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Ein Staat sieht weg

Wegen guter Kontakte der Täter bleibt Massaker auf Philippinen auch nach vier Jahren weitgehend ungesühnt

Von Rainer Werning *

In den philippinischen Medien mehren sich die Stimmen, die Präsident Benigno Aquino III. Versagen beim Krisenmanagement nach dem Taifun Haiyan vorwerfen. Zu spät und spärlich sei die Hilfe für die Betroffenen erfolgt, während in den Notgebieten stationierte oder dorthin abkommandierte Streitkräfte gegen Plünderer vorgingen. Unbekümmert setzten die Militärs im Rahmen des »Oplan Bayanihan« (»Operationsplan Nachbarschaftshilfe«) gar ihre Aufstandsbekämpfung gegen linke Rebellen fort. Doch prägend ist das fehlende Engagement für die Opfer. Als den Tag, »an dem die Regierung von der Bildfläche verschwand«, beschrieb Amando Doronila, angesehener Kolumnist des Philippine Daily Inquirer, den 8. November, an dem der Taifun die mittlere Inselgruppe der Visayas verwüstete.

Auch in einer weiteren Tragödie handelt die Zentralregierung nur zögerlich. Der heutige Sonnabend ist der vierte Jahrestag eines Massakers, wie es in der jüngeren Geschichte der Philippinen kein grausameres gab. 58 Menschen, darunter 32 Journalisten, wurden an jenem 23. November 2009 bei der Attacke auf einen Konvoi von Anhängern des Politikers Esmael Mangudadatu förmlich hingerichtet. In Shariff Aguak, Hauptstadt der südlichen Provinz Maguindanao, wollten sie Unterlagen für dessen Kandidatur als Gouverneur einreichen – eine Provokation für den von der Zentralregierung protegierten Clan der Familie Ampatuan. Mit dem Massenmord versuchte die, ihren politischen, militärischen und wirtschaftlichen Machtbereich zu wahren. Das Massaker war von langer Hand geplant, die Mörder hatten sogar Vorkehrungen getroffen, um sofort die Spuren zu verwischen. Ein zuvor eigens an den Tatort beförderter Bagger hatte bereits Erdlöcher ausgehoben, um darin den gesamten Konvoi der Mangudadatu-Anhänger mitsamt der Wagen zu vergraben.

Die politischen Beziehungen der Mörderbande reichen in die 90er-Jahre zurück. Andal Ampatuan senior stieg damals zum Vizebürgermeister und schließlich zum Bürgermeister seines Ortes auf. 2001 gewann er die Gouverneurswahl in Maguindanao, seitdem benannten die Ampatuans mehrere Orte in der Provinz nach ihren Vorfahren und Kindern. Andal Ampatuan junior wurde Bürgermeister in Datu Unsay – und Hauptangeklagter wegen des Massakers. Der Sohn des Familienoberhaupts hatte als Gegner Mangudadatus bei den Gouverneurswahlen antreten wollen. Weitere Clanmitglieder regierten ein Drittel aller Gemeinden und Städte Maguindanaos wie Warlords. Noch immer hat die Familie in der Provinz einen starken politischen Einfluß. Das dürfte auch daran liegen, das Ampatuan senior sowohl bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2004 als auch im Sommer 2007 bei den Halbzeitwahlen, bei denen die Hälfte des Senats neu gewählt wird, verläßlichster regionaler Verbündeter der damaligen Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo war. Dank seiner tatkräftigen Hilfe gewann sie jeweils haushoch.

Die Präsidentin revanchierte sich auf eine Weise, die Kritiker als »Kultur der Straffreiheit« geißelten. Während ihrer Amtszeit wurden etwa 1200 Menschen Opfer außergesetzlicher Hinrichtungen. Keiner der Täter, die in Kreisen der staatlichen Sicherheitskräfte vermutet werden, ist gerichtlich belangt worden. Auch unter Arroyos Nachfolger Aquino bleibt das Massaker von Maguindanao ungesühnt. 94 Tatverdächtige sind noch immer auf freiem Fuß, sechs Zeugen wurden ermordet. Während ein Teil des Ampatuan-Clans in der Haft Privilegien genießt, gelang es 23 anderen Mitgliedern der Familienbande, bei den Halbzeitwahlen am 13. Mai dieses Jahres ihre Posten als Bürgermeister, Vizebürgermeister oder Stadträte zu behaupten.

* Aus: junge Welt, Samstag, 23. November 2013


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