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Letzter Aufschrei

Muslimische Rebellen der MNLF nehmen im Süden der Philippinen Geiseln

Von Thomas Berger *

Auf der südphilippinischen Insel Mindanao ist weiterhin kein Ende der gewaltsamen Konfrontation in Sicht. Seit Wochenbeginn halten Rebellen der Moro National Liberation Front (MNLF) in mehreren Küstenorten über 100 Geiseln gefangen. Mit der Armee liefern sie sich Feuergefechte. Die Regierung in Manila unter Präsident Benigno Aquino III. will dennoch ohne Zeitdruck nach einem friedlichen Ausweg suchen. Die Zahl der Toten ist derweil auf neun gestiegen.

Mehrere Dutzend Rebellen waren am Montag mit Booten an der Küste gelandet und hatten versucht, die MNLF-Fahne am Rathaus der Millionenstadt Zamboanga zu hissen. In den umliegenden Ortschaften halten die Kämpfer Dorfbewohner als Geiseln fest, etliche Häuser sind Berichten zufolge in Flammen aufgegangen. Mehrere tausend Einwohner sind geflohen und haben im Stadion der Provinzstadt ein Notquartier bezogen. Die Armee hat mittlerweile etwa 800 Soldaten in der Gegend stationiert. Trotz einiger Schußwechsel sehen sie von einer gewaltsamen Erstürmung der Rebellenstellungen aber bisher ab. Armeesprecher Oberstleutnant Ramon Zagala betonte am Mittwoch, die Soldaten würden derzeit keine Offensive starten. Man sei bemüht, weiteres Blutvergießen zu verhindern, betonte auch Präsidentenberaterin Teresita Deles. In Santa Catalina und Santa Barbara, zwei Küstendörfern, sollen 180 MNLF-Kämpfer etwa 40 Zivilisten faktisch als menschliche Schutzschilde mißbrauchen. In Santa Barbara wurde nach Berichten der Tageszeitung Daily Inquirer eine Gruppe gefesselter Dorfbewohner gar offen präsentiert.

Bisher hat die Regierung keinen direkten Kommunikationsweg zu ­MNLF-Chef Nur Misuari. Dieser fordert eine Einschaltung der Vereinten Nationen (UN) in den Friedensprozeß, den die Regierung mit der Moro Islamic Liberation Front (MILF) führt. »Ein letzter Aufschrei« Misuaris sei die Aktion, schreibt der Kommentator Randy David, der den Rebellenanführer persönlich gut kennt, im Daily Inquirer. Die langjährige Symbolfigur des Unabhängigkeitskampfes der muslimischen Minderheit im Süden der sonst überwiegend katholisch geprägten Philippinen fühle sich offenbar an den Rand gedrängt. Tatsächlich spielte Misuari zuletzt nur noch eine Nebenrolle in dem seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt. Mit der von ihm 1971 gegründeten MNLF erzielte er fünf Jahre später mit dem autokratischen Präsidenten Ferdinand Marcos eine Grundsatzvereinbarung über Autonomie für 13 Provinzen auf der Insel. Bereits 1977 spaltete sich jedoch die radikalere Fraktion der MNLF unter Misuaris einstigem Vertrauten Hashim Salamat ab. 1984 ging daraus die MILF hervor.

Während Misuari im September 1996 mit Präsident Fidel Ramos einen Friedensvertrag unterzeichnete und bei der folgenden Wahl zum Gouverneur der Autonomieregion gekürt wurde, soll ein solches Abkommen mit der MILF jetzt erst ausgehandelt werden. Von der MNLF hatte in diesem Zusammenhang kaum jemand mehr gesprochen. Deren noch immer bewaffnete frühere Kämpfer versuchen nun offensichtlich mit der Attacke in Zamboanga, wieder Schlagzeilen zu machen. Laut Präsidentenberaterin Deles haben Spitzenvertreter der Rebellen bereits bekundet, nur mit Misuari könne eine Lösung erzielt werden.

* Aus: junge Welt, Freitag, 13. September 2013


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