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Pulverfaß und Krisenkataster

Von Rainer Werning *

In Südostasiens ältester Krisenregion – Mindanao, Basilan und Jolo – erweist sich die Suche nach einem tragfähigen Frieden als mühseliger Prozeß. Externer Kolonialismus und interne Kolonisierung hinterließen ein vielschichtiges Konfliktpotential, das zahlreiche (bewaffnete) Protagonisten mit höchst unterschiedlichen Interessen beseitigen wollten. Solange aber das Selbstbestimmungsrecht der Moros und die Belange der indigenen Völker (Lumad) nicht respektiert werden, wird Frieden auf Dauer ein Fremdwort in der Region bleiben.

Bereits im Dezember 1976 und im September 1996 herrschten Jubel und Euphorie in Manila, als deren Regierungen mit der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF) einen Schulterschluß vollzogen und mit deren Führung unter Nur Misuari ein Friedensabkommen beziehungsweise einen Endgültigen Friedensvertrag schlossen. Die 1969 entstandene MNLF hatte ursprünglich für einen unabhängigen Staat im Süden optiert. Doch diese Maximalforderung führte letztlich in eine Sackgasse; die MNLF-Führung wurde von der Regierung kooptiert. Aus Protest dagegen hatte sich bereits 1978 offiziell die MILF gegründet, die der MNLF-Führung seinerzeit vorgeworfen hatte, den »Kurs der Kapitulation« beschritten zu haben.

Seit 1997 war es schließlich auf Vermittlung und unter der Ägide der malaysischen Regierung zu Friedensgesprächen zwischen der philippinischen Regierung und der MILF in Kuala Lumpur gekommen, nachdem man sich zuvor über ein Waffenstillstandsabkommen verständigt hatte. Nach langwierigen Verhandlungsrunden schien man vor vier Jahren endlich einen Durchbruch erzielt zu haben. Am 27. Juli 2008 war von Vertretern Manilas und der MILF das sogenannte MoA-AD (siehe Spalte) ausgehandelt worden. Und am 5. August 2008 hätte es unterzeichnet werden sollen.

Doch qua einstweiliger Verfügung vereitelte der Oberste Gerichtshof der Philippinen die Unterzeichnung des Vertragstexts. Regionalpolitiker und Geschäftsleute aus den Reihen der christlichen Siedler hatten dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Erneut brachen jahrzehntealte Animositäten der christlichen Siedler auf, und einige von ihnen drohten gar, die verruchte paramilitärische Formation der Ilagas (»Ratten«) wiederzubeleben, die erstmals in den 1970er Jahren blutig gegen Muslime vorgegangen war – mit dem Endziel eines »moslemfreien Mindanao«.

Die neu-alte Pattsituation lenkte rasch Wasser auf die Mühlen jener Kräfte auf beiden Seiten, denen Verhandlungen eh suspekt waren und die sich bitter enttäuscht darüber zeigten, daß trotzdem keine greifbaren Ergebnisse erzielt wurden. Bereits Mitte August 2008 lieferten sich Einheiten der staatlichen Streitkräfte und der BIAF zunächst Scharmützel, dann offene Gefechte. Zur Jahreswende 2008/09 befanden sich nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) der Vereinten Nationen weit über 600000 Personen infolge andauernder Kampfhandlungen auf der Flucht.

Wut und tiefe Enttäuschung machten sich unter den Befürwortern des MoA-AD breit. Die zahlreichen um Ausgleich und Frieden bemühten NGO auf Mindanao hatten im MoA-AD einen Silberstreif am Horizont ausgemacht, von dem auch sie meinten, es trüge endlich mit dazu bei, die militärischen Auseinandersetzungen zu entschärfen. Die MILF war empört, daß die philippinische Regierung im letzten Moment einen Rückzieher machte, da doch »selbst die Regierung Malaysias dem MoA-AD vollumfänglich zugestimmt« hatte, wie ihr Chefunterhändler Mohagher Iqbal erklärte. Die damalige Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo erklärte derweil, »jeden Zoll philippinischen Territoriums« entschlossen zu verteidigen. Auf einmal agierte man in Manila gemäß der Maxime, mit bewaffneten Gruppierungen lediglich im Kontext ihrer »Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration« zu verhandeln. Weitere Gespräche mit der MILF fänden nur statt, wenn man das MoA-AD grundlegend überdenken und darüber neu verhandeln würde. Eine Position, die kritische Medienvertreter, Menschenrechtsanwälte und NGO als inakzeptabel zurückwiesen. Ihr Kernargument: »Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration« bildeten den Schlußakkord eines Friedensprozesses, nicht aber dessen Vorbedingung. Frustrierte MILF-Kämpfer spalteten sich unter Führung des über 60jährigen Ustadz Ameril Umbra Kato, einem der MILF-Regionalbefehlshaber, von der Organisation ab und gründeten die Bangsamoro Islamische Freiheitsbewegung (BIFM) mit den Bangsamoro Islamischen Freiheitskämpfern (BIFF) als deren bewaffnetem Arm.

Es dauerte knapp drei Jahre, bis neuer Schwung in die bilateralen Verhandlungen kam. Im August 2011 stellte das MILF-Verhandlungsteam sein Konzept eines »Sub-state« vor mit der Konsequenz, daß die Organisation nunmehr öffentlich auch ihrerseits vom Ziel der Schaffung eines eigenständigen Staates abrückte. Es ist nicht auszuschließen, daß dies innerhalb der MILF Enttäuschungen schürt und womöglich einer radikalisierten Moro-Jugend Auftrieb verleiht, alte Forderungen erneut auf die politische Agenda zu setzen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 11. Oktober 2012


Rainer Werning, Niklas Reese (Hrsg.): Handbuch Philippinen – Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur
Berlin: Horlemann Verlag 2012, broschiert, 500 Seiten, 19,90 Euro; ISBN: 9783895022180, 9783895023392




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