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Kugeln statt Reis

Hintergrund. Im Süden der Philippinen leben Hunderttausende Flüchtlinge im Belagerungszustand – vor einem Jahr eskalierten erneut Kämpfe zwischen Regierungstruppen und dem Moro-Widerstand

Von Rainer Werning *

Auf den südphilippinischen Inseln Mindanao, Basilan und Jolo, Südostasiens ältester Konfliktregion, herrscht seit einem Jahr vielerorts wieder Krieg. Mehrfach mußte dort die Zivilbevölkerung die ebenso paradoxe wie schmerzliche Erfahrung machen, immer dann tiefer in Deckung gehen zu müssen, wenn mal wieder lauthals von Frieden die Rede war. »Heute leben wir erneut in einem Frieden, der jedoch dem Zustand einer dauerhaften Belagerung gleicht«, sagt Mohaiya M.[1] Die Mittfünfzigerin und ausgebildete Sozialarbeiterin ist seit Jahren in unterschiedlichen Nichtregierungsorganisationen auf Mindanao und Jolo engagiert. Bereits 1976 und 1996 konnte sie miterleben, wie nach langen Verhandlungen zwischen der Regierung in Manila und der damals größten Widerstandsorganisation der muslimischen Bevölkerung im Süden des Inselstaates, der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF), feierlich Friedensabkommen unterzeichnet wurden. Die Krux: Beide Abkommen wurden rasch zur Makulatur. Im Sommer 2000 erklärte der damalige Präsident Joseph E. Estrada dem Moro-Widerstand gar den »totalen Krieg« und drohte, ihn – so wörtlich – »zu pulverisieren«. Unvergeßlich die Szenen, da der in Khakiuniform gekleidete Präsident mit dem Helikopter einschwebte, um seine Soldaten auf den Trümmern zerbombter Moscheen und Schulen mit gekühltem Bier und gegrilltem Schweinefleisch bei Laune zu halten.

Vereiteltes Abkommen

Der 5. August 2008 hätte endlich den Durchbruch in Richtung Frieden bringen können. An jenem Augusttag, so sah es die Etikette vor, sollte in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur zeremoniell ein vorläufiges Friedensabkommen, das sogenannte MoA-AD (siehe Seite 11), unterzeichnet werden. Jahrelang hatten Emissäre Manilas und der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), der gegenwärtig bedeutendsten Organisation des muslimischen Widerstands, unter der Schirmherrschaft Malaysias an dem Vertragstext gefeilt. Die Vertragspartner und hochrangige ausländische Gäste, unter ihnen mehrere Botschafter und ein Sondergesandter der Organisation der Islamischen Konferenz, weilten bereits in Kuala Lumpur, als der Oberste Gerichtshof der Philippinen im letzten Moment qua einstweiliger Verfügung die offizielle Vertragsunterzeichnung kippte. Das Gericht in Manila begründete seinen Last-minute-Akt damit, es müsse prüfen, ob kurzfristig eingereichten Petitionen einflußreicher Regionalpolitiker und Geschäftsleute, wonach das MoA-AD gegen geltendes Recht verstoße, stattzugeben sei.

Die neualte Pattsituation lenkte rasch Wasser auf die Mühlen jener Kräfte, denen langwierige Verhandlungen eh suspekt waren und die sich bitter enttäuscht darüber zeigten, daß trotzdem keine greifbaren Ergebnisse erzielt wurden. Bereits Mitte August 2008 lieferten sich Einheiten der regulären philippinischen Streitkräfte (AFP) und der Bangsamoro Islamischen Streitkräfte (BIAF), des bewaffneten Arms der MILF, zunächst Scharmützel, dann offene Gefechte in Mindanaos Provinzen Nordcotabato und Lanao del Norte. Während im fernen Manila die Nationalpolizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt wurde, da man Anschläge der MILF gegen öffentliche Einrichtungen befürchtete, weiteten sich die Kampfhandlungen schrittweise auf Mindanaos Provinzen Lanao del Sur, Maguin­danao, Shariff Kabunsuan und Sarangani weiter aus. Am 21. August sprach das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen schon von über 220000 Menschen, die angesichts der Kampfhandlungen in Mindanao auf der Flucht waren. Bis zur Jahreswende 2008/09 wurden die Zahlen ständig nach oben bis über die Halbe-Million-Marke korrigiert, während die Sicherheitsvorkehrungen für das in- wie ausländische Hilfspersonal laut Stephen Anderson, dem WFP-Repräsentanten im Lande, drastisch erhöht werden mußten.

