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"Du musst damit rechnen, getötet zu werden"

Auf den Philippinen ist eine kleine Gruppe aktiv gegen Polizeigewalt und bringt sich damit in Gefahr *


Vier Jahrzehnte nach Beginn des Aufstands muslimischer Rebellen auf den Philippinen haben Regierung und Aufständische diese Woche ein Friedensabkommen unterzeichnet. Darüber hinaus ist in der westlichen Welt relativ wenig über den südostasiatischen Archipelstaat zu hören. Dabei wäre ein genauerer Blick auf die Situation in dem Land mehr als angebracht, da die Menschenrechtslage nach Berichten von Organisationen wie Amnesty International schlecht bis katastrophal ist. Im Gespräch mit »nd« vermittelt Chris, ein Aktivist aus der noch jungen, aber sehr aktiven anarchistischen Szene der Hauptstadt Manila, eine Innenansicht. Chris gehört zur Gruppe »Bantay Pulis«, die Kampagnen gegen Polizeigewalt organisiert und versucht, den Familien der Betroffenen zu helfen. Mit ihm sprach Jan Tölva.


In den letzten Jahrzehnten haben die Philippinen ein ständiges Hin und Her zwischen Staatsstreichen, Wahlfälschungen und verschiedenen Diktatoren auf der einen und kurzen Phasen relativer Freiheit auf der anderen Seite erlebt. Wie ist die Situation aktuell?

Es hat sich im Grunde nicht viel geändert. Zwar sind Überwachung und Repression durch die Geheimpolizei nicht mehr ganz so drastisch wie unter Ferdinand Marcos (Präsident 1965-1986), aber der Staat geht nach wie vor massiv gegen jede Form von Opposition vor. Die Zahl getöteter Oppositioneller liegt alleine für die letzten fünf Jahre im dreistelligen Bereich. Dabei sind die 200 Menschen, die in den vergangenen zehn Jahren »verschwunden« sind ebenso wenig mit eingerechnet wie die große Zahl armer Menschen, die von Polizei und Militär ermordet worden sind. Wenn du als Aktivist bekannt bist, musst du jederzeit damit rechnen, dass du getötet wirst oder »verschwindest«.

Wie sieht die Opposition auf den Philippinen gegenwärtig aus?

Das Problem ist, dass das politische System nur aus einer Hand voll Familien – wir sprechen hier oft von »politischen Dynastien« – besteht, die zwar um die Macht ringen, aber eigentlich die gleiche Politik betreiben. Parteien mit wirklich unterscheidbaren Programmen gibt es nicht wirklich. Echte Opposition gibt es nur außerhalb des parlamentarischen Systems. Hier gibt es zum einen die zwei großen kommunistischen Guerillas, die zwar immer noch aktiv sind, aber bei weitem nicht mehr den selben Einfluss und die Bedeutung haben wie in den 1970ern. Dann gibt es eine kleine anarchistische Bewegung, die vor allem in den großen Städten aktiv ist. Und schließlich gibt es den ganz alltäglichen Widerstand armer und indigener Menschen gegen die Zerstörung ihrer Lebensräume durch immer neue Bauoder Bergbauvorhaben.

Welche Rolle spielt der Widerstand muslimischer Gruppierungen?

Das betrifft nur den Süden des Landes, vor allem Mindanao, wo es mehr als 40 Jahre einen blutigen Konflikt um die Autonomie oder Unabhängigkeit des muslimischen Teils der Philippinen gab. Nach dem nun geschlossenen Vertrag zwischen Rebellen und Regierung soll bis 2016 auf der Insel eine autonome muslimische Region mit dem Namen Bangsamoro entstehen. Im Rest des Landes und vor allem im Norden ist von diesen Auseinandersetzungen nicht viel zu spüren.

Gibt es so etwas wie eine organisierte Bewegung gegen die staatliche Repression?

Einige Nichtregierungsorganisationen befassen sich damit. Sie kümmern sich aber fast ausschließlich um die Fälle bekannter Aktivisten. Die vielen Opfer staatlicher Gewalt, die nicht über so ein Standing innerhalb der aktivistischen Community verfügen, fallen dabei meist unter den Tisch. Die Gruppe »Bantay Pulis« versucht, diese Lücke zu schließen.

Was machen Sie genau?

Bantay Pulis bedeutet so viel wie »Polizei Beobachten«. Wir sind eine relativ kleine Gruppe von Menschen aus dem anarchistischen Spektrum in Manila und versuchen, Polizeigewalt zu bekämpfen, indem wir sie öffentlich machen. Wir leisten den Angehörigen der Opfer Beistand und skandalisieren durch Demonstrationen, Plakate und andere Aktionen das Geschehene.

Wie reagiert die Polizei auf diese Art von »Öffentlichkeitsarbeit«?

Die Polizisten wissen, dass sie von den Gerichten nichts zu befürchten haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie verurteilt werden oder überhaupt nur vor Gericht gestellt werden, geht gegen Null. Wenn wir sie aber öffentlich als Mörder oder Vergewaltiger outen, dann stört sie das ganz gewaltig.

Fürchten Sie, dass Sie Probleme mit dem Staat bekommen könnten?

Wir sind uns sicher: Das einzige, was uns schützt, ist die Tatsache, dass niemand weiß, wer genau eigentlich hinter Bantay Pulis steckt. Damit das auch so bleibt, treffen wir Vorsichtsmaßnahmen. Zum Beispiel haben wir aus Europa das Konzept übernommen, bei Demonstrationen schwarze Kleidung zu tragen. Sollte die Polizei herausfinden, wer wir sind, sind wir in Schwierigkeiten. Das ist klar.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 17. Oktober 2012


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