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Mindanao – ressourcen- und konfliktreich

Von Rainer Werning *

Der fundamentale Konflikt im islamischen Süden der Philippinen hat seine Wurzeln in externem Kolonialismus und interner Kolonisierung. Seit etwa 1380 unserer Zeitrechnung setzte eine relativ friedliche Islamisierung des Gebiets der heutigen Südphilippinen ein. Das Ergebnis waren hierarchisch strukturierte islamische Gesellschaften – einschließlich Sultanaten –, die es vermochten, der spanischen Kolonialmacht über den Archipel (1571–1898) zu trotzen. Zwar konnten die Spanier den Einfluß der vor ihrer Ankunft regen Handel treibenden und von ihnen abschätzig, in Anlehnung an die »Mohren«, »Mauren« Nordafrikas genannten »Moros« schrittweise eindämmen. Ihre Unterwerfung aber gelang erst den militärisch haushoch überlegenen Truppen der US-Kolonialherren (1898–1946), deren kommandierender General George W. Davis im Jahre 1903 erklärt hatte: »Es wird notwendig sein, nahezu sämtliche Bräuche auszumerzen, welche bislang das Leben (der Moros) auszeichneten. Sie sind ein grundlegend verschiedenes Volk; von uns unterscheiden sie sich in Gedanken, Worten und Taten, und ihre Religion wird eine ernste Hürde bei unseren Bestrebungen darstellen, sie im Sinne des Christentums zu zivilisieren. Solange der Mohammedanismus vorherrscht, kann der angelsächsischen Zivilisation nur mühsam der Weg geebnet werden.«

Etliche Jahre blieb die Moro-Provinz unter direkter Verwaltung der US-Armee. Ab 1920 setzte Washington sodann gezielt Mitglieder der nordphilippinischen Elite als Beamte im Süden ein. Die von amerikanischen Militärs trainierten Philippine Scouts sowie die Constabulary übernahmen ab den 1930er Jahren verstärkt »Ordnungsfunktionen« im Süden. Auf dieses amerikanische Erbe besann sich nach der Unabhängigkeit der Republik der Philippinen im Sommer 1946 die – überwiegend christliche – Zentralregierung im fernen Manila. Sie verfolgte eine Doppelstrategie. Zum einen nahm sie zusammen mit dem internationalen Agrobusineß den Süden wegen seiner taifungeschützten Lage und reichen Bodenschätze für die »Entwicklung« ins Visier. Zum anderen wollte sie durch die Umsiedlung nordphilippinischer Bauern sowie desertierter Guerilleros der Hukbalahap (Antijapanischen Volksbefreiungsarmee; 1950 umbenannt in Volksbefreiungsarmee) die sozial­politischen Probleme im Norden des Landes glätten, die sich dort aufgrund erdrückender Feudal- und Pachtverhältnisse aufgestaut hatten. Unter Präsident Ramon Magsaysay, einem Darling der CIA, fanden Mitte der 1950er Jahre die ersten größeren systematischen Umsiedlungen nach Mindanao statt. Während der Marcos-Herrschaft (1966–86) verstärkte sich dieser Trend: Fortan flankierten interne Kolonisierungsmaßnahmen die von Manila verfolgte exportorientierte Entwicklungsstrategie.

Auf Mindanao werden etwa 50 Prozent der gesamten Mais- und Kokosnuß-, 20 Prozent der Reis-, 50 Prozent der Fisch-, und nahezu 100 Prozent der für den Export bestimmten Bananen- und Ananasproduktion des Landes gewonnen. 40 Prozent der Viehzucht sind dort lokalisiert, und fast 90 Prozent des auf den Philippinen abgebauten Nickels, Kobalts und Eisenerzes sowie nahezu 100 Prozent des Bauxits stammen von der Insel. Bis auf Erdöl verfügen Mindanao und der Sulu-Archipel über nahezu sämtliche strategischen Rohstoffressourcen. Eine Vielzahl natürlicher Häfen und seine Fruchtbarkeit machten Mindanao zum Magneten für ausländisches Kapital. Nach einer verheerenden Kahlschlagpolitik auf der vormals mit dichtem Primärwald bewachsenen Insel wurden Grund und Boden vom internationalen Agrobusineß wie Dole, Del Monte und United Brands in Beschlag genommen.

