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Zwischen Waffenstillstand, Bürgerkrieg und Friedensverhandlungen

Undurchsichtige Verhältnisse auf den Philippinen - Zwei Hintergrundberichte

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel des Südostasien-Experten Rainer Werning, die er im August in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht hat. Überschneidungen haben wir so gut es ging vermieden und auch sonst die Beiträge gekürzt.

Südphilippinen: Die regulierte Anarchie

Durchs wilde Sulustan
Rainer Werning, Zamboanga City

... In dem Städtchen Lamitan auf der Insel Basilan in den südlichen Philippinen ist seit Pfingsten nichts mehr, wie es einst war: Die Abu-Sayyaf-Gruppe stürmte ein Krankenhaus, nahm Geiseln und ergriff mit ihnen die Flucht. Der Ort befindet sich seitdem faktisch im Belagerungszustand. Geschäfte sind zerstört. Bei mehrfachen Schusswechseln zwischen regulären Einheiten der philippinischen Streitkräfte (AFP) und irregulären Verbänden der Abu-Sayyaf-Gruppe sind seit Juni jeden Tag Tote und Verletzte zu beklagen. Die Menschen sind aufgewühlt, das öffentliche Leben ist erschüttert. «Die Menschen hier sind wütend», sagt Lamitans Bürgermeister Inocente Ramos, «sie wollen endlich wissen, wie diese Leute dennoch entkommen konnten.» Gemeint sind die Mitglieder der Abu-Sayyaf-Gruppe, denen es immer wieder glückt, die AFP trotz militärischer Grossaufgebote (bis zu 5000 Mann) zu foppen, «Sicherheitsgürtel» zu durchbrechen und sich samt gekidnappter Geiseln selbst aus kurzzeitig besetzten öffentlichen Gebäuden unbehelligt in den Busch zu schlagen. Eine gute Frage, auf die das Militär bislang keine Antwort hat - zumindest keine, die glaubwürdig erscheint. Erst behauptete in der tausend Kilometer entfernten philippinischen Hauptstadt Manila der Sprecher der AFP, Brigadegeneral Edilberto Adan, die Sichtverhältnisse seien schlecht gewesen und die Kidnapper hätten Geiseln als lebende Schutzschilde genommen. Kurz darauf korrigierte sich der Offizier und erklärte, die Angehörigen der Abu Sayyaf könnten überall sein und genössen den Schutz von Dorfgemeinschaften. Letztere nannte Adan «terroristische Basen», die ausgeräuchert werden müssten.

Augenmass verloren

Am anderen Ende der Insel Basilan, in und um die Hauptstadt Isabela City, herrscht seit Freitag, dem 13. Juli, Ausnahmezustand. Die philippinische Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo hat höchstpersönlich zum letzten Gefecht gegen die Abu Sayyaf geblasen. Innerhalb eines Monats, so die Präsidentin, sei dieses trübe Kapitel ein für alle Mal erledigt. Mit ihrer Politik knüpft Macapagal Arroyo nicht nur an die Politik ihres Vorgängers, des Mitte Januar aus dem Amt gejagten Joseph Estrada, an. Sie verliert überdies das Augenmass: Willkürliche Verhaftungen häufen sich, bei wahllosen Bombardierungen gerät vor allem die Zivilbevölkerung in die Schusslinie. Dazu kommt, dass die Abu Sayyaf mit lokalen und regionalen Politgrössen, Warlords und Militärs verfilzt ist.