Wut und tiefe Enttäuschung machten sich unter den Befürwortern des MoA-AD breit. Vor allem die zahlreichen um Ausgleich und Frieden bemühten Nichtregierungsorganisationen auf Mindanao hatten im MoA-AD endlich einen Silberstreif am Horizont entdeckt, um wenigstens die jahrelangen militärischen Auseinandersetzungen im Interesse der Zivilbevölkerung zu deeskalieren. Der stets um Contenance bemühte Chefunterhändler der MILF, Mohagher Iqbal, hatte große Mühe, nicht aus der Haut zu fahren. »Die philippinische Regierung«, so Iqbals erster Kommentar, »muß sich schämen, sich vor Vertretern der internationalen Gemeinschaft dermaßen blamiert zu haben. Selbst der Gastgeber, die Regierung Malaysias, hat dem MoA-AD vollumfänglich zugestimmt.« Das MoA-AD sei schließlich einvernehmlich ausgehandelt und vereinbart worden und deshalb auch bindend. Für Nachbesserungen sehe die MILF-Führung keinen Handlungsbedarf.

Befriedung statt Frieden

Anders sah und sieht das die Regierung in Manila. Hatte Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo noch Ende Juli 2008 ihrem Verhandlungsteam in Malaysia grünes Licht gegeben, das MoA-AD zu unterzeichnen, schlug sie nach dem Fiasko in Kuala Lumpur wieder harsche Töne an. Nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates kündigte sie in ihrer gleichzeitigen Eigenschaft als AFP-Oberkommandierende an, »jeden Zoll philippinischen Territoriums« entschlossen zu verteidigen. Das MoA-AD sei aufgrund anhaltender Proteste hinfällig, und der Oberste Gerichtshof in Manila wertete es in seinem abschließenden, mit acht zu sieben Stimmen freilich denkbar knappen Urteil vom 14. Oktober 2008 als nicht verfassungskonform. Seit Monaten nun verfährt man in Manila gemäß der Maxime, mit bewaffneten Gruppierungen lediglich im Kontext ihrer »Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration« zu verhandeln. Weitere Gespräche mit der MILF fänden nur statt, wenn man das MoA-AD grundlegend überdenke und darüber neu verhandle. Eine Position, die die Gegenseite als inakzeptabel betrachtet und darauf verweist, daß »Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration« den Schlußakkord eines Friedensprozesses bildeten, nicht aber zu dessen Vorbedingungen gemacht werden könnten.

Warum dieser plötzliche Sinneswandel der Regierung? Solange Manila verhandelte, konnte es nach außen sein Image als Friedensvermittler wahren und sich gegen in- wie ausländische Kritik, es setze einzig auf eine militärische Konfliktlösung, abschotten. Frau Arroyo ging es ums Hinhalten und um Zeitgewinn, um ihr öffentlich arg ramponiertes Image nicht noch mehr zu beschädigen. Eine Vielzahl von Korruptionsaffären, Bestechungsskandalen, Manipulationen der letzten Präsidentschaftswahl 2004, mehrere überstandene Amtsenthebungsverfahren sowie eine verheerende Bilanz im Bereich der Bürger- und Menschenrechte haben Arroyos Umfragewerte dermaßen absacken lassen, daß sie heute in der Gunst ihrer Landsleute gleich hinter dem früheren Diktator Ferdinand E. Marcos als unbeliebtestes Staatsoberhaupt rangiert. Sie verschanzt sich nunmehr hinter dem Urteil des Obersten Gerichtshofes und schiebt allein der MILF den Schwarzen Peter zu. Diese habe ihre Feldkommandeure nicht im Griff und habe es zugelassen, daß einige von ihnen ihr Unwesen trieben und das Feuer auf Zivilisten eröffneten. Tatsächlich gab es Lokalbefehlshaber der BIAF, die in der Vergangenheit eigenmächtig handelten oder als sogenannte »verlorene Kommandos« ins kriminelle Milieu abdrifteten.

