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Armut im Aufschwung

Wirtschaft der Philippinen wächst im ersten Quartal 2012 deutlich. Brennende soziale Probleme ­sollen mit neoliberalem Instrumentarium bekämpft werden

Von Thomas Berger *

Die Wirtschaftsleistung der Philippinen ist im ersten Quartal 2012 um fünfeinhalb Prozent gewachsen. Nun gehen sowohl die Regierung des 92-Millionen-Einwohner-Staates als auch die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) von einer gleichermaßen hohen Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zwischen fünf und sechs Prozent für das gesamte Jahr aus. Im Vergleich zu den Prognosen wäre dies ein deutlicher Anstieg. Die Experten hatten bislang 3,7 Prozent gerechnet.

Die Inselrepublik hat in den zurückliegenden Jahren eine rasche Wirtschaftsentwicklung erlebt, die allerdings asymmetrisch verlief. Während in der Region um die Hauptstadt Manila auf der Hauptinsel Luzon Elektronik-, Maschinenbau- und Textilbranche die Industrialisierung vorantrieben, dominiert auf den südlichen Inseln zumeist einfache Landwirtschaft. Die Philippinen sind Mitglied der südostasiatischen Freihandelszone ASEAN und gelten je nach Sicht als Schwellen- bzw. immer noch als Entwicklungsland – vor allem wegen der niedrigen Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung von umgerechnet etwa 2260 US-Dollar.

Die robuste aktuelle Konjunktur ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. So konnte der Rückgang der Warenausfuhren gestoppt und die Entwicklung sogar umgekehrt werden. Während die Exporte 2011 um sieben Prozent sanken, läuft der Außenhandel inzwischen wieder deutlich besser, wie ADB-Landesdirektor Neeraj Jain diese Woche erklärte. Auch die öffentliche Hand hat in den zurückliegenden Monaten mit gezielten Mehrausgaben versucht, die Konjunktur zu stützen.

Finanziell ist der Staat der mehr als 7000 Inseln vor allem von den Überweisungen seiner zahlreichen Arbeitsmigranten abhängig. Filipinos, die in vielen Ländern meist als billige Angelernte auf dem Bau, in diversen Servicebereichen oder (gerade Frauen) als private Haushaltshilfen wohlhabender Nordamerikaner, Europäer oder in den Golfemiraten tätig sind, schickten allein im vergangenen Jahr nach offiziellen Angaben umgerechnet 20,1 Milliarden US-Dollar an ihre Familien zu Hause. Für 2012 geht der philippinische Zentralbankchef Amando Tetangco davon aus, daß sich der Geldstrom um rund fünf Prozent erhöhen wird. Dabei ist sich der Notenbanker bewußt, daß die Krise in der Euro-Zone sich auch negativ auf die Einkünfte in Westeuropa arbeitender Filipinos auswirkt. Berichten zufolge haben viele von ihnen schon ihren Job verloren. Diesen Einbrüchen, so die Erwartung, würden aber durch ein deutliches Plus andernorts mehr als ausgeglichen.

Ein Riesenproblem für die Republik ist die extreme soziale Kluft zwischen Arm und Reich. Bei der bis zum heutigen Samstag in Manila stattfindenden Jahrestagung der ADB verwies deren Chef, Haruhiko Kuroda, kritisch auf die im Land immer größeren Einkommensunterschiede. Sein Lösungsansatz ist allerdings fragwürdig, weil er bisher weltweit meist versagt hat: Die ADB setzt, ähnlich wie Weltbank und vor allem Internationaler Währungsfonds, schon seit vielen Jahren auf eine weitere Liberalisierung der Märkte. Dennoch sprach sich Kuroda zugleich für stärkere staatliche Investitionen in Infrastruktur und Bildung aus. Der Schulbesuch von Kindern aus armen Familien würde diesen mehr Chancen bieten, mit dem späteren Zugang zu besser bezahlten Jobs der Armutsfalle zu entkommen, so der ADB-Chef.

Der gegenwärtige Konjunkturschub, selbst wenn er im Gesamtjahr in dieser Höhe stabil bleibt, reicht nach Projektionen der Regierung dennoch nicht aus. Laut Vorausplanungen für den Zeitraum 2010 bis 2016 seien sieben bis acht Prozent jährliches Wirtschaftswachstum notwendig, um die gesteckten Entwicklungsziele zu erreichen. Zudem werde diese Rate dringend gebraucht, um für die weiter wachsende Bevölkerung ausreichend neue Arbeitsplätze zu schaffen. Trotz der gegenwärtigen Abhängigkeit von den Milliardenüberweisungen seiner Migranten, bleibt doch das Ziel Manilas, mehr Menschen im Inland eine Perspektive zu bieten. Wie wenig dies bislang gelungen ist, zeigt ein anderer Zahlenvergleich. Der Anteil der unter der offiziellen Armutsgrenze von umgerechnet 1,25 US-Dollar pro Tag lebenden Menschen hat sich zwischen 2003 und 2009 von 24,4 auf 26,5 Prozent erhöht. Auch der seit zwei Jahren amtierenden neuen Regierung von Präsident Benigno »Noynoy« Aquino ist es noch nicht gelungen, ihr Wahlversprechen von mehr sozialer Gerechtigkeit in die Realität umzusetzen. So suchen weiter viele Filipinos ein besseres Auskommen im Ausland.

* Aus: junge Welt, Samstag, 5. Mai 2012


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