Abdul Akbar (Name von der Redaktion geändert) stammt aus Lamitan und arbeitet seit langem für unterschiedliche nichtstaatliche Organisationen (NGOs) in der Region. «Die AFP sind entweder dumm oder clever genug, um sich für das Wegschauen angemessen bezahlen zu lassen», so seine Einschätzung. Die Abu-Sayyaf-Bewegung ist auf dem von Massenarmut geprägten Basilan entstanden, und ihr Gründer Abdurajak Janjalani genoss bis zu seinem gewaltsamen Tod Ende der neunziger Jahre grosses Ansehen. Abu Sayyaf schlössen sich all jene an, die früher für Ideale wie Unabhängigkeit gekämpft hätten, dann aber von ihren eigenen Führern in Stich gelassen wurden und ein Engagement der Regierung höchstens militärisch erlebt hätten, sagt Abdul Akbar. Abu Sayyaf biete diesen Menschen Anerkennung, Geld und Würde. Tatsächlich hat Abu Sayyaf in letzter Zeit mehrfach bewiesen, dass sie durch Kidnapping beträchtliche Summen kassieren kann. Die Bewegung wird seit dem Tod von Abdurajak Janjalani von dessen Bruder Khadafy angeführt. Ihr Fortbestehen garantieren unter anderem freundschaftliche, gar verwandtschaftliche Bande mit Mitgliedern der lokalen Sicherheitskräfte und politischen Gruppen. Und solange die Zentralregierung einzig auf die militärische Karte setzt, vertieft das die Kluft zwischen Zentrum und Peripherie.

...
Und doch scheint erneut ein Frieden in greifbarer Nähe. Am 22. Juni wurde die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen zwischen Manila und der MILF in der libyschen Hauptstadt Tripolis schriftlich besiegelt - unter der Schirmherrschaft von Saif Al Islam Gaddafi, dem Sohn des libyschen Staatschefs. Diese Woche hat die philippinische Präsidentin im Rahmen ihres ersten Staatsbesuchs, der sie ins Nachbarland Malaysia führte, gar der Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens beigewohnt. Für die Bevölkerung in Mindanao blieben aber auch im Falle eines Friedensschlusses dringende Probleme ungelöst. Allein in der Provinz Maguindanao in Zentralmindanao und drei Nachbarprovinzen sind bis heute noch immer eine Viertelmillion Menschen in notdürftig hergerichteten Behausungen untergebracht. In Zentralmindanao wurden auf dem Höhepunkt des Krieges im Sommer 2000 über 500 000 Personen, darunter etwa 60 Prozent Kinder, über Nacht zu internen Flüchtlingen. Solange deren Zukunft nicht gesichert ist, kann kaum von echtem Frieden in Mindanao gesprochen werden.

Aus: WoZ, 9. August 2001


Mindanao - das schrille Lied vom ewigen Frieden

Parallel zu Friedensgesprächen mit der Regierung in Manila Annäherungen im Moro-Widerstand
Von Rainer Werning, Cotabato City

... Erneut ist die Hauptstraße zwischen Davao und Cotabato, der Hauptstadt der Provinz Maguindanao, von Checkpoints gesäumt. Gleich drei Kontrollposten am Stadtrand Cotabatos, kontrolliert von Marines, Infanteristen und Nationalpolizisten, lassen ahnen, wie prekär die Sicherheitslage in dieser Region noch immer ist. »Hier, an dieser Brücke«, berichtet Eliseo »Jun« Mercado, »geschah es am helllichten Tag: Bodyguards des Gouverneurs und andere Bewaffnete lieferten sich ein Feuergefecht. Dabei wurde auch ein Gastank getroffen, der in die Luft flog und die umliegenden Häuser in Schutt und Asche legte. Mehrere Menschen starben. Die Täter konnten entkommen - all das geschah in der Nähe eines militärischen Checkpoints, buchstäblich vor den Augen der Sicherheitskräfte.«

Theologe als streitbarer Friedensaktivist

Zielscheibe dieser Attacke am 3. Juli war der erst Mitte Mai siegreich aus den Kongress- und Kommunalwahlen hervorgegangene neue Gouverneur Andal Ampatuan. Der allerdings, so mehren sich Stimmen in Cotabato City, habe möglicherweise die Attacke selbst inszeniert. Das Kalkül: Der neue Gouverneur wolle mit Verweis auf die angespannte Sicherheitslage von seinem Haus aus die Amtsgeschäfte führen. Auf diese Weise lasse sich leichter eine Klientel bedienen, die ihrerseits garantiere, dass sich die Amtszeit des Gouverneurs auch rechne.