Mit Verweis auf die prekäre Sicherheitslage auf Mindanao und der Notwendigkeit, dort die öffentliche Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, kann die Präsidentin jederzeit den Ausnahmezustand erklären. Andererseits wird sie die MILF drängen, letztlich einem wie immer gearteten Deal mit der Regierung zuzustimmen, oder notfalls darauf hinwirken, sie als »Terrorganisa­tion« zu brandmarken. Offene wie verdeckte Maßnahmen im Rahmen der staatlich sanktionierten Aufstandsbekämpfungsstrategie Oplan Bantay Laya (Operationsplan Freiheitswacht) werden zumindest bis zum Ende der Amtszeit Arroyos im Sommer nächsten Jahres (im Mai 2010 findet die nächste Präsidentschaftswahl statt) den Kern von Manilas Politik gegenüber der MILF bilden.

Aufstandsbekämpfung auf Jolo ...

Vor allem für die Zivilbevölkerung hat sich die Lage innerhalb des vergangenen Jahres dramatisch verschlechtert. Das Gros der zwischen die Fronten geratenen Menschen muß in behelfsmäßigen Notunterkünften ausharren, wenn sie es überhaupt bis dahin geschafft haben. Vergleichsweise glücklich können sich Flüchtlinge schätzen, wenn sie ein Dach über dem Kopf haben und in Schulen oder ähnlichen festen Gebäuden untergebracht sind. Das bietet wenigstens halbwegs Schutz vor Taifunen und Schlammassen infolge heftiger Regenfälle. Wiederholt wurden gegen ganze Ortschaften zeitweilige Nahrungsmittelblockaden verhängt, wenn das Militär oder die Nationalpolizei meinte, deren Bevökerung könne heimlich »Rebellen und Terroristen« unterstützen. In Zentralmindanao, vor allem in Teilen der Provinzen Maguindanao und Nordcotabato, gibt es Familien, die seit Sommer 2000 auf der Dauerflucht sind. Damals mußten sie fliehen, weil Präsident Estrada dem Moro-Widerstand den »totalen Krieg« erklärt hatte. Und in der Zeit danach konnten sie nicht in ihre angestammten Gebiete zurückkehren, weil diese zwischenzeitlich zu militärischen Frontlinien oder Sperrzonen geworden waren. Oberst Jonathan Ponce, Sprecher der 6. Infanteriedivision der philippinischen Armee, bezeichnete die Flüchtlinge kürzlich in einer offiziellen Stellungnahme als »Reserve feindlicher Truppen«.

Von Anfang des Jahres bis zum Juni/Juli verlagerten sich die militärischen Hauptfrontlinien auf die südlich von Mindanao gelagerte Insel Jolo. Dort hatten Mitglieder der auf Kidnapping und Lösegelderpressung spezialisierten Abu-Sayyaf-Gruppe (diese war auch für die Entführung der Göttinger Familie Wallert im Sommer 2000 verantwortlich) am 15. Januar drei Mitarbeiter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) – die Filipina Mary Jean Lacaba, den Schweizer Andreas Notter sowie den Italiener Eugenio Vagni – in der Nähe der Hauptstadt Jolo City entführt. Während Lacaba und Notter am 2. und 18. April wieder freikamen, zog sich die Freilassung des 62jährigen Vagni bis zum Morgengrauen des 12. Juli hin. Innerhalb dieses halben Jahres herrschte auf Jolo der Ausnahmezustand, und die Insel bildete wie schon häufiger seit den frühen 1970er Jahren, als dort faktisch Bürgerkrieg herrschte, die mit Abstand höchstmilitarisierte Region des Landes. Sehr zum Vorteil des umtriebigen Gouverneurs Abdusakur M. Tan. Der nämlich konnte – wie es in der Vergangenheit mehrfach, so bei der Geiselnahme der Wallerts, geschehen war – auch im Falle des IKRK seine Privatresidenz als eine Art Clearingstelle nutzen, im Hintergrund Lösegeldzahlungen einfädeln und sich politisch in Szene setzen.

