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Kultur der Straflosigkeit

Immer wieder werden auf den Philippinen Gewerkschafter entführt oder ermordet. Im jüngsten Vermißtenfall verweigert das Militär Auskünfte

Von Wolfgang Pomrehn *

Auf den Philippinen wird seit über einem Monat der Gewerkschaftsaktivist Benjamen Villeno vermißt. Seine politischen Freunde vom örtlichen Gewerkschaftsverband Panamatik-KMU und Vertreter der Menschenrechtsorganisation KARAPATAN gehen davon aus, daß das Militär oder der Geheimdienst Villeno praktisch entführt haben. Seit Wochen suchen sie in den Einrichtungen des Militärs im Großraum Manila nach dem ehemaligen Vorsitzenden der Gewerkschaft der Honda-Arbeiter (LMBK). Der derzeitige Chef dieser Organisation, Romeo Legaspi, berichtet, das Militär habe Auskünfte verweigert und auch auf Proteste bisher nicht reagiert. Nach einem Bericht der philippinischen Zeitung Inquire war Villeno auf dem Weg zu Verwandten in einer anderen Stadt. Von unterwegs habe er einem Freund per SMS geschrieben, daß er verfolgt werde. Das war am 27. August. Seit diesem Tag habe man von ihm nichts mehr gehört. Bei seiner Familie sei der Gesuchte nie angekommen. Villeno hatte in den 1990er Jahren bei Honda in der Provinz Laguna südöstlich von Manila gearbeitet und war dort von 1998 bis 2000 Gewerkschaftsvorsitzender. Nach Angaben der Gewerkschaft übernahm er danach Funktionen in deren Dachverband. In den letzten Jahren war er auch im linken Parteienbündnis Makabayan aktiv.

»Benjamen Villeno ist ein bekannter Gewerkschaftsführer und wurde in den letzten Jahren immer wieder überwacht und eingeschüchtert«, meint Glen Malabanan von KARAPATAN. In der Region sei dies bereits der dritte Fall seit Amtsantritt von Präsident Benigno Simeon Aquinos im Jahr 2010, daß ein Gewerkschafter von Militär oder Geheimdienst entführt wurde und nicht mehr lebend auftaucht, heißt es auf der Internetseite der Gewerkschaft Panamatik-KMU. »Unter dem Aquino-Regime erleben wir, daß Gewerkschaftsführer politisch verfolgt und mit gefälschten Anklagen überzogen werden«, sagt Romeo Legaspi.

Die der anarchosyndikalistischen Tradition nahestehende Internetplattform libcom.org, die Informationen über Arbeiterkämpfe in aller Welt sammelt, schreibt, auf den Philippinen seien in den letzten zehn Jahren 20 Gewerkschaftsmitglieder ermordet worden. Erst am 2.Juli war Antonio Petalcorin, Präsident der Verkehrsgewerkschaft NETO, auf offener Straße erschossen worden. Die Internationale Transportarbeiterföderation ITF hatte seinerzeit in einer Stellungnahme den Mord verurteilt und der Regierung Aquino vorgeworfen, für eine Atmosphäre der Straflosigkeit gesorgt zu haben, in der derartige Verbrechen gedeihen. Libcom.org spricht von 140 politischen Morden seit dem Antritt Aquinos, was vermutlich eher eine vorsichtige Schätzung ist.

Auch Journalisten werden immer wieder wegen ihrer Arbeit getötet. Am 23. November 2009 richteten Bewaffnete auf der südphilippinischen Insel Mindanao ein Massaker an. Paramilitärs und einige Polizisten hatten eine Gruppe von Frauen aufgehalten, die auf dem Weg waren, die Kandidatur eines Familienangehörigen für den Posten des Provinzgouverneurs von Maguindanao eintragen zu lassen. Sie wurden von 30 Journalisten begleitet. Insgesamt 57 Personen, darunter sämtliche Journalisten, wurden nach Augenzeugenberichten kaltblütig erschossen. Die Paramilitärs unterstanden einer mächtigen, die Provinz beherrschenden Familie, die eng mit Aquinos Vorgängerin Gloria Macapagal-Arroyo verbunden war.

Aber auch sonst leben Journalisten auf den Philippinen gefährlich. Jüngstes Opfer ist Vergel Bico, der am 4. September mit zwei Kopfschüssen getötet wurde, als er auf seinem Motorrad in den Straßen von Calapan City unterwegs war, etwa 120 Kilometer südlich der Hauptstadt Manila. Bico war Chefredakteur der Boulevardzeitung Kalahi. Mögliches Motiv waren seine Artikel über illegale Wetten in einer Nachbarstadt. Nur fünf Tage zuvor war in Iligan auf Mindanao, der südlichsten Hauptinsel der Philippinen, der Radiokommentator Fernando Solijon ebenfalls auf offener Straße erschossen worden. Das Motiv könnte Solijons scharfe Kritik an Lokalpolitikern gewesen sein. Unter anderem hatte er Mitarbeiter der Stadtverwaltung beschuldigt, in den illegalen Drogenhandel verstrickt zu sein.

Die Morde an und Entführungen von Gewerkschaftern stehen hingegen meist im Zusammenhang mit Streik­aktionen. Die Philippinen haben zwar in den letzten Jahren ein beachtliches Wirtschaftswachstum hingelegt, doch von dem damit verbundenen Wohlstand kommt bei den Arbeitern nichts an. Die Löhne stagnieren seit vielen Jahren. Im Großraum Manila beträgt nach Angaben des der Linken nahestehenden sozialwissenschaftlichen Instituts IBON der Mindestlohn derzeit 426 Philippinische Pesos (7,25 Euro) am Tag. 204 Pesos müsse hingegen eine Familie täglich alleine für Nahrungsmittel ausgeben. Obwohl derzeit die Bewertung durch die Rating-Agenturen noch oben gehe und die Philippinen zu Asiens am schnellsten wachsender Volkswirtschaft gekürt worden seien, nähmen auch die Arbeitslosenzahlen zu. IBON schätzt die reale Rate inzwischen auf knapp elf Prozent. Die Zahl der Lohnempfänger nehme ab- und die Zahl der unbezahlt mitarbeitenden Familienmitglieder zu.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 8. Oktober 2013


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