Solche und ähnliche Fälle bewaffneter Konfrontationen hat »Jun« Mercado, der in der Region zu den streitbarsten und eloquentesten Friedensaktivisten zählt, zuhauf erlebt. Das ist zwar gefährlich in einem friedlosen Umfeld. Doch der promovierte Theologe und Präsident der Notre Dame University zu Cotabato pflegte in all den Jahren seines Engagements den jovialen Umgang mit sämtlichen Protagonisten, was ihm, einem wahrlich bunten Vogel in einer tristen Umgebung, so etwas wie Immunität verschaffte.

Die politisch turbulenteste Zeit für ihn und seine Mitstreiter aus Nichtregierungsorganisationen und Hilfswerken waren die Monate zwischen April 2000 und Anfang dieses Jahres. Ein Frieden zwischen der heute bedeutsamsten moslemischen Widerstandsorganisation, der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), und der Regierung schien zum Greifen nahe. »Jun« Mercado selbst hatte unermüdlich zwischen beiden Seiten vermittelt. Dann das: Ohne Vorwarnung, trotz eines ausgehandelten Waffenstillstandsabkommens, entfesselte das Militär eine Großoffensive gegen das unweit von Cotabato gelegene Hauptquartier der MILF, Camp Abubakar.

Die Regierung begründete ihr martialisches Vorgehen auf einmal damit, die MILF treibe widerrechtlich Wegezölle entlang der Nationalstraßen ein. Am 9.Juli 2000 wurde Camp Abubakar, aus Sicht der MILF eine modellhafte Community mit immerhin über 30 000 Zivilisten, von knapp 40 000 Regierungssoldaten eingenommen. Das Gros der bewaffneten MILF-Verbände war rechtzeitig entkommen und kehrte zur Guerillataktik zurück. Als die Regierung auch noch Kopfgelder auf die MILF-Führungskader aussetzte, rief deren Chef Hashim Salamat in einer Rundfunkansprache zum »Jihad« auf, zum heiligen Krieg. »Was mühsam an gegenseitigem Vertrauen geschaffen worden war«, erläutert mir Mohagher Iqbal, Chef der MILF-Informationsabteilung, »wurde mit Donnerschlägen zunichte gemacht. Moscheen wurden zerstört, Häuser plattgewalzt. Estrada (der damalige Präsident; R.W.) war Teil dieses Spektakels. In Kampfuniform wurde er mit dem Hubschrauber eingeflogen. Wer mochte da an Frieden denken? Nein, wir sind im Volkskrieg.«

Bei unserem Gespräch, das aus Sicherheitsgründen mit einem Tag Verspätung außerhalb Cotabatos zustande kommt, wirkt Iqbal angespannt und ernster als sonst. Ein voller Terminkalender und der Besuch des libyschen Botschafters Salem Adem, entschuldigt er sich, lasse ihm weniger Zeit als sonst. Außerdem stünden in den nächsten Wochen einschneidende Veränderungen an. Seit dreißig Jahren ist Iqbal im Widerstand. Zunächst Mitglied der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF), der ältesten muslimischen Widerstandsorganisation unter der langjährigen Führung von Nur Misuari, schloss er sich der MILF an. Aus Protest dagegen, wie er betont, dass die MNLF vom Konzept eines unabhängigen Moro-Staates abgerückt war und sich durch das 1976 im libyschen Tripolis unterzeichnete Abkommen mit Manila arrangiert hatte. Mit der Tripolis-Formulierung, die Moros genössen Autonomie »innerhalb der nationalen Souveränität und territorialen Integrität der Republik der Philippinen«, sah die MILF die Unabhängigkeit der Moros aufs Spiel gesetzt.

»Nur Misuari schwenkte vollends auf Regierungskurs«, kritisiert Iqbal, »als er gemeinsam mit Präsident Fidel Ramos am 2.September 1996 das Endgültige Friedensabkommen unterzeichnete und im Gegenzug Gouverneur der lediglich aus vier Provinzen bestehenden Autonomen Region in Moslem-Mindanao (ARMM) und Vorsitzender des ihr zugeordneten Südphilippinischen Rates für Frieden und Entwicklung (SPCPD) wurde. Beider Machtbefugnisse waren jedoch von Anfang an begrenzt, und deren finanzielle Ausstattung blieb vom Wohlwollen der Zentralregierung abhängig. Misuari ist seitdem Teil des Systems. Er wurde unglaubwürdig und zur schweren Hypothek für den gesamten Moro-Widerstand.« Lange hat es gedauert, bis innerhalb der MNLF ein Weg gefunden wurde, Musuari einen würdevollen Abgang zu verschaffen. Vor wenigen Wochen wurde er vom Komitee der Fünfzehn (ein Gremium des Zentralkomitees der MNLF, das augenblicklich kollektiv die Organisation führt) zum Vorsitzenden im Ruhestand ernannt.