Betrug der muslimische Bevölkerungsanteil im Süden der Philippinen 1913 98 Prozent, so war dieser bereits 1976 auf nur 30 Prozent geschrumpft. Vor der Kolonisierung gehörte der muslimischen Bevölkerung und den Lumad (indigenen Völkern) sämtliches Land. Heute besitzen diese etwa 15 Prozent, vorwiegend in abgelegenen, unwirtlichen Gebirgsregionen. Über 80 Prozent der Moslems sind gegenwärtig landlose Pächter. Der Verwaltungsapparat, das Militär sowie der Dienstleistungs- und Handelssektor sind fest in den Händen der aus dem Norden eingeströmten Siedler. Selbst die mächtigsten Vertreter der zahlenmäßig kleinen muslimischen Elite waren ihnen während der Marcos-Herrschaft untergeordnet. Zur politischen und wirtschaftlichen Benachteiligung gesellte sich eine von Manila zielstrebig geschürte kulturelle Geringschätzung. In Schulbüchern und Schauspielen figurierten die Moros bestenfalls als Staffage oder bemitleidenswertes Schlußlicht nationaler Entwicklung.

Die Landnahme erfolgte gewaltsam. Auf der einen Seite bildeten die Siedler bewaffnete Formationen – staatlich unterstützte oder geduldete Bürgerwehren und paramilitärische (christliche) Sekten. Auf der anderen Seite schossen (muslimische) Selbstschutzkommandos und bewaffnete Gangs wie Pilze nach einem warmen Regenguß aus dem Boden. Dies führte zu einer immer stärkeren Eskalation der Gewalt. Kein Wunder, daß Mindanao seit der Marcos-Ära landesweit die mit Abstand höchstmilitarisierte Region geblieben ist. Über 60 Prozent der Kampfeinheiten der Streitkräfte waren ständig dort stationiert – zum Schutz von Siedlern und ausländischen Wirtschaftsinteressen vor dem sich neu formierenden Moro-Widerstand. Auf Mindanao bündeln sich komplexe Konfliktlinien wie in einem Brennglas – internationales Agrobusineß/Großgrundbesitzer versus Pächter und Kleinbauern und andere Klassenauseinandersetzungen; intra- und interethnische sowie religiöse Konflikte; militärische Kämpfe zwischen staatlichen Sicherheitskräften und der für Selbstbestimmung kämpfenden Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) sowie der kommunistischen Neuen Volksarmee-Guerilla; bewaffnet ausgetragene Clanfehden (Rido) zwischen einflußreichen Familien um politische Macht und wirtschaftliche Pfründe; sogenannte lost commands, Kriminelle, die als ehemalige Mitglieder militärischer Verbände und/oder paramilitärischer Gruppierungen heute das lukrative Geschäft von Drogenhandel, Erpressung, Auftragsmord oder Kidnapping mit Lösegelderpressung betreiben, und schließlich in die Region abkommandierte US-amerikanische Eliteeinheiten, die im Rahmen des Antiterrorfeldzuges die als islamistisch eingestufte Abu-Sayyaf-Gruppe im Visier haben. Und dafür sorgen, daß grassierende Armut, Gewalt, Vertreibung und Entwicklungsresistenz zum traurigen Markenzeichen dieser Region geworden sind. Seit 1970 kosteten diese Konflikte zwischen 120000 und 150000 Menschen das Leben. Ganz zu schweigen von den Hunderttausenden Entwurzelten und Vertriebenen, die entweder auf Mindanao und den Nachbarinseln Basilan und Jolo als interne Flüchtlinge oder »auf Abruf« im angrenzenden ostmalaysischen Bundesstaat Sabah leben.

* Aus: junge Welt, 2. Dezember 2009


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