»Gouverneur Tan«, sagt Mohaiya M., die seit Jahren mit der Situation auf Jolo bestens vertraut ist, »trägt Mitverantwortung für die prekäre Sicherheitslage in diesem Armenhaus. Kidnapping ist ein lukratives Busineß, und Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Schnell werden Personen als Kriminelle oder Terroristen gebrandmarkt, wenn sie den Mächtigen in Politik und im Militär suspekt sind. Schätzungsweise 95 Prozent aller begangenen Menschenrechtsverletzungen bleiben dort unaufgeklärt. Es herrscht ein Klima aus Gewalt und Straffreiheit sowie eine Praxis des (Ver-)Schweigens. Allein im Januar und Februar dieses Jahres mobilisierte der Gouverneur annähernd 1 500 sogenannte Zivile Freiwilligenverbände (CVO), eine Art paramilitärische Bürgerwehr, um auf seine Weise für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Genau das Gegenteil trat ein; es herrschte wochenlang Krieg.«

... mit Rückendeckung aus den USA

Auf Jolo operieren außerdem Marinebrigaden, Sondereinsatzkommandos der philippinischen Nationalpolizei und Rangerverbände gemeinsam mit US-Spezialeinheiten (U.S. Joint Special Operations Task Force-Philippines, kurz: JSOTFP) unter dem Kommando des amerikanischen Oberst William Coultrup, um mit den Abu Sayyaf einen vermeintlich integralen Bestandteil der Jemaah Islamiyah (JI) »zu eliminieren«, die Militärstrategen als südostasiatischer Ableger des Al-Qaida-Netzwerks gilt. Laut Coultrup und JSOTFP-Sprecher Major John Hutcheson geht es vorrangig um zweierlei: »Ausländischen Terroristen« (gemeint sind damit im wesentlichen malaysische oder indonesische JI-Mitglieder) sollen sichere Unterschlupf- und Ausbildungsmöglichkeiten auf Jolo verwehrt und die unzureichend gesicherten Seewege diesseits und jenseits der Sulu-See intensiver kontrolliert werden. Nach US-amerikanischen Angaben sind dauerhaft etwa 100 amerikanische GIs auf Jolo stationiert, wo sie lediglich in humanitären Projekten engagiert seien und ihren philippinischen Kameraden bei der Aufstandsbekämpfung assistierten.

Am 21. August kündigte US-Verteidigungsminister Robert Gates an, insgesamt 600 Mitglieder amerikanischer Spezialeinheiten permanent im Süden der Philippinen zu belassen. Während Politiker und Militärs in Manila und Washington immer wieder beteuern, es handele sich dabei nicht um Kampfeinsätze der GIs, sehen das Kritiker vor Ort und Militärexperten wie der an der staatlichen University of the Philippines lehrende Professor Roland G. Simbulan anders. Für sie steht außer Frage, daß US-Soldaten sporadisch direkt in Kampfhandlungen involviert sind und ansonsten die sicherheits- sowie entwicklungsrelevanten Aspekte im Rahmen der Aufstandsbekämpfung koordinieren. Das geschieht mittels Aufstellung Mobiler Trainingteams (MTT), kleiner beweglicher Einheiten, die in Kooperation mit örtlichen Kräften beim Aufbau bürgernaher Projekte (z.B. Brunnenbau), bei der Durchführung (zahn-)medizinischer Reihenuntersuchungen und der psychologischen Kriegführung behilflich sind – getreu der traditionellen Devise »Herzen und Hirne der Bevölkerung zu gewinnen«. Flankiert wird all das mit »nicht-traditionellen Elementen«, worunter das Einbinden von entwicklungspolitischen Organisationen und konservativen Think-tanks verstanden wird. Jolo und Mindanao waren und bleiben in der Region Hochburgen des Einsatzes solcher Institutionen und Organisationen wie der United States Agency for International Development (USAID), dem U.S. Institute for Peace (USIP), der National Endowment for Democracy und des Peace Corps, die auf je unterschiedliche Weise dafür sorgen sollen, selbst die entlegensten Orte gegen das »Einsickern von Aufständischen und Terroristen« zu feien.

Wenngleich die USA in ihrer einzigen und einstigen Kolonie in Südostasien Ende 1992 ihre größten außerhalb des nordamerikanischen Kontinents gelegenen Militärstützpunkte schließen mußten, ermöglichte es das vom philippinischen Senat Ende Mai 1999 ratifizierte Visiting Forces Agreement (VFA), daß seitdem über 40 000 US-Soldaten die Philippinen im Rahmen gemeinsamer Balikatan(Schulter an Schulter)-Manöver betreten und dort eine Zeitlang verweilen konnten. Gegen das VFA und die geltende Landesverfassung verstoßen unter anderem die Anlandung von US-Schiffen mit Nuklearwaffen an Bord und die Installierung US-amerikanischer Militäreinrichtungen. Doch solche existieren bereits außer auf Jolo in den Städten General Santos, Davao, Cotabato und Zamboanga auf Mindanao. Nach Recherchen der globalisierungskritischen Organisation Focus on the Global South (Bangkok) hat das Pentagon beispielsweise den militärischen Dienstleister Global Contingency Services LLC beauftragt, für 14,4 Millionen Dollar ein »base development«-Projekt in Mindanao zu errichten. Im Militärjargon handelt es sich um »forward operating bases« (dt. Vorwärtsbasen), die der JSOTFP jederzeit zur Verfügung stehen und meist auf Militärgelände der philippinischen Streitkräfte angesiedelt sind. Diese für eine Vorwärtsverteidigung geeigneten Einrichtungen dienen als Schaltstellen zur Umsetzung der Aufstandsbekämpfung Manilas.

