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Rückkehr des Clans

Der neue philippinische Präsident Benigno Aquino sieht sich mit einer Vielzahl Problemen konfrontiert

Von Rainer Werning *

Die gute Nachricht zuerst: Wenn der fünfzigjährige Benigno »Noynoy« Aquino III heute (30. Juni) als 15. Präsident seines Landes vereidigt wird und in den Malacañang-Palast zu Manila einzieht, endet ein für die Masse der Filipinos ebenso dunkles wie verlorenes Jahrzehnt. Seine Vorgängerin Gloria Macapagal-Arroyo gilt nicht nur als meistgehaßte Präsidentin seit dem Diktator Ferdinand E. Marcos (1966-86). Der Name Arroyo steht synonym für Korruption, Skandale, Wahlfälschungen, massive Menschenrechtsverletzungen, staatliche Auftragsmorde und eine Politik, die ungeniert das internationale Big Business und die einheimische Oligarchie hofierte. Zu Lasten einer Bevölkerung, die während ihrer Amtszeit seit Januar 2001 die höchste Arbeitslosenrate und größte Armut seit Gründung der Republik im Sommer 1946 erlebte.

Die schlechte Nachricht: Bei den Präsidentschafts-, Senats-, Kongreß- und Gouverneurswahlen am 10. Mai siegten auffällig viele Kandidaten des ancien régime und der oligarchischen Elite. Die umtriebige Marcos-Witwe Imelda wurde in den Kongreß gewählt, ihr Sohn Ferdinand Junior avancierte zum Senator, während Tochter Imee neue Gouverneurin in Ilocos Norte, der Heimatprovinz der Marcoses, wurde. Eindeutiger Gewinner der Wahlen ist jedoch ein Familienunternehmen - der mächtige Cojuangco-Clan.

Und da sind wir bei Aquino: Die Cojuangcos beziehungsweise Teile dieser Großfamilie genossen stets das Privileg politischer Patronage und wirtschaftlicher Pfründe seitens der jeweils Herrschenden. Als Marcos mit einer handverlesenen Schar von Getreuen - darunter Eduardo »Danding« Cojuangco - in den politisch turbulenten letzten Februartagen 1986 von der US-Luftwaffe ins Hawaiier Exil ausgeflogen wurde, übernahm gleichzeitig ein anderer Sproß der Cojuangcos, Maria Corazon Sumulong Cojuangco, als große Hoffnungsträgerin das Präsidentenamt. Als Frau Aquino am 1. August 2009 an Darmkrebs starb und mit ihr ein Mythos beerdigt wurde, besann sich der bis dahin politisch blasse Noynoy seiner Berufsrolle als Sohn. Wenige Tage nach dem Tod seiner Mutter gab er seine Kandidatur für das höchste Staatsamt bekannt - und gewann. Ab morgen also wird sich zeigen, ob und wie der neue Präsident die alten ungelösten Probleme - Vetternwirtschaft, Verbesserung der wirtschaftlichen und Menschenrechtslage und Friedensgespräche mit kommunistischen und muslimischen Rebellen im Süden des Landes - angeht.

Mit der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), der bedeutendsten muslimischen Widerstandsorganisation, die im Süden des Landes für Selbstbestimmung kämpft, ist jahrelang ergebnislos verhandelt worden. Das Hauptproblem lag darin, daß die Arroyo-Administration mehr auf Kapitulation als auf ernsthaften Dialog setzte. Aquino wäre gut beraten, die Verhandlungen mit der MILF wie auch mit dem linken Untergrundbündnis der Nationalen Demokratischen Front (NDFP) im Kontext einer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Reform­agenda zu führen und entsprechende Vermittlungsbemühungen der EU anzunehmen. Arroyo hatte hingegen solche NDFP-Mitgliedsorganisationen wie die Kommunistische Partei und ihre Guerilla, die Neue Volksarmee, als »terroristisch« gebrandmarkt und laufende Friedensgespräche beendet.

Die Menschenrechtssituation im Lande war seit Marcos nie so niederschmetternd wie unter Arroyo. Annähernd 1200 Menschen wurden während ihrer Amtszeit Opfer außergerichtlicher Hinrichtungen, über 200 Personen bleiben bis heute spurlos verschwunden. Keiner der im Umfeld staatlicher »Sicherheits«kräfte vermuteten Täter ist bislang zur Rechenschaft gezogen worden. Frau Arroyos »Antiterrorfeldzug« im Rahmen des Oplan Bantay Laya (Operationsplan Freiheitswacht) richtete sich vornehmlich gegen ihre politischen Gegner und sollte mit Ende ihrer Amtszeit abgeschlossen sein. Unternimmt Aquino nichts, um Frau Arroyo wegen all dieser Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, würde das einen frühen Schatten auf seine Regierung werfen. Und demonstrieren, daß er als gleichzeitiger Oberbefehlshaber der Streitkräfte eher Repression duldet, statt deren Opfer zu rehabilitieren.

Während seines Wahlkampfs hat Aquino nicht erkennen lassen, daß er im Gegensatz zu seiner Vorgängerin eine Wirtschaftspolitik im Interesse der Armen und Marginalisierten avisiert. Er selber ist unter anderem Teileigentümer der über 6000 Hektar großen Hacienda Luisita, die immer wieder Kontroversen auslöste, weil sie von einer Aufteilung im Rahmen der bereits 1988 verkündeten Landreform verschont blieb und Bauernproteste blutig niedergeschlagen wurden. Der neue Präsident müßte schon seine Klassenherkunft und Claninteressen verleugnen, um auch dieses verschleppte Reformvorhaben anzugehen.

* Aus: junge Welt, 30. Juni 2010


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