef der Informations- und Propagandaabteilung der MILF, in einem jW-Interview, »wurde mit Donnerschlägen zunichte gemacht. Moscheen wurden zerstört, Häuser plattgewalzt, und auf den Trümmern feierten Soldaten bei Bier und Schweinefleisch. Estrada war Teil dieses Spektakels. In Kampfuniform wurde er mit dem Hubschrauber eingeflogen. Wer mochte da an Frieden denken? Nein, wir sind im Volkskrieg.«
Ist Frieden in Sicht? Immerhin wurde ja erst am 22. Juni die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen zwischen Manila und der MILF in der libyschen Hauptstadt Tripolis schriftlich besiegelt - unter der Schirmherrschaft von Saif Al Islam Ghaddafi, dem Sohn des Staatschefs und Vorsitzenden der Ghaddafi Internationalen Stiftung für Wohltätige Vereinigungen. »Das wird sich während der nächsten Gesprächsrunden zeigen. Wir können damit zur Entspannung beitragen, darauf hinwirken, daß ein Waffenstillstand zustandekommt und auch für einige Zeit hält. Doch darüber hinaus geht es um wichtige politische, administrative, soziale und solche Fragen, die Landrechte betreffen. Das alles wird nicht in einem Schnelldurchgang unter Dach und Fach zu bringen sein.« Eben.
Für die Zivilbevölkerung wird Frieden auf Dauer ein Fremdwort bleiben. Allein in Maguindanao und drei Nachbarprovinzen sind bis heute noch immer eine Viertelmillion Menschen in notdürftig hergerichteten Behausungen untergebracht. Allein in Zentralmindanao wurden auf dem Höhepunkt des Krieges im Sommer 2000 über 500 000 Personen, darunter etwa 60 Prozent Kinder, über Nacht zu internen Flüchtlingen.
Das führt zur zweiten Irritation. Auf einmal soll just Mindanao ins Zentrum regionaler Kapitalinvestitionen rücken, wobei Malaysia eine Schlüsselrolle zufallen soll. Selbst der vollständig ins politische System Manilas integrierte Nur Misuari, bis vor kurzem Chef der ältesten Moro-Organisation, der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF), hatte nach der Unterzeichnung des sogenannten Endgültigen Friedensabkommens mit dem damaligen Präsidenten Fidel V. Ramos Anfang September 1996 die Vision, der Süden des Archipels werde endlich zum gelobten Land. Nichts dergleichen.
Schließlich: Mahathir als Vorbild? Als Entsorger einer Opposition, die er notfalls mittels des Nationalen Sicherheitsgesetzes erledigt? Oder gar als relativer Meister der Wirtschafts- und Finanzkrise in der Region? Die allerdings erreichte Mahathir unter anderem durch Devisenkontrollen. Auf ihrer Reise dürfte Gloria Zeit finden zu überlegen, wie das die Handelsreisende für Frieden und Entwicklung mit ihrer zuhause gespielten Rolle einer Apologetin des Neoliberalismus in Einklang bringt.
Rainer Werning
Aus: junge welt, 9. August 2001