Friedenspolitik im Zickzack

Während Manila zwischenzeitlich mit Rafael Seguis einen neuen Emissär benannte, um den Gesprächsfaden mit der MILF wieder zu knüpfen, und öffentlich bekundete, sich nunmehr intensiver um die zwischen die Fronten geratenen Flüchtlinge in Mindanao zu kümmern, machten Entwicklungen auf der zwischen Mindanao und Jolo gelegenen Insel Basilan mit einem Schlag alle guten Vorsätze zunichte. Am 12. August waren dort 23 Regierungssoldaten während eines Feuergefechts gegen die Abu Sayyaf in einen Hinterhalt geraten und erschossen worden. Noch bevor der genaue Hergang bekannt war, machten die Behörden für das Geschehen umgehend die MILF verantwortlich. Als direkte Reaktion auf den Tod der 23 Soldaten rührte der Exgeneral und Senatsvorsitzende des Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskomitees, Rodolfo G. Biazon, am lautesten die Kriegstrommel. Mit dem von ihm eingebrachten Resolutionsentwurf 1281 setzt er sich dafür ein, fortan jedwede Verhandlung mit der MILF auszusetzen.

»Der Resolutionsentwurf 1281 des Senats unterstreicht die Tatsache, daß diese Regierung über kein Konzept einer nationalen Friedenspolitik in Mindanao verfügt«, erklärte Pastor Reu Montecillo während einer am 28. August in Zamboanga City durchgeführten öffentlichen Anhörung über das Ansinnen Biazons. Der beredte Pastor, Vorstandsvorsitzender der NGO Mindanao Peoples’ Caucus (MPC), fügte namens seiner und zahlreicher anderer in Mindanao tätiger Friedensorganisationen hinzu: »Immer wenn dort Provokationen, bewaffnete Konflikte und Bombenexplosionen stattfinden, weicht diese Regierung unverzüglich von einem Friedenskurs ab und gibt sich martialisch. Da hatten sich gerade mal am 23. Juli die Präsidentin auf eine zeitweilige Suspendierung militärischer Offensivoperationen und zwei Tage später die MILF auf die Aussetzung militärischer Aktionen verständigt, als diese relative Ruhe an den Fronten erneut jäh in eine neue Runde von Feindseligkeiten mündete.«

Verhandlungen zwischen der Regierung und der MILF ausgerechnet jetzt zu kappen, halten der MPC und andere Friedens- und Menschenrechtsorganisationen für fatal. Dazu Pastor Reu Montecillo: »Letzte Berichte zeigen, daß infolge anhaltender bewaffneter Auseinandersetzungen annähernd 600000 Menschen in Zentralmin­danao auf der Flucht sind. Die in Genf ansässige NGO Internal Displacement Monitoring Center hat ermittelt, daß die Philippinen im vergangenen Jahr infolge des bewaffneten Konflikts im Süden die weltweit höchste Zahl an Binnenflüchtlingen, sogenannten intern vertriebenen Personen, aufwies – mehr noch als in den Konfliktregionen in Afrika.« Dringend riet der Geistliche Exgeneral Biazon: »Als General i.R. und Mindanao-Kriegsveteran sollte gerade er besser als jedes andere Senatsmitglied wissen, daß der Konflikt in Mindanao mitnichten militärisch zu lösen ist.«

[1] Name geändert

* Rainer Werning ist u. a. Koherausgeber des in diesen Tagen erscheinenden Bandes »Conflict in Moro Land - Prospects for Peace?«, der im Verlag der Universiti Sains Malaysia in Penang (Malaysia) erscheint (ISBN 978-983-861-408-5).

Aus: junge Welt, 25. September 2009



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