Doch im Moro-Lager ist in diesen Tagen noch manch anderes im Gange. Gegenwärtig unternimmt die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) - vertreten durch Libyen, Indonesien und Malaysia - viele Initiativen, um eine Vereinigung der unterschiedlichen Moro-Organisationen zu forcieren. »Neben unserer Organisation und der MNLF ist davon noch der MNLF-Islamic Command Council betroffen«, informiert Iqbal.

Ist nun doch Frieden im Süden der Philippinen in Sicht? Immerhin wurde ja erst am 22.Juni die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen zwischen Manila und der MILF in der libyschen Hauptstadt Tripolis schriftlich besiegelt - unter der Schirmherrschaft von Saif Al Islam Gaddafi, dem Sohn des Staatschefs. »Das wird sich während der nächsten Gesprächsrunden in Malaysia zeigen«, gibt Iqbal zu bedenken, »wir können damit zur Entspannung beitragen, darauf hinwirken, dass ein Waffenstillstand zu Stande kommt und auch für einige Zeit hält. Doch darüber hinaus geht es um wichtige politische, administrative, soziale und solche Fragen, die Landrechte betreffen. Das alles wird nicht in einem Schnelldurchgang unter Dach und Fach zu bringen sein.«
...

Für die Zivilbevölkerung von Mindanao wird Frieden wohl noch lange ein Fremdwort bleiben. ...
Auf Mindanao werden heute etwa 50 Prozent der gesamten Mais- und Kokosnuss-, 20 Prozent der Reis-, 50 Prozent der Fisch-, nahezu 100 Prozent der für den Export bestimmten Bananen- und Ananasproduktion des Landes gewonnen. Fast 90 Prozent der Nickel-, Kobalt- und Eisenerz- sowie nahezu 100 Prozent der Bauxitvorkommen werden auf der Insel abgebaut. Nach einer verheerenden Kahlschlagpolitik wurden Grund und Boden vom internationalen Agrobusiness in Beschlag genommen.

Betrug im Süden Mindanaos der muslimische Bevölkerungsanteil 1913 noch 98 Prozent, so war dieser bereits 1976 auf nur 30 Prozent geschrumpft. Vor der Kolonisierung gehörte den Moros und den Lumad, den nicht-muslimischen indigenen Ethnien, sämtliches Land. Heute besitzen sie weniger als 15 Prozent, vorwiegend in abgelegenen, unfruchtbaren Gebirgsregionen. Rund 80 Prozent der Moslems sind gegenwärtig landlose Pächter. Der Verwaltungsapparat, das Militär sowie der Dienstleistungs- und Handelssektor sind fest in den Händen der aus dem Norden eingeströmten Siedler. Die Landnahme vollzog sich nicht friedlich. Auf der einen Seite bildeten die Siedler bewaffnete Formationen. Auf der anderen Seite formierte sich der Moro-Widerstand.

Nach den Friedensvereinbarungen 1976 und 1996 sowie mehreren - gescheiterten - Waffenstillstandsabkommen wurde seit Ende Juni neuerlich der Gesprächsfaden zwischen der MILF und der Regierung in Manila geknüpft. Anlässlich des ersten Auslandsbesuchs in Malaysia wohnte die neue philippinische Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo in Kuala Lumpur am 7. August der Unterzeichnung des jüngsten Waffenstillstandsabkommens zwischen ihrer Regierung und der MILF bei. Ob daraus ein dauerhafter Friede erwächst, bleibt ungewiss.

Aus: Neues Deutschland, 17. August